Gedenken an die Opfer der rassistischen Morde von Hanau

„Kein Vergeben - kein Vergessen“: Bundesweit ist der neun Opfer des Anschlags von Hanau gedacht worden. Die Politik wurde aufgefordert, die Forderungen der Hinterbliebenen endlich zu erfüllen: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen.

„Kein Vergeben - kein Vergessen“: In vielen Städten Deutschlands ist am Samstag der neun Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau gedacht worden. Genau zwei Jahre ist es her, seitdem Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov und Sedat Gürbüz von einem Deutschen aus rassistischen Motiven in Hanau ermordet wurden. Bundesweit gab es mehr als 100 Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen, um an sie zu erinnern und politische Konsequenzen einzufordern. Wir berichten über eine kleine Auswahl.

In Hanau fand zunächst eine zentrale Gedenkstunde auf dem Hanauer Hauptfriedhof statt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte dabei eine „lückenlose und transparente Aufklärung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags“ und ein entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus an. Dessen Bekämpfung habe für sie „oberste Priorität“. Für eine anschließende Kundgebung versammelten sich rund 1.000 Menschen in der Hanauer Innenstadt, viele hielten Schilder mit Bildern der Getöteten in die Höhe. Çetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan zu den neun Opfern des Anschlags gehörte, sagte bei der Kundgebung: „Wir kämpfen für Erinnerung, für Gerechtigkeit, für Aufklärung und für Konsequenzen. Das tun wir für uns, und das tun wir, weil keine andere Familie nochmal dasselbe erleben soll. Das tun wir für Hanau. Und das tun wir für die ganze Gesellschaft.“

Nürnberg

Bei einer in Nürnberg von Didif angemeldeten Demonstration vom Aufseßplatz zum Kornmarkt waren viele Gruppen dabei – unter anderem die Migrantifa, das Bündnis Nazistopp, der Bayrische Flüchtlingsrat, die Falken, die Interventionistische Linke, AGIF, die Seebrücke, Fridays für Future, die Organisierte Autonomie, die Grüne Jugend, die Linke, die Jusos und auch viele Unorganisierte. Immer wieder waren Sprechchöre zu hören wie „Staat und Nazis Hand in Hand – Unsere Antwort Widerstand!“ oder „Alerta, Alerta, Antifascista!“

In mehreren Redebeiträgen wurde hervorgehoben, dass Erinnerung, Trauer und Wut nicht ausreichen. Es gehe um die Forderung nach lückenloser Aufklärung und vor allem aber um Konsequenzen.

Deutschland ist ein Meister in der „Kultur des Verdrängens“. Die Großeltern haben es vorgemacht, als nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine sogenannte „Stunde Null“ ausgerufen wurde. Ein „Neubeginn“ sollte es sein. Das „alte Böse“ wollte man hinter sich lassen. So blieben Personen und Strukturen des faschistischen Systems weitgehend unangetastet. Eine konsequente Ent-Nazifizierung unterblieb; Schlüsse für individuelles und staatliches Handeln aus dem Menetekel wurden niemals gezogen.

Nach jedem faschistischen Anschlag folgten seitdem Entrüstung, Fassungslosigkeit und moralische Appelle. Das war‘s dann auch. Schnell ging man wieder zur Tagesordnung über. Die Aufarbeitung der NSU-Verbrechen scheiterte bislang, ein NSU 2.0 konnte sich etablieren. Und noch immer werden Akten geschreddert oder verschwinden über Jahrzehnte in Geheimschubladen. Man erfand das Mythos des „Einzeltäters“, um sich nicht weiter um faschistische Strukturen inmitten der Gesellschaft kümmern zu müssen.

Deshalb stand bei der Kundgebung heute neben der Erinnerung an Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović auch die Forderung nach einer umfassenden Aufklärung des Massakers von Hanau im Mittelpunkt. Die Aufdeckung der rechtsterroristischen Netzwerke und die Entlarvung des sie schützenden strukturellen Rassismus wären ein notwendiger erster Schritt im Kampf gegen Faschismus und Rassismus. Wenn sich zur Trauer über die Opfer und zur Empathie für die Hinterbliebenen nicht eine Analyse der Tat-Ursachen und ein ernsthafter, kollektiver Wille zur Veränderung gesellen, ist ein Ende der Reihe faschistischer Attentate nicht abzusehen.

Nancy Faeser wird an ihren heutigen Worten gemessen werden. Dabei geht es um weit mehr als Hanau. Aktuell liegt der Ministerin ein Offener Brief der Föderation der Gesellschaften Kurdistans e.V. (KON-MED) vor, in dem sie aufgefordert wird, das BAMF anzuweisen, die Abschiebungen von kurdischen Geflüchteten in die Türkei auszusetzen. Jeder weiß, dass ihnen dort lange Haftstrafen und Folter drohen – alleine deshalb, weil sie Kurd:innen sind. Es wäre auch ein Zeichen gegen Rassismus, wenn eine Ministerin, die sich zum Antifaschismus bekennt, Abschiebungen untersagt in ein Land, das geprägt ist von Menschenrechtsverletzungen und offenem Rassismus. Im nächsten Schritt könnte sie dann das Ende der Kriminalisierung von Bewegungen in die Wege leiten, die seit vielen Jahren gegen Faschismus und Rassismus eintreten. Konkret geht es dabei auch um die Aufhebung des Verbots der PKK – ein Relikt aus dunklen Zeiten, als Freiheitsbewegungen noch bekämpft wurden, weil der Kampf gegen den Faschismus auf ihren Fahnen steht.

Hamburg

In Hamburg kamen etwa 1.500 Menschen in Barmbek zu einer Kundgebung zusammen, um den Opfern von Hanau zu gedenken.

„Das Massaker von Hanau steht in einer langen Reihe rassistischer Morde in Deutschland und deren lückenhafter Aufklärung. Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus ist untrennbar verbunden mit der Solidarität im gemeinsamen Kampf für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe, gegen strukturelle Diskriminierung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, gegen rassistische Beleidigungen, Polzeigewalt, Racial Profiling und rechte Diskurse aller Art“, hieß es in dem Aufruf.

Der Ort war sehr bewusst gewählt, denn immer wieder haben Nazis erfolglos versucht in dem traditionellen Arbeiter:innenviertel Fuß zu fassen. In mehreren Redebeiträge wurde die restlose Aufklärung der Morde von Hanau gefordert. Redner:innen erklärten wiederholt, dass Rassismus ein Herrschaftsinstrument sei, um die Menschen davon abzuhalten, sich gegen die Herrschenden solidarisch zusammenzuschließen.

Mainz

In Mainz beteiligten sich auch Aktive der kurdischen Studierendenverbände YXK und JXK an der Gestaltung einer Gedenkdemonstration. Die Gruppen gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der es unter anderem hieß: „Der rechtsterroristische und feige Anschlag von Hanau war kein Einzelfall, sondern reiht sich in die lange Geschichte des Rechtsterrors in Deutschland ein.

Wir sind immer noch voller Wut und Trauer. Vor allem auch wegen der Mitschuld der deutschen Sicherheitsbehörden, die unter anderem durch die Recherche der Initiative 19. Februar Hanau ans Licht kam. Mitschuld, die sich durch die fehlende Einsicht der Behörden und Ignoranz wiederholen kann.  Wir wissen ganz genau, dass sie uns keine Sicherheit geben können und werden. Denn wäre das so, dann hätten neun Menschen durch einen rechtsextremen Attentäter, der den Sicherheitsbehörden schon zuvor bekannt war, nicht ihr Leben verloren.“

Gefordert wurde, dass die Politik zur Verantwortung gezogen wird, weil diese noch immer nicht nachhaltig und vor allem institutionell gegen Rechtsterrorismus und Rassismus vorgehe. Durch die verweigerte „neue Politik gegen rechts“ bestehe die Gefahr, dass Hanau jederzeit wieder passieren könne. „Unseren gemeinsamen Verlust rückgängig zu machen, ist nicht möglich. Aber alle Täter und Mittäter ins Scheinwerferlicht zu stellen und diese Taten in Zukunft unmöglich zu machen, das liegt heute in unserer Hand.  Wir sagen heute, genauso wie im letzten Jahr, geschossen wurde auf sie, gemeint sind wir alle. Unsere Versprechen an alle Opfer muss sein; Antifaschismus als Grundhaltung., Widerstand und Kampf um Gerechtigkeit.“

Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags

Zwei Jahre nach dem rassistischen Angriff von Hanau sind noch viele Fragen offen. Mit der Aufarbeitung der Tat befasst sich derzeit ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, der insbesondere der Frage nachgeht, ob es vor, während oder nach dem Anschlag zu einem Behördenversagen kam. Der Attentäter hatte vor seiner Gewalttat rassistische Hetzschriften und Videos mit Verschwörungstheorien im Internet veröffentlicht. Die Initiative 19. Februar Hanau wirft den Sicherheitskräften und Behörden „unverzeihliches Fehlverhalten“ in der Tatnacht sowie nachlässige Ermittlungen vor und spricht von Respektlosigkeit gegenüber Angehörigen und Überlebenden und selbst gegenüber den Toten. Die Initiative will die Namen der Opfer unvergessen machen. Ihre Namen sollen erinnern und mahnen, „den rassistischen Normalzustand im Alltag, in den Behörden, den Sicherheitsapparaten und überall zu beenden. Der rassistische Anschlag war auch ein Ergebnis der rechten Hetze von Politiker:innen, Parteien und Medien. Behörden und Sicherheitsapparate haben ihn durch ihre strukturelle Inkompetenz und Ignoranz weder verhindert noch aufgeklärt. Das ist das Zusammenspiel, das in den Handlungen Einzelner ihre mörderische Zuspitzung und Folge findet und damit sind rechte Terrorakte niemals Einzeltaten“.