In Deutschland schlossen sich heute zahlreiche Aktivist:innen dem Aufruf des kurdischen Dachverbands KON-MED an und protestierten in Dutzenden Städten gegen die Luftangriffe der türkischen Armee auf das Geflüchtetenlager Mexmûr und die ezidische Şengal-Region in Südkurdistan (Nordirak) sowie auf die Kleinstadt Dêrik in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. Bei den Bombardierungen sind am Dienstagabend im Nordirak und in Nordsyrien neun Menschen ums Leben gekommen, darunter drei Zivilisten in Şengal, zwei Mitglieder der Selbstverteidigungskräfte im Flüchtlingslager Mexmûr und vier QSD-Kämpfer, die eine Elektrizitätsstation in Dêrik bewachten. Dutzende Menschen wurden verletzt.
NATO-Mitglied Türkei nutzt die Gunst der Stunde
Während die internationale Politik und die Medien täglich mit dem Russland/Ukraine-Konflikt beschäftigt sind, nutzt das NATO-Mitglied Türkei die Gunst der Stunde, um einen Großangriff auf kurdische Siedlungsgebiete zu starten. Anlass ist mutmaßlich eine Vergeltung für die erfolgreiche Niederschlagung des Ausbruchs von Terroristen des IS (sog. Islamischer Staat) aus dem Gefängnis in Hesekê durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD, engl. Syrian Democratic Forces, SDF). Es ist bekannt, dass der türkische Staat seit langem den IS unterstützt und gezielt den multiethnischen Militärverband attackiert, der nicht nur mithilfe internationaler Kräfte die Dschihadisten besiegte, sondern auch Tausende Terroristen in Gefangenenlagern interniert hat. Die Autonomieverwaltung in Nordostsyrien wurde damit alleine gelassen; Appelle an die internationale Gemeinschaft, wenigsten die „eigenen“ IS-Terroristen zurückzunehmen, scheiterten bisher.
Auf den Kundgebungen und Demonstrationen wurde in Reden darauf hingewiesen, dass ein Wiedererstarken des IS den dschihadistischen Terror wieder nach Europa bringt. Es sei völlig unverständlich, weshalb die neue Bundesregierung trotz dieser Gefahr nicht handelt und keine Konsequenzen zieht.
Sicherheitsrisiko für Europa
Mit ihrer einseitigen Fokussierung auf die Niederschlagung der kurdischen Bewegung und der PKK ist die Türkei längst ein Sicherheitsrisiko für Europa geworden. Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik sei dringend geboten. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock müsse dem türkischen Staat unmissverständlich klarmachen, dass Kriegshandlungen gegen Kurd:innen nicht mehr geduldet werden und eine mittel- oder unmittelbare Unterstützung des islamistischen Terrors Sanktionen zur Folge haben werden.
Deutsch-türkische Partnerschaft beenden
Gleichzeitig wurde gefordert, dass die Bundesregierung sofort die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland einschließlich des Verbots der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beendet. Die Verfolgung derjenigen, die mit einem hohen Blutzoll den IS bekämpfen und deren Name für den Aufbau einer demokratischen, multi-ethnischen Gesellschaft steht, war jahrzehntelang ein Zugeständnis an die türkische Regierung. Da diese den Boden der Rechtsstaatlichkeit längst verlassen und einen völkerrechtswidrigen Kriegskurs eingeschlagen habe, müsse die politische, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit eingestellt werden. Mit den Giftgasangriffen, der Bombardierung ziviler Siedlungen und der systematischen Vernichtung der Ökologie Kurdistans sei längst die rote Linie überschritten. Wer jetzt noch von deutsch-türkischer Partnerschaft rede, mache sich mitschuldig an den Kriegsverbrechen in Kurdistan.
Proteste in Deutschland
An einer Kundgebung am Hallplatz in Nürnberg nahmen neben kurdischen Aktivist:innen vom Medya Volkshaus auch zahlreiche solidarische Gruppen wie ATIF sowie Internationalist:innen teil, unter anderem von den Falken, der Interventionistischen Linken, der Organisierten Autonomie, der Seebrücke Nürnberg, der Roten Hilfe und andere.
In Heilbronn fand eine vom Kurdischen Gesellschaftszentrum organisierte Kundgebung auf dem Kiliansplatz statt. In Redebeiträgen wurde auf die kontinuierlichen Kriegsverbrechen des NATO-Staates Türkei hingewiesen und die Beendigung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung des Erdogan-Regimes durch die Bundesregierung gefordert.
In Freiburg hat eine Demonstration stattgefunden.
Auf einer Kundgebung vor dem Kölner Dom sprachen unter anderem Zübeyde Zümrüt (KON-MED) und Serpil Arslan (AVEG-KON).
In Saarbrücken fand eine Protestaktion vor der Europa Galerie statt.
Bei einer Kundgebung mit anschließender Demonstration in der Hamburger Mönckebergstraße wurden die türkischen Angriffe verurteilt.
Eine Protestaktion in Düsseldorf richtete sich gegen die bundesdeutsche Unterstützung des türkischen Regimes.
Auf einer Kundgebung in Duisburg sprach unter anderem Ayten Kaplan vom Frauenverband YJK-E.
Zu einer Kundgebung vor dem Bielefelder Hauptbahnhof hatte das Friedenshaus Mesopotamien e.V. (Kurdistan Zentrum) gemeinsam mit den ezidischen Organisationen NAV-YEK, SMJÊ UND HCÊ aufgerufen. Eine solidarische Teilnahme erfolgte durch Vertreter:innen von Alibi (Antinationale Linke Bielefeld), Die Linke Bielefeld, RiseUp Bielefeld und der Initiative „Partnerschaft der Regionen Kobanê/Rojava und Herford“. Die JXK (Studierende Frauen aus Kurdistan) hielt einen Redebeitrag, in dem die türkischen Aggressionen gegen die kurdische Selbstverwaltung verurteilt wurden.
In Kiel wurde auf einer Kundgebung gegen die türkischen Invasionsangriffe protestiert.
Bei einer Demonstration in Hannover wollte die Polizei Fahnen der YPJ und YPG verbieten.
In Tübingen hat eine Kundgebung stattgefunden, um gegen die Angriffe des türkischen Staats auf Rojava, Şengal und Mexmûr zu protestieren. Circa 80 Personen folgten dem spontanen Aufruf von Women Defend Rojava auf den Tübinger Holzmarkt. Der Protest wurde gemeinsam vom Women Defend Rojava, dem demokratischen kurdischen Gesellschaftszentrum Tübingen/Reutlingen, einer migrantischen Selbstorganisation, dem Antikapiltalistischen Klimatreffen (TO AKT), dem Offene Treffen gegen Faschismus und Rassismus (OTFR) sowie Ende Gelände organisiert. Neben Redebeiträgen und Musik wurden zum ersten Mal auch Unterschriften für die neue Kampagne „Justice for Kurds“ zur Streichung der PKK von der EU-Terrorliste gesammelt."
In Kassel und Göttingen gingen Kurd:innen und Internationalist:innen auf die Straßen.
Bei einer Kundgebung vor der Bürgerschaft in Bremen sprach unter anderem Yüksel Koç als Ko-Vorsitzender des kurdischen Europaverbands KCDK-E.
Auf dem Marktplatz in Halle fand eine Kundgebung vom Rojava-Solibündnis statt, auf der erklärt wurde: „Wir senden solidarische Grüße, Kraft und Hoffnung aus Halle zu unseren Freund:innen in Kurdistan. Ihr seid nicht alleine in diesen schweren Zeiten!"
Weitere Proteste fanden unter anderem in Frankfurt, Mainz, Dortmund, Mannheim, München, Darmstadt und Berlin statt. Auch in anderen europäischen Ländern wurde gegen die türkischen Angriffe protestiert.