Internationales Solidaritätskollektiv: Wir unterstützen das kurdische Volk

Über siebzig international bekannte Persönlichkeiten haben sich in einem Solidaritätskollektiv zusammengeschlossen und rufen zur Unterstützung der Kurdinnen und Kurden gegen die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf.

In einer gemeinsamen Deklaration rufen international bekannte Persönlichkeiten zur Unterstützung der Kurdinnen und Kurden gegen die Angriffe des türkischen Staates auf. Mehr als 70 Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Kulturschaffende aus mehreren Ländern, die sich zu einem Internationalen Kurdischen Solidaritätskollektiv zusammengeschlossen haben, fordern in einer heute in Brüssel veröffentlichten Erklärung ein Ende der völkerrechtswidrigen türkischen Angriffe auf kurdische Gebiete.

Die Ko-Sprecherin der Gruppe, die südafrikanische Aktivistin und Frauenrechtlerin Fazela Mahomed, erklärte: „Wir wollen mit dieser Aktion die Kurdinnen und Kurden unterstützen und wir stellen uns gemeinsam mit ihnen gegen die Unterstützung der Besatzungs- und Vernichtungspolitik des Erdogan-Regimes durch die NATO. Vor allem verurteilen wir die völkerrechtswidrigen und mörderischen türkischen Operationen im Irak, die darauf abzielen, diejenigen zu töten, die 2014 die Welt gegen den IS verteidigt haben, als niemand sonst auf die Hilferufe reagierte.“

Ein weiterer Kritikpunkt der Erklärung ist, dass Schweden und Finnland im Rahmen der NATO-Beitrittsverhandlungen den Forderungen der Türkei im Blick auf Kurdinnen und Kurden nachgegeben haben. „Wir fordern deshalb“, so der ehemalige EP-Abgeordnete und Ko-Sprecher der Gruppe, Jürgen Klute, „dass Schweden und Finnland sich nicht Erdoğans antidemokratischer Politik unterwerfen und die illegitimen Forderungen nach Auslieferung kurdischstämmiger Bürgerinnen und Bürger zurückweisen. Unser zentrales Anliegen ist die Verteidigung demokratischer Prinzipien.“

Positiv werteten Mahomed und Klute hingegen, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem kürzlichen Besuch in der Türkei das völkerrechtswidrige türkische Vorgehen gegen die Kurden scharf kritisiert hat. „Wir rufen Frau Baerbock auf,“ so die beiden weiter, „bei dieser außenpolitischen Linie zu bleiben und die Türkei unter Druck zu setzen, damit sie ihre militärischen Kräfte aus Südkurdistan und Rojava zurückzieht.“

Ebenso begrüßten beide, dass die irakische Regierung die Ermordung von neun Urlauber:innen in der südkurdischen Region Zaxo zum Anlass nehmen will, die Übergriffe der türkischen Armee vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. „Wir hoffen“, so Mahomed und Klute, „dass der politische Druck auf die Türkei weiter zunimmt und das Morden endlich ein Ende findet. Dazu soll auch unsere gemeinsame Erklärung beitragen.“

Deklaration des Solidaritätskollektivs

In der Deklaration des Solidaritätskollektivs heißt es: „Mit Unterstützung der NATO setzt das diktatorische Regime des türkischen Präsidenten Erdogan seinen Krieg gegen das kurdische Volk und seine Verbündeten nicht nur innerhalb der türkischen Grenzen fort, sondern weitet ihn auf Syrien und den Irak und sogar auf Schweden und Finnland aus. Wir sind uns bewusst, dass der Kampf der Kurdinnen und Kurden für eine authentische Demokratie, für die Befreiung der Geschlechter und für die Ökologie ein Kampf ist, der jeden von uns in einer Zeit des wachsenden Autoritarismus auf der ganzen Welt angeht. Wenn wir uns heute mit den Kurden solidarisieren, heißt das, dass wir eine demokratische Zukunft im Interesse aller verteidigen.

Die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft für die Angriffe des türkischen Regimes auf das kurdische Volk wird zu einem Dauerzustand. Erst kürzlich, auf dem NATO-Gipfel in Madrid, als Schweden und Finnland den Beitritt zur NATO beantragten, blockierte Erdogan den Beitritt dieser Länder, denn er verlangte die Zustimmung zu seiner Politik des Blutvergießens an den Kurdinnen und Kurden. Um das Veto der Türkei zu stoppen, ließ sich die NATO auf einen schmutzigen Deal ein, in dessen Mittelpunkt die Kurdinnen und Kurden stehen, und billigte Erdogans ethnische Säuberungen. So gelang es dem Autokraten, die Situation für sich zu instrumentalisieren, und der Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit und Demokratie wurde ein weiteres Mal zugunsten von wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Interessen geopfert.

Noch vor wenigen Jahren war die Situation eine ganz andere: Im Krieg gegen den IS war die internationale Koalition gezwungen, das kurdische Volk und seine Verbündeten als die effektivsten Verteidigungskräfte ihres Heimatlandes anzuerkennen und zu unterstützen. Zehntausende kurdische Frauen und Männer haben in diesem Kampf ihr Leben verloren, ebenso wie viele ihrer Verbündeten, und die ganze Welt hat ihre Tapferkeit und ihren Heldenmut anerkannt. Es ist kein Geheimnis, dass Erdogan den IS in diesem Krieg unterstützt hat und dass sein Regime bis heute Teile von Rojava (Nordsyrien) besetzt hält, was zu Zwangsdeportationen, Folter und Mord an den Bewohnern geführt hat, wie immer wieder berichtet wird.

Doch nun, da der türkische Präsident die kurdischen Bemühungen um die Durchsetzung selbst der grundlegendsten Menschenrechte unterdrückt und kriminalisiert, hat das internationale System das kurdische Volk seiner Willkür überlassen. Der NATO-Gipfel hat der Türkei faktisch grünes Licht gegeben, die Kurden anzugreifen, was nichts anderes als Verrat bedeutet, sowie ein Freibrief die Menschenrechte der Kurden in der Türkei, in ganz Kurdistan und darüber hinaus zu verletzen.

Der türkische Staat ist heute ultranationalistisch, auf Assimilation bedacht und autoritär und inhaftiert Tausende von Politikern, Journalisten, Akademikern und Aktivisten sowohl türkischer als auch kurdischer Abstammung. Die internationalen Institutionen sanktionieren den Krieg der Türkei gegen die Kurden innerhalb ihrer Grenzen, was Erdogans Annexionsbestrebungen nur noch weiter radikalisiert. Seit den 1980er Jahren hat die internationale Unterstützung des türkischen Staates diesen dazu ermutigt, gewaltsame Lösungen für die kurdische Frage zu suchen, eine Gewalt, die in letzter Zeit auch auf Syrien und den Irak übergegriffen hat. Nur wenn sich beide Konfliktparteien an einen Verhandlungstisch setzen, kann diese Frage friedlich gelöst werden.

Der kurdische Kampf ist dagegen ein Kampf für Demokratie, Geschlechterbefreiung und Ökologie, die im einundzwanzigsten Jahrhundert weltweit stark bedroht sind. Im Gegensatz zur steigenden Flut rechter Politik, die auf Nationalismus, Frauenfeindlichkeit und Rassismus basiert, haben die Kurdinnen und Kurden und ihre Verbündeten in Rojava (Nordsyrien) und in ganz Syrien ein integratives Regierungsmodell etabliert, das als “demokratischer Konföderalismus” bezeichnet wird, und sind damit zu einem Hoffnungszeichen für demokratische Kämpfe auf der ganzen Welt geworden.

Wir unterstützen die Kurdinnen und Kurden, indem wir uns gegen die Unterstützung der Besatzungs- und Vernichtungspolitik des Erdogan-Regimes durch die NATO stellen. Wir verurteilen die mörderischen türkischen Operationen im Irak, die darauf abzielen, diejenigen zu töten, die die Welt gegen den IS verteidigt haben, als niemand sonst auf die Hilferufe reagierte.

Wir fordern, dass Schweden und Finnland die Umsetzung von Erdogans antidemokratischen und illegitimen Forderungen nach Auslieferung ihrer kurdischstämmigen Bürgerinnen und Bürger zurückweisen – weder wir noch die Menschen in diesen Ländern werden dies tolerieren. Wir, die wir für Freiheit, Demokratie und das Recht auf Selbstbestimmung kämpfen, leiten unsere Legitimation aus dem Gewissen der Völker der Welt ab, und wir sind stärker als die Diktaturen.

Wir werden uns gegen die niederträchtigen Aktionen der Türkei zusammenschließen, durch die die legitimen Repräsentant/innen des kurdischen Volkes und ihre Verbündeten terrorisiert werden.

Wir stehen für Demokratie und Menschenrechte und gegen Krieg, Expansionismus, Völkermord, Femizid und Ökozid. Wir rufen alle, die diese Ansicht teilen, dazu auf, dieses Internationale Kurdische Solidaritätskollektiv zu unterstützen. Gemeinsam können wir die endlosen Kriegspolitik bezwingen und dafür sorgen, dass das, was den Kurdinnen und Kurden heute widerfährt, nicht länger fortgesetzt wird und in Zukunft keiner anderen gefährdeten Gruppe mehr weltweit widerfährt.

Wie wir uns gegen repressive Politik und Strukturen in unseren Heimatländern wehren, schließen wir uns heute zusammen, um das kurdische Volk zu unterstützen, das den IS besiegt hat, aber derzeit von Erdogan erneut mit ethnischer Säuberung bedroht wird. Wir bitten alle, die kurdische Bewegung in dieser kritischen Zeit zu unterstützen und sich mit uns für Freiheit, Demokratie und Frieden einzusetzen – für die Kurden und für alle Völker.

Erstunterzeichnende der Deklaration

Zu den Unterzeichnenden gehören unter anderem Shirin Ebadi, Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin 2003, Iran; Jody Williams, Friedensnobelpreisträgerin 1997, USA; Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträgerin 2004, Österreich; Yanis Varoufakis, Professor für Ökonomie, Mitglied des griechischen Parlaments; David Adler, Generalkoordinator von Progressive Internationale, USA; Jeremy Corbyn, Mitglied des Parlaments für Islington North, ehemaliger Vorsitzender der britischen Labour Party, UK; Srecko Horvat, Philosoph, Mitgründer DiEM25, Kroatien; Massimo D’Alema, ehemaliger Präsident des Ministerrats der Republik Italien, Italien; Gregor Gysi, Mitglied des deutschen Bundestages; Karl-Heinz Lambertz, Präsident des Parlaments der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens; Zingiswa Losi, Präsident des Kongresses der Südafrikanischen Gewerkschaften (COSATU); Amineh Kakabaveh, Mitglied des schwedischen Parlaments; Ögmundur Jónasson, ehemaliger Justizminister, Island; Pierre Laurent, Vizepräsident des französischen Senats, Präsident des Nationalrats der PCF; Jonas Staal, Künstler, Gründer von New World Summit, Niederlande; Ken Loach, Regisseur und Drehbuchautor, UK; Robert Daza, Senator in Kolumbien; Vincenç Vidal, Mitglied des Senats, Spanien; Leo Gabriel, Anthropologe und Mitglied des Internationalen Rats der WSF, Österreich; Paolo Ferrero, ehemaliger Minister und Vizepräsident der European Left, Italien; Debbie Bookchin, Journalistin und Autorin, USA.