#FreeMaxZirngast: „Appeasement ist hier nicht angebracht“

Der Österreicher Max Zirngast ist weiterhin in türkischer Untersuchungshaft. Das österreichische Außenministerium setzt auf stille Diplomatie, die Solidaritätskampagne fordert hingegen öffentlichen Druck.

Der Österreicher Max Zirngast wurde am 11. September in Ankara festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis Sincan. In Wien wurde kurze Zeit später eine Kampagne für seine Freilassung gestartet, die über Österreich hinaus breite Unterstützung erfährt.

Die österreichische Regierung hält sich zu dem Fall relativ bedeckt. Außenministerin Karin Kneissl warnte sogar, ein „mediales Hochspielen“ des Falles sei „kontraproduktiv“. Die Solidaritätskampagne #FreeMaxZirngast hält in einer ausführlichen Stellungnahme dagegen, dass nur öffentlicher und politischer Druck etwas bewegen können:

„Nach den anfänglichen Äußerungen von Regierungssprecher Launsky-Tieffenthal, Kanzler Kurz (ÖVP), Vize-Kanzler Strache (FPÖ) und Außenministerin Kneissl zum Fall Max Zirngast am 11. und 12. September 2018 war lange Zeit so gut wie nichts mehr von offizieller Seite zur Sache zu hören. Nun hat sich Außenministerin Kneissl gleich mehrmals in der Causa zu Wort gemeldet. Wir müssen sagen, dass wir unser Erstaunen über die Inhalte ihrer Äußerungen schwer verbergen können.

Stille Diplomatie

In der Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses des österreichischen Nationalrats vom 19. Oktober 2018 hielt Ministerin Kneissl laut APA-Meldung fest, „dass sie beim türkischen Außenminister faire[s] Verfahren eingefordert habe. Wie in all diesen Fällen würde der Weg der Diplomatie verfolgt, ein mediales Hochspielen sei allerdings kontraproduktiv.“ In einer weiteren APA-Meldung zur selben Sitzung wird festgehalten, dass sie wenig Neues zur Causa zu berichten wisse:

Er sitze noch immer in Untersuchungshaft und werde intensiv von der Botschaft in Ankara betreut. Ein besonderes Anliegen war es ihr, dass er regelmäßig Besuch von den Eltern erhalten kann. Leider könne man derzeit nicht einschätzen, wie lange die Untersuchungshaft noch dauern wird. Sobald es zu einem Prozess kommt, werde ihm auch ein permanenter Beobachter zur Seite gestellt. Der Fall sei natürlich Thema bei diversen politischen Treffen, erklärte Kneissl, die in solchen Angelegenheiten auf den „Weg der stillen Diplomatie“ setzt.

Uns ist kein Fall stiller Diplomatie im Angesicht des Erdoğan-Regimes bekannt, der zu frühzeitiger Entlassung aus ungerechtfertigter Haft geführt hätte. Bisher hat im Gegenteil immer nur politischer und zivilgesellschaftlicher Druck sowie mediale Öffentlichkeit etwas bewirkt. Siehe die Fälle Deniz Yücel, Peter Steudtner oder auch Meşale Tolu. Und da wäre nicht zuletzt der Fall des Pastors Andrew Brunson: Er saß ganze zwei Jahre aus fadenscheinigen Gründen im türkischen Gefängnis. Dann setzte US-Präsident Donald Trump – seine Motive seien einmal beiseite gestellt – die Daumenschrauben an und innerhalb von drei Monaten war Pastor Brunson frei.

Politische Gesinnungsjustiz

Auch die Rede von einem „fairen Verfahren“ ist grotesk. Ministerin Kneissl ist sicherlich bekannt, dass Erdoğan als Staatspräsident seit der Einführung des Präsidialsystems nach dem Referendum im April 2017 auch die wichtigsten Schaltstellen der Judikative kontrolliert, sofern er dies nicht vorher schon de facto tat. Wir können der Ministerin gerne eine notariell beglaubigte Übersetzung der Vernehmungsprotokolle von Max Zirngast bei Haftrichter und Staatsanwalt vorzeigen (hier finden sich übersetzte Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen). Aus ihnen ist ersichtlich, daß pure politische Gesinnungsjustiz betrieben wird. Es geht um das Mundtotmachen eines oppositionellen Forschers, Journalisten und Aktivisten, der keine Straftaten begangen hat – und um nichts anderes. Ohne einen einzigen Beweis, ja nicht einmal Indizien für eine Straftat und auf Grundlage einer unfertigen Anklage, die zudem noch unter Verschluss gehalten wird, wird Max Zirngast seit dem 20. September 2018 im Hochsicherheitsgefängnis Sincan wie ein schon verurteilter Schwerverbrecher und Terrorist festgehalten. Unter diesen Umständen und vor diesem Hintergrund von der Forderung eines „fairen Verfahrens“ zu reden, gibt der derzeitigen politischen Willkürjustiz in der Türkei einen Schein von Rechtsstaatlichkeit, den sie schon lange nicht mehr besitzt. Die vor diesem Hintergrund einzig angemessene Forderung ist die nach der sofortigen Freilassung von Max Zirngast.

Menschenrechte nach zweierlei Maß?

Umso mehr verwundert es uns, dass Ministerin Kneissl im Angesicht der – sichere Erkenntnisse stehen immer noch aus – mutmaßlich extrem brutalen Ermordung des saudiarabischen Journalisten Kashoggi in der Türkei offensichtlich ganz andere Worte und eine ganz andere Form der Diplomatie für Saudi Arabien findet. Für sie ist die mutmaßliche Ermordung von Kashoggi der „Gipfel des Horrors“. Laut derselben APA-Meldung hält Ministerin Kneissl zusätzlich folgendes zu Saudi Arabien fest:

In den letzten zwei Jahren kam es zu einer massiven Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien, mittlerweile gebe es über zehntausend politische Häftlinge, zeigte die Ministerin weiter auf. So wurden etwa Anfang Juni zahlreiche Frauen verhaftet, deren einziges Verbrechen die Teilnahme an Kongressen war. Sie habe dieses Thema auch immer wieder bei ihren EU-KollegInnen angesprochen, aber bezüglich einer gemeinsamen Vorgangsweise auf Granit gebissen.

Das mit der „massiven Verschlechterung der Menschenrechtssituation“ und den „über zehntausend politischen Häftlingen“ kommt uns sehr bekannt vor: Seit dem Militärputsch vom 15. Juli 2016, den Erdoğan ja als „Gottes Segen“ bezeichnete, wurden in der Türkei über 170.000 Staatsbeamtete ihres Dienstes suspendiert, über 140.000 Personen wurden in Gewahrsam genommen und über 81.000 Personen inhaftiert (Stand: 29.08.18, Quelle: turkeypurge.com). Es sitzen auch „Parlamentarier*innen und sogar Bürgermeister*innen“ im Gefängnis, wie Max Zirngast in seiner Grußbotschaft vom 26. September 2018 festhält. Über mehr als ein Dutzend mehrheitlich kurdischer Städte wurde der Ausnahmezustand verhängt, teils wurden die Städte in Grund und Boden bombardiert. Die Akademiker*innen für den Frieden (BAK) wurden wegen der Veröffentlichung eines Friedensaufrufs wegen „Beleidigung des Türkentums, der Republik und ihrer Organe“ und „Propaganda für terroristische Organisationen“ angeklagt, festgenommen und/oder entlassen, können nicht mehr ihrem akademischen Beruf nachgehen, viele fliehen nach Europa. An die 100 mehrheitlich kurdische Bürgermeister*innen wurden abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt. Über 300 Journalist*innen wurden zumindest zeitweise inhaftiert, in etwa 170 sitzen immer noch hinter Gittern, über 180 Medienunternehmen wurden geschlossen.

Die Liste ließe sich fortsetzen, wir machen hier einen Punkt: Was „massive Verschlechterung der Menschenrechtssituation“ und „über zehntausend politische Häftlinge“ angeht, sehen wir keine großen Unterschiede zwischen der Türkei und Saudi-Arabien. Warum Ministerin Kneissl für das türkische Regime viel sanftere Worte findet und eine „stille“ Diplomatie empfiehlt, wo sie betreffs Saudi Arabien sehr klare und heftige Worte findet und eine aggressive Diplomatie empfiehlt, darüber können wir nur mutmaßen. Vielleicht sind einfach die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen mit der Türkei größer.

Begrüßenswerte politische Initiativen

Begrüßen können wir hingegen, dass ein Antrag aller fünf Parteien im Außenpolitischen Ausschuss vom 19. Oktober (398/A(E)) unter anderem von der Bundesregierung fordert, „sich für die Verbesserung der Situation von Journalistinnen und Journalisten sowie Oppositionspolitikerinnen und Politikern einzusetzen sowie die besorgniserregende Menschenrechtssituation der kurdischen Zivilbevölkerung in bilateralen Kontakten anzusprechen und sich auf allen Ebenen für eine Verbesserung der Situation der Betroffenen einzusetzen.“ Ebenfalls begrüßen wir den von Liste Pilz, NEOS und SPÖ eingebrachten Antrag (342/A(E)), der die Bundesregierung dazu auffordert, „alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Freilassung des österreichischen Journalisten Max Zirngast zu erwirken.“ Laut Meldung der APA-OTS vom 19. Oktober soll nun auf diesen Antrag ein Antrag aller fünf Fraktionsparteien „für alle in der Türkei unter fragwürdigen Umständen verhafteten ÖsterreicherInnen im Parlament eingebracht“ werden.

Dies sind Schritte in die richtige Richtung. Appeasement hingegen ist kontraproduktiv und wird weder bei Max Zirngast, noch bei den anderen zu Unrecht Inhaftierten etwas bewirken. Nur öffentlicher und politischer Druck sowie Solidarität werden das bewirken. Wir werden unermüdlich weitermachen, bis Max Zirngast wieder frei ist.“