Demonstration für Bleiberecht in Braunschweig

Unter dem Motto „Hiergeblieben! Bleiberecht ist Menschenrecht“ demonstrierten am heutigen Samstag in Braunschweig rund 150 Menschen für mehr Solidarität mit Flüchtlingen sowie gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung.

In Braunschweig demonstrierten am Samstag etwa 150 Menschen für mehr Solidarität mit Flüchtlingen, Abschiebestopp und gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung. Aufgerufen zu der Demonstration hatte das Bündnis „Hiergeblieben! Bleiberecht ist Menschenrecht“. Die Kampagne wurde von der AG gegen Rechts im Jugendring Braunschweig e.V. ins Leben gerufen und wird von verschiedenen Akteur*innen unterstützt.

Die Veranstaltung begann um 13 Uhr auf dem Kohlmarkt. In mehreren Redebeiträgen wurde die flüchtlingsfeindliche Politik der EU-Staaten kritisiert. Statt wirksamer Hilfe und sicheren Fluchtwegen für Schutzsuchende werden Landwege militärisch abgeschottet und „Waffen in alle Kriege der Welt geliefert“. Die Rednerinnen und Redner forderten einen sofortigen Abschiebestopp und Bleiberecht für alle sowie die Aufhebung von Abkommen mit „diktatorischen Staaten“. Der folgende Beitrag wurde von den „Freund*innen der kurdischen Freiheitsbewegung“ aus Braunschweig gehalten:

„Liebe Genoss*innen, liebe Unterstützer*innen, liebe Freund*innen,

ich glaube, ich muss keine Worte mehr über den lebensgefährlichen Weg vieler Menschen verlieren, die aus ihrer Heimat nach Deutschland kommen. Etliche sterben auf diesem Weg. Wenige erreichen dieses Land. Und die, die es schaffen, sehen sich gewaltigen Erwartungen der Gesellschaft konfrontiert: Sprache lernen, Gesetze kennen, integrieren, nicht auffallen. Aber viele Deutsche erwarten auch eines: Die Geflüchteten sollen den Mund halten. Brav sein. Nicht aufmucken.

Und wer dies nicht tut? Wer sich zum Beispiel politisch engagiert?

Ich möchte an einen sogenannten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtling“ erinnern. Er kam aus seiner Heimat, wo er und seine Familie vom Militär bedroht wurden, in dieses Land. Es wird vermutet, dass er vor seiner Flucht festgenommen und gefoltert wurde. Hier in Deutschland engagierte er sich politisch gegen die Zustände in seinem Heimatland. Dieser Junge hieß Halim Dener.

Bestimmt haben viele von euch schon davon gehört: Beim Kleben von Plakaten für die PKK wurde Halim nach einem Handgemenge mit einem Polizisten erschossen. Sein Tod wurde nie wirklich aufgeklärt. Der Täter freigesprochen. Diese Tat kann symbolisch für das Verhältnis des deutschen Staates zu Menschen gewertet werden, die sich für ihre Sache einsetzen. Besonders, wenn es gegen Handelspartner der BRD geht. In keinem Land Europas findet eine derartige Kriminalisierung, ja Bekämpfung, der kurdischen Bewegung statt. Viele Organisationen sind verboten, die anderswo frei arbeiten können. Wer hier in Deutschland auch nur demonstriert, muss Angst haben, dass staatliche Terrorkommandos die Wohnung stürmen. Der deutsche Staat kann sich nämlich gar nicht schnell genug zum willfährigen Büttel der faschistischen Regierung der Türkei machen. Wie schon beim Völkermord an den Armeniern steht der deutsche Staat, Gewehr bei Fuß, an der Seite der Türkei.

Symbole wie die Fahne der YPG/YGJ werden kriminalisiert, das kurdische Kulturzentrum in Hannover mehrfach gestürmt und verwüstet, der kurdische Mezopotamien Verlag wurde mit der Beschlagnahmung nicht verbotener Schriften fast in den Bankrott getrieben, ein Grafitto zur Erinnerung an Halim Dener wird nach 23 Jahren kriminalisiert, Vereine werden in ihrer Arbeit behindert und immer wieder Personen festgenommen oder aus lächerlichen Gründen angezeigt,…

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Deutlich wird: Dem deutschen Staat sind nur die Geflüchteten genehm, die sich fatalistisch allen Schikanen ergeben. Wer dies nicht tut, wird aus kapitalistischen und rassistischen Gründen diskriminiert, eingesperrt oder in letzter Konsequenz getötet. Getötet wie der junge Kurde Amad Ahmad, der vor einem Monat in der JVA Kleve starb, wo er unrechtmäßig gefangengehalten wurde. Und war sich der Justizminister von NRW noch nicht mal zu schade, die Schuld Amad in die Schuhe zu schieben und einen Suizid zu behaupten. Währenddessen dürfen türkische Spitzel in Deutschland ungehindert agieren und dringen bis in die Polizei vor, um den türkischen Staat mit Informationen über unliebsame Personen zu versorgen. All dies ist für uns nicht hinnehmbar.

Wir fordern, dass auch Geflüchtete sich hier in Deutschland politisch engagieren können, ohne kriminalisiert zu werden. Keine Deals mit der Türkei! Keine Zusammenarbeit mit den Behörden verbrecherischer Regime! Ich möchte enden mit den Worten eines verbotenen Weisen: Das Leben des freien Menschen zu verteidigen, dessen Kraft des Verstehen eine vielleicht unendliche Schönheit besitzt, bedeutet zu kämpfen!“

Vom Kohlmarkt ging es unter lauten Parolen am Rathaus vorbei zum Schlossplatz. Nach weiteren Redebeiträgen, unter anderem einem sehr bewegenden Beitrag von Hamid aus Afghanistan, der von seiner Flucht und dem Verlust seiner Eltern an der pakistanischen Grenze berichtete, zog die Demonstration anschließend durch die Innenstadt zurück zum Kohlmarkt. Dort endete sie mit einer Videobotschaft von Sally Perel. Dem israelischen Autor, der auch bekannt als „Hitlerjunge Salomon“ ist, war es als Mitglied der Hitlerjugend gelungen, seine jüdische Identität zu verbergen und den Nationalsozialismus zu überleben. Sein Statement wurde vor wenigen Tagen im Rahmen einer Veranstaltung des Bündnisses „Hiergeblieben! Bleiberecht ist Menschenrecht“ aufgezeichnet. Perel gehört zu den Unterstützern des Aufrufs.