KCK-Aufruf an die Bundesregierung und die Kurden
Die KCK hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, den für Ende des Monats geplanten Erdoğan-Besuch abzusagen. Die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden wurden zu friedlichem Protest aufgerufen.
Die KCK hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, den für Ende des Monats geplanten Erdoğan-Besuch abzusagen. Die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden wurden zu friedlichem Protest aufgerufen.
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat sich in einer ausführlichen Erklärung zur Haltung der Bundesregierung zum türkischen Staat und zu den in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden geäußert.
In der Erklärung verweist die KCK darauf, dass das kurdische Volk seit dem 20. Jahrhundert immer wieder zu Flucht und Migration gezwungen worden ist. Teilweise standen wirtschaftliche Gründe hinter den Migrationsbewegungen, vor allem war jedoch die Unterdrückung durch den türkischen Staat die wesentliche Motivation für Kurdinnen und Kurden, ihre Heimatorte zu verlassen und in türkische Großstädte oder an andere Orte weltweit zu ziehen. „Heute leben mehr Kurden aus Nordkurdistan in den Metropolen der Türkei und anderen Ländern als in ihrem eigenen Land“, so die KCK.
Weiter heißt es in der Erklärung:
„Aufgrund der Vertreibungspolitik des türkischen Staates leben Kurdinnen und Kurden vor allem auch in Europa. In Deutschland leben über anderthalb Millionen Kurden. Ein Teil davon ist im Zuge der Arbeitsmigration nach 1960 nach Deutschland gekommen. Die meisten sind jedoch durch den Vernichtungskrieg des türkischen Staates aus ihrer Heimat vertrieben worden.“
Als Beispiel führt die KCK das Massaker an der alevitischen Bevölkerung 1978 in Maraş an, durch das „alle Kurden, die westlich des Euphrat lebten“ zur Flucht nach Europa gezwungen wurden. Der türkische Geheimdienst MIT habe Schlepper organisiert und die Migrationsbewegung damit angetrieben. Im weiteren Verlauf wurde der türkische Bevölkerungsanteil in der betroffenen Region erhöht.
Die Vertreibung aus den Gebieten östlich des Euphrat wurde vor allem in den 1990er Jahren forciert, erklärt die KCK. „Kurdische Dörfer wurden niedergebrannt und zerstört, Tausende Menschen fielen den sogenannten Morden unbekannter Täter zum Opfer, Hunderttausende wurden gefoltert, Zehntausende kamen ins Gefängnis. In Kurdistan war kein Leben mehr möglich. Alle Angriffe verfolgten das Ziel, Kurdistan zu entvölkern, den kurdischen Widerstand zu brechen und den Völkermord zu vollenden. Als Ergebnis dieses schmutzigen Krieges sind Millionen Kurden in die Großstädte der Türkei gezogen und Hunderttausende nach Europa gegangen. Die Mehrheit derjenigen, die ihre Heimat verließen, waren Menschen, deren Dörfer zerstört worden sind, die Folter und Unterdrückung erfahren haben und deren Kinder entweder im Krieg gefallen sind oder im Gefängnis waren.“
Kurden in Europa nutzen ihre demokratischen Rechte
„Die Kurden haben bei jedem Anlass in den 1980er Jahren gegen die Militärjunta und in den 1990er Jahren gegen den schmutzigen Krieg in Kurdistan protestiert. Dabei haben sie auf demokratische Weise auf die Vernichtungspolitik des türkischen Staates reagiert und von ihrem Recht auf Widerstand Gebrauch gemacht. Von Zeit zu Zeit kam es bei sehr schwerwiegenden Angriffen des türkischen Staates zu extremen Reaktionen, die wir als Bewegung immer zu verhindern versucht haben. Die in Europa und insbesondere in Deutschland lebende kurdische Bevölkerung hat viele Jahre lang gemeinsam mit ihren Freundinnen und Freunden ihre demokratischen Rechte im Rahmen der bestehenden Gesetzesvorgaben genutzt.“
Vernichtungsplan gegen die kurdische Bewegung
In der KCK-Erklärung wird weiter ausgeführt, wie die Kurden ab 2014 im Kampf gegen islamistische Gruppierungen wie den IS und al-Nusra vor allem in Rojava und Südkurdistan zu einer politischen, militärischen und gesellschaftlichen Kraft geworden sind. Aus diesem Grund hat die AKP-Regierung im Sommer 2014 einen Vernichtungsplan ausgearbeitet, der den Tod von Tausenden Kurden und die Vertreibung Hunderttausender vorsah. „Im Rahmen dieses Plans wurde auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am 30. Oktober der totale Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung beschlossen“, so die KCK. Das zuvor beschlossene Dolmabahçe-Abkommen zur Lösung der kurdischen Frage wurde ad acta gelegt, der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan wurde vollständig von der Öffentlichkeit isoliert und die Wahlen vom 7. Juni 2015, aus denen die Demokratische Partei der Völker (HDP) erfolgreich hervorgegangen war, wurden annulliert. Am 24. Juli, dem Jahrestag des Abkommens von Lausanne, wurde ein totalitärer Vernichtungsfeldzug gegen das kurdische Volk eingeleitet. Tausende gewählte Abgeordnete, Bürgermeister, Politiker und Aktivisten wurden verhaftet. Die kurdischen Stadt- und Gemeindeverwaltungen wurden unter Zwangsverwaltung durch türkische Treuhänder gestellt. Kurdische Städte wurden zerstört, Hunderte Zivilisten wurden getötet. Als ein weiteres Ergebnis der AKP-Politik wurde in diesem Jahr der nordsyrische Kanton Efrîn besetzt. „Sowohl bei der Zerstörung kurdischer Städte als auch bei der Besatzung Efrîns wurden Panzer aus deutscher Produktion eingesetzt. Parallel zu den Angriffen auf das kurdische Volk wurde auch die Repression gegen demokratische Kräfte in der Türkei verstärkt“, erklärt die KCK.
„Gegen die Angriffe der faschistischen AKP-Regierung haben Kurdinnen und Kurden weltweit ihre demokratischen Rechte genutzt und protestiert. Bei diesen Protesten ist es vereinzelt zu extremen Reaktionen junger Menschen gekommen, mit denen die deutschen Gesetze strapaziert wurden. Die Bundesregierung hat sowohl auf Druck der AKP-Regierung als auch bezugnehmend auf diese Reaktionen antidemokratische Angriffe auf demokratische kurdische Einrichtungen durchführen und mehrere kurdische Politiker verhaften lassen.“
„Extremismus vermeiden“
„Wir waren niemals dafür, dass es beim Gebrauch demokratischer Rechte in den Ländern Europas zu Reaktionen kommt, mit denen die Gesetze dieser Länder strapaziert werden. Insbesondere Deutschland benutzt auf Wunsch der Türkei solche Vorfälle, um repressiv gegen demokratische Einrichtungen des kurdischen Volkes vorzugehen. In dieser Hinsicht rufen wir alle Jugendlichen, die mit unserer Befreiungsbewegung sympathisieren und sich mit Abdullah Öcalan verbunden fühlen, dazu auf, extreme Reaktionen zu vermeiden und ihren Protest im Rahmen der deutschen Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen. Bei der Wahrnehmung ihrer Rechte auf demokratischen Protest gegen den AKP-Faschismus und die Isolation unseres Vorsitzenden sollten sie den Rahmen der Gesetze Deutschlands nicht verlassen.“
Bundesregierung sollte das Demonstrationsrecht respektieren
„Zweifellos muss die Bundesregierung auch das Recht des kurdischen Volkes auf Demonstrationen in demokratischem Rahmen respektieren. In der letzten Zeit sind auf Wunsch des türkischen Staates die Symbole der gegen den IS kämpfenden YPG/YPJ verboten worden. Dieses Vorgehen widerspricht der deutschen Gesetzgebung und wird auch von der deutschen demokratischen Öffentlichkeit abgelehnt. Der mit einer unsinnigen Begründung erfolgte Angriff der deutschen Polizei auf eine demokratische Protestaktion kurdischer Jugendlicher gegen die Isolation Abdullah Öcalans, mit der der türkische Staat internationales Recht und die eigene Verfassung verletzt, kommt einer Zustimmung des faschistischen Vorgehens der AKP-Regierung gleich. Solche Maßnahmen setzen das kurdische Volk herab und können von niemandem akzeptiert werden, der über eine demokratische Denkweise verfügt.“
Die bundesdeutsche Unterstützung des türkischen Vernichtungsfeldzuges
Die KCK geht in ihrer Erklärung weiter auf die seit 150 Jahren andauernden Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ein und bezeichnet die Bundesregierung als wichtigste Unterstützerin der Vernichtungspolitik des türkischen Staates. Um die eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, habe die Bundesregierung der AKP insbesondere bei den vergangenen Wahlen in der Türkei und aktuell angesichts der Wirtschaftskrise Unterstützung geleistet. Durch die guten Beziehungen zur AKP-Regierung werde diese dazu ermutigt, ihre Angriffe auf demokratische Kräfte und das kurdische Volk fortzusetzen. „Mit dieser Haltung macht sich die deutsche Regierung zur Komplizin der AKP-Regierung“, so die KCK.
Erdoğan-Besuch absagen
Die Einladung Erdoğans nach Deutschland komme nicht nur einer Unterstützung seiner menschenrechtsverachtenden Politik gegen die Kurden und die Opposition in der Türkei gleich, sondern setze zugleich die Bevölkerung Deutschlands herab, da der türkische Staatspräsident in Wort und Tat islamistische Organisationen wie den IS und al-Nusra in der Türkei und im Mittleren Osten fördere. „Mit dieser Haltung bestätigt und unterstützt Deutschland die auf Vernichtung angelegte kurdenfeindliche Politik Erdoğans. Das kurdische Volk wird diese Haltung nicht akzeptieren und von seinem demokratischen Recht auf Protest Gebrauch machen.“
Am Ende ihrer Erklärung ruft die KCK die Bundesregierung dazu auf, den geplanten Erdoğan-Besuch abzusagen, sich der Forderung der AKP-Regierung nach repressiven Maßnahmen gegen kurdische Einrichtungen zu verweigern und deutlich zu machen, dass es in Europa und in Deutschland demokratische Werte gibt.