„Mediale Realitäten eines marginalisierten Volkes: KurdInnen und Öffentlichkeit“ heißt eine heute veröffentlichte Sammlung von sechs Beiträgen, die von dem Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger und der Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim herausgegeben worden ist. Die Online-Publikation ist eines der Ergebnisse eines Workshop am 20. Oktober 2018, zu dem der Lehrbereich Meyen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) gemeinsam mit dem Netzwerk Kurdischer AkademikerInnen an die Ludwig-Maximilians-Universität München geladen hatte.
Der Reader „hat den Anspruch, das in den Mittelpunkt zu stellen, was meist vernachlässigt wird: die KurdInnen als Subjekt in der Öffentlichkeit. Viel zu oft wird in der Politik, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit nur über KurdInnen als Objekt geredet. Zu selten mit ihnen. Gemeinsam. Über ihre Themen. Dies muss sich ändern und diese Veröffentlichung soll einen kleinen Beitrag dazu leisten“, schreiben Dastan Jasim und Kerem Schamberger in ihrem Vorwort. Gerade in Zeiten der zunehmenden Kriminalisierung kurdischer Aktivitäten in Deutschland, als Beispiel sei nur die Verfolgung der Symbole der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ vor allem in Bayern genannt, sei die akademische Diskussion kurdischer Themen von großer Wichtigkeit.
Politische Einstellungen von Kurden in Deutschland im Kontext der Afrin-Krise
Im ersten Beitrag der Online-Publikation beschäftigt sich die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim in einer quantitativen Befragung mit den politischen Einstellungen von KurdInnen in Deutschland im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Türkei auf den Kanton Afrin in Nordsyrien im Frühjahr 2018. Sie kommt zu dem leider wenig überraschenden Schluss, dass sich KurdInnen von der deutschen Bundesregierung aufgrund der Unterstützung der türkischen Regierung vernachlässigt fühlen und ihr transnationaler politischer Aktivismus gegen verschiedene Kontrollvariablen getestet stabil bleibt.
Die Darstellung der Kurden in den deutschen Medien
Anschließend zeichnet der Historiker und Journalist Dr. Nikolaus Brauns ein Bild der medialen Repräsentation von KurdInnen im Verlauf der Geschichte. Er macht dabei, beginnend bei der Arbeitsmigration in die junge Bundesrepublik bis zum Wiederaufflammen des Krieges des türkischen Staates gegen die KurdInnen in den Jahren 2015/2016, insgesamt fünf Phasen der Berichterstattung aus. Von der medialen Nicht-Existenz bis hin zu KurdInnen als „TerroristInnen“. Für ihn existiert ein diskriminierendes und verzerrtes Kurdenbild in der deutschen Öffentlichkeit, das mit der fehlenden Statuslosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe zu tun hat.
Opfer –Täter –Helden?
Arne Nowacki, der Kommunikationswissenschaft studierte, veröffentlicht im dritten Beitrag zum ersten Mal die Ergebnisse seiner Masterarbeit. Passend zum vorhergehenden Beitrag untersucht er quantitativ die Darstellungen von KurdInnen in deutschen Medien in den Jahren 1995, 2005 und 2015. Sein Ergebnis ist kongruent zur Schilderung von Brauns: Es wird wenig und wenn, dann negativ über KurdInnen berichtet.
Journalismus in Südkurdistan
Die Beiträge vier und fünf verlassen Deutschland und werfen einen Blick auf die Region Kurdistan im Nordirak, auch bekannt als Südkurdistan, das von vielen Seiten, auch von Deutschland, anerkannt und nicht zuletzt im Kampf gegen den IS militärisch unterstützt wurde. Zuerst schildert Kamal Chomani im Gespräch mit Kerem Schamberger seine Eindrücke des südkurdischen Mediensystems und beschreibt die parteipolitische Abhängigkeit der Medien sowie Momente der Einschüchterung und Verfolgung von südkurdischen JournalistInnen.
Hawre Hasan Hama, Farhad Hassan Abdulla und Dastan Jasim beschäftigen sich daran anschließend mit dem Fernsehsender Rudaw, der politisch und finanziell von der Demokratischen Partei Kurdistan (PDK) abhängig ist. Sie analysieren die tendenziöse Berichterstattung der Ereignisse um den 16. Oktober 2017, als irakische Sicherheitskräfte die ölreiche Stadt Kirkuk von den KurdInnen zurückeroberten. Rudaw konzentrierte sich dabei vor allem auf eine emotionalisierende Berichterstattung über die Fehler der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistan (YNK) und der von ihr kontrollierten Gebiete und vernachlässigte weitestgehend die Fehler der PDK.
Medien der kurdischen Freiheitsbewegung in Europa
Im abschließenden Beitrag geht der Journalist und Kurdologe Luqman Turgut auf die Medien der kurdischen Freiheitsbewegung ein und bezeichnet sie als Instrument zur Bildung und Mobilisierung der kurdischen Bevölkerung. Er betont den aktivistischen Charakter, den Journalismus unter denjenigen hat, die keinen Status haben, und hat mit diesem Anspruch auch im Workshop für zahlreiche Diskussionen gesorgt. Den türkischen Narrativen solle mit eigenen Medien ein alternativer kurdischer Diskurs entgegengestellt werden, so Turgut, der selbst seit fast 20 Jahren in diesen Medien aktiv ist und damit auch eine Innenperspektive bietet.