„Die türkische Armee greift seit Wochen wieder kurdische und jesidische Gebiete an – doch anders als im vergangenen Herbst 2019, als es international Proteste gegen Erdogans wiederholten Einmarsch in Nordsyrien und seine Zusammenarbeit mit islamistischen Söldnern und Faschisten gegen die selbstverwalteten Gebiete in Rojava gab, bleibt es dieses Mal relativ ruhig. Das muss sich ändern!”, fordert das Münchner Solidaritätsbündnis für Kurdistan und ruft zu einer Kundgebung mit Demonstration am 25. Juli um 15 Uhr vor dem Bayrischen Innenministerium am Odeonsplatz auf. Weiter heißt es in dem Aufruf des Bündnisses:
„Die weitere Eskalation der Angriffe auf Kurdistan, den demokratischen Aufbruch in Nordostsyrien und die gesamte demokratische Opposition in der Türkei geht uns alle etwas an. Alle Demokrat*innen müssen jetzt Druck auf die Bundesregierung und deutsche Konzerne wie Siemens aufbauen, damit sie ihre Unterstützung und ihre Zusammenarbeit für das Erdogan-Regime und den Krieg des türkischen Staates gegen die Menschen in Kurdistan sofort einstellen!
Zum achten Jahrestag der Rojava-Revolution fordern wir außerdem die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland, ein Ende der Repression gegen kurdische und türkische Menschen und die Einstellung aller Rüstungsexporte."
Krieg gegen Eziden und Kurden
„In den vergangenen Wochen tötete die türkische Armee bei mehreren Luftschlägen dutzende Menschen. Auch der Shengal, die jesidische Region des Nordiraks, ist seit Mitte Juni Angriffsziel türkischer Bomber: Ausgerechnet die Region, in der der sogenannte Islamische Staat (IS) im Sommer 2015 einen Völkermord an der Zivilbevölkerung begonnen hatte, der nur von Kämpfer*innen der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und den kurdischen Selbstverteidigungskräften YPG und YPJ damals gestoppt werden konnte. Die Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad, die selbst Überlebende des IS-Genozids an den Jesid*innen und des Femizids ist, in dem tausende Frauen entführt, versklavt und verkauft wurden, wirft den Vereinten Nationen (UN) Untätigkeit gegen den türkischen Angriffskrieg vor. Und das zu Recht: Denn die völkerrechtswidrige Kriegspolitik Erdogans gegen die Menschen im Shengal und in allen Teilen Kurdistans stößt auf internationaler politischer Ebene derzeit kaum auf diplomatische Kritik und politischen Protest. Die Jesid*innen erhalten allen Lippenbekenntnissen der UN zum Trotz kaum Unterstützung.
Zeitgleich zu den Angriffen auf Shengal kam es ab Mitte Juni zu völkerrechtswidrigen Bombardements auf Stellungen der PKK, die seit rund vier Jahrzehnten einen Befreiungskampf gegen den türkischen Staat führt. Durch die Bombardements der türkischen Armee werden täglich Zivilist*innen getötet und verletzt sowie zivile Infrastruktur zerstört. Diese Attacken sind Teil einer lang angelegten Besatzungsmission im Nordirak, mit der der türkische Staat versucht, den Widerstand der kurdischen Bevölkerung zu brechen, seine Vormachtstellung in der südkurdischen Region Heftanîn auszubauen und seine neo-osmanischen Gebietsansprüche sowie den Zugriff auf die Ölquellen und die Bodenschätze in Kurdistan Stück für Stück umzusetzen.
Krieg gegen Frauenbewegung und Opposition
Bei den militärischen Angriffen der türkischen Armee handelt es sich auch um patriarchale, antifeministische Angriffe und Massaker. Wie alle autoritären und rechten Regimes baut auch das von Erdogan nicht nur auf der Verschärfung der ökonomischen Ausbeutung der Arbeiter*innen und auf völkischem Rassismus auf, sondern auch auf einer patriarchalen Logik, auf der männlichen Vorherrschaft und Dominanz von Männern über Frauen und die gesamte Gesellschaft. Es verwundert daher nicht, dass der Krieg des islamistisch-faschistischen AKP/MHP-Regimes auch ein Krieg gegen die Frauenbewegung und den Feminismus ist. Im Krieg gegen die Opposition in der Türkei und gegen die kurdische Bewegung werden immer wieder gezielt Femizide, also patriarchale Frauenmorde verübt. Eines von vielen Beispielen ist der Drohnenangriff der türkischen Armee, bei dem im Juni in Kobanê in Rojava/Nordostsyrien gezielt drei Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung Kongreya Star ermordet wurden. Dieser Angriff ist ein Angriff auf alle Frauen und auf ihre Selbstorganisierung und ihren Kampf um Emanzipation gegen das Patriarchat.
Der Krieg in Nordostsyrien und im kurdischen Teil des Irak geht auch mit harten Schlägen gegen die demokratische Opposition in der Türkei einher. In den vergangenen Wochen wurden abermals kurdische Bürgermeister*innen festgenommen und es gab massive Polizeigewalt gegen alle demokratischen Proteste. Oftmals reicht schon ein regierungskritischer Facebook-Post, um festgenommen zu werden. Diese antidemokratische Politik soll auch jeder Opposition gegen den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, ihre legitime Befreiungsbewegung und gegen das autonome Projekt Rojava mundtot machen.
Wer macht hier Terror? Krieg ist der Terror der Mächtigen!
Immer wieder prallt der türkische Imperialismus in seinem Streben um regionale Hegemonie auf gegenläufige Interessen konkurrierender Staaten wie des Irans oder der Golf-Staaten oder auf internationaler Ebene die Nato-Partner und Russland. Die Großmachtansprüche der Türkei gehen diesen Kräften an vielen Stellen zu weit – einig ist man sich aber in der „Kurdistan-Frage“: Während die korrupte Regierung im Nordirak und ihre ökonomische und politische Elite auf internationaler Ebene anerkannt und akzeptiert wird, weil sie kapitalistischen Interessen nicht im Wege steht, werden die PKK und teilweise auch ihre Schwesterorganisationen auf Terrorlisten gesetzt, nicht nur von der Türkei, sondern auch in den USA und Europas. Das hat Gründe: Während der kurdische Nato-Vasallenstaat im Nordirak spurt, stemmt sich die PKK gegen die Expansion des türkischen Imperialismus und gegen die Neuaufteilungspolitik der Nato, Russlands und regionaler Mächte im Mittleren Osten.
Deshalb wird die PKK von vielen Regierungen und Teilen der Bevölkerung in Europa nicht als Konfliktpartei wahrgenommen, sondern als angebliche Terrororganisation diffamiert und verfolgt. Das liegt daran, dass ihr Kampf nicht nur den Interessen der Türkei, sondern auch denen anderer Nato-Staaten zuwiderläuft.
Die PKK und ihr Mitbegründer und prominentester Gefangener Abdullah Öcalan haben mit dem Konzept des Demokratischen Konföderalismus seit 2005 ein Konzept für einen demokratischen Aufbruch in Mittleren Osten vorgelegt. Der Demokratische Konföderalismus ist die einzige demokratische Hoffnung für die gesamte Region: Für die Selbstorganisierung von Frauen gegen das Patriarchat, für die Demokratisierung der Nationalstaaten und für die Lösung ethnisch aufgeladener und gesellschaftlicher Konflikte durch eine demokratische Selbstverwaltung aller Menschen unabhängig von Herkunft und Religion.
Revolution der Hoffnung
Der gesellschaftliche Aufbruch, der in Rojava/Nordostsyrien vor rund acht Jahren begonnen hat, zeigt, dass sich dieses Konzept schrittweise auch in die Praxis umsetzen lässt. Vor acht Jahren begann in Rojava eine Revolution, die das Leben von Millionen Menschen seither radikal verändert. Die Kurd*innen befreiten sich von der Diktatur des Assad-Regimes und begannen sich in selbstverwalteten Frauenstrukturen, Räten und Genossenschaften zu organisieren. Insbesondere die autonome Organisation der Frauen wurde zur treibenden Kraft dieses Aufbruchs. Im Zuge des Kampfes gegen den Islamischen Staat ist heute in Nordostsyrien ein einzigartiges, multiethnisches und multireligiöses Projekt entstanden, dass das friedliche Zusammenleben von Millionen Kurd*innen, Araber*innen, Christ*innen und anderer Identitäten schützt. Die demokratische Föderation Nordostsyriens ist ein einzigartiges Beispiel für eine friedliche Vision eines demokratischen Nahen Ostens und ist daher sowohl den Regionalmächten als auch den imperialistischen Staaten immer ein Dorn im Auge.
Solidarität mit Rojava heißt auch: Weg mit dem PKK-Verbot!
In der öffentlichen Wahrnehmung wird der demokratische und antipatriarchale Aufbruch in Nordostsyrien oft vom Kampf der PKK gegen den islamistisch-faschistischen Jihadismus und den türkischen Staatsterror abgetrennt. Dabei wäre der Aufbruch von Rojava ohne die PKK niemals möglich gewesen: Es war die Arbeiter*innenpartei Kurdistans, die noch während der Assad-Herrschaft in Rojava aus der Illegalität heraus autonome Frauenstrukturen und Stadtteilräte aufbaute. Es waren diese Strukturen, von denen die Rojava-Revolution im Jahr 2012 ihren Ausgangspunkt nahm. Und auch die territoriale Zerschlagung des IS-Kalifats in Syrien und der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten der Bevölkerung wäre ohne die Unterstützung der PKK nicht denkbar gewesen. Es ist deshalb wichtig, die Angriffe des türkischen Staates auf die Berge Südkurdistans, auf Shengal und auf Rojava als Teil desselben Krieges zu verstehen. Egal ob die Bomben auf Qendîl, auf das Flüchtlingslager Mexmûr, auf Shengal oder Kobanê fallen, es ist immer der gleiche Angriff auf die emanzipatorische Bewegung von Kurdistan und Nordostsyrien.
Es ist ein Krieg, der auch in Europa geführt wird. Das zeigen nicht nur die jüngsten Angriffe türkischer Nationalisten in Wien, bei denen gezielt feministische Strukturen und Aktivist*innen der kurdischen Bewegung und der türkischen und österreichischen Linken angegriffen wurden, sondern auch die staatliche Repression gegen migrantische Linke in Deutschland. Besonders hart trifft es die PKK und die türkische Linke, wie sich an Hausdurchsuchungen, Verschleppung von Einbürgerungsverfahren, Schikanen auf Ämtern und Prozessen wie dem Prozess gegen die kommunistische TKP-ML derzeit in München zeigt.
Diese Repression ist ein ‚Geschenk‘ an das Erdogan-Regime und soll die Opposition gegen den Krieg in Kurdistan auch in Europa ausschalten. Wer gegen den Krieg Erdogans ist, muss sich solidarisch an die Seite dieser Opposition stellen und das bedeutet auch, sich für die Abschaffung des PKK-Verbotes öffentlich stark zu machen. Das PKK-Verbot dient nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland, als Hebel zur Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung. Das haben in den letzten Jahren nicht nur politische Verfahren gegen kurdische und türkische Oppositionelle gezeigt, sondern auch Fahnenverbote gegen Flaggen der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, die mit dem PKK-Verbot begründet wurden.
Wer will, dass Deutschland sich nicht weiter der Unterstützung Erdogans schuldig macht muss auch eine Aufhebung des PKK-Verbot fordern! Für die sofortige Einstellung aller deutschen Rüstungsexporte an das türkische Erdogan-Regime!”