Australien unterdrückt Stimmen von Geflüchteten

Sechs Jahre lang wurde Farhad Bandesh aus Ostkurdistan auf Manus Island interniert. Seit neun Monaten befindet er sich auf australischem Festland und protestierte zuletzt gegen fehlende Corona-Prävention in einer Sammelunterkunft. Nun wurde er verhaftet.

Kriege, Vertreibungen, Hunger, Naturkatastrophen: Es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Aufgrund verschiedener Krisenherde in der Welt fliehen jedes Jahr Millionen Menschen aus ihren Heimatländern. Doch ihre Hoffnung auf ein besseres Leben endet nicht selten in einem Albtraum. Oft sind die Verhältnisse nach der Flucht schlimmer als die, vor denen die Menschen geflohen sind.

Farhad Bandesh ist nur einer von unzähligen Geflüchteten, die versuchen, diesen Albtraum zu überleben. 2013 verließ der 38 Jahre alte Gitarrenbauer, Musiker und Maler aus politischen Gründen seine Heimat in Ostkurdistan (Iran) und versuchte über Indonesien auf dem Seeweg nach Australien zu fliehen. Doch anders als Asylsuchende, die auf dem Landweg einreisen, kommen auf See aufgegriffene Bootsflüchtlinge gar nicht erst dazu, einen ordnungsgemäßen Antrag zu stellen. Stattdessen werden sie von Canberra auf unbestimmte Zeit, in den meisten Fällen über Jahre, in Offshore-Lagern auf den Pazifikinseln Manus und Nauru in Papua-Neuguinea interniert.

Menschenrechtsorganisationen warfen Australien immer wieder vor, in den Auffanglagern gegen die Antifolterkonvention zu verstoßen – auch die UNO. Die Behandlung der Flüchtlinge sei grausam, inhuman und menschenunwürdig, die hygienischen Zustände seien schockierend, es mangelte an Grundnahrungsmitteln und medizinischer Versorgung. Amnesty International sprach sogar von einem Freiluftgefängnis und Folter. Und 2016 veröffentlichte die britische Zeitung „The Guardian“ schließlich rund 2.000 Dokumente, die von Mitarbeitern des Flüchtlingslagers auf Nauru verfasst wurden und die skandalösen Zustände dort beschreiben. Die „Nauru Files“ dokumentieren Vorfälle von sexuellem Missbrauch und Gewalt gegen Kinder, Vergewaltigungen von Frauen, Selbstmordversuche und desolate hygienische Zustände. Ärzte ohne Grenzen warnte wiederholt vor den dramatisch hohen Zahlen an Selbsttötungsversuchen – auch bei Kindern. Die australische Regierung beharrt allerdings nach wie vor darauf, mit ihrer umstrittenen Flüchtlingspolitik Menschenschmuggel zu unterbinden und Leben zu retten.

Hotel Mantra in Melbourne, 24. April 2020

Der Guardian veröffentlichte auch die von Behrouz Boochani geschriebenen Berichte über das Elend auf Manus. Der Flüchtling aus Îlam in Ostkurdistan wurde in Gefangenschaft zu einem wichtigen Zeugen der menschenrechtswidrigen Flüchtlingspolitik Australiens und Sprecher der Lagerinsassen auf der Pazifikinsel, die einst in deutschem, später in australischem Kolonialbesitz war. Dort entstand auch sein Buch „No Friend But the Mountains: Writing from Manus Prison” (Kein Freund außer den Bergen: Texte aus dem Gefängnis Manus). Boochani schrieb sein Erstlingswerk mit Handy-Nachrichten, die er von der Insel schickte, und gewann damit den Victorian Premier's Literary Award – den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Zusammen mit Arash Kamali Sarvestani drehte er auf Manus außerdem den Dokumentarfilm „Chauka, Please Tell Us the Time”. Der Film, der über mehrere Monate mit einem Mobiltelefon gedreht wurde, handelt vom Alltag in dem Internierungslager. Seit November 2019 ist Behrouz Boochani frei und lebt heute in Neuseeland.

Auch Farhad Bandesh befand sich mehrere Jahre auf Manus – genauer gesagt im Manus Regional Processing Centre (MRPC). Das Internierungslager wurde nach einem Urteil des Obersten Gerichts von Papua-Neuguinea Ende 2017 offiziell geschlossen, die Insassen mussten in drei neue Unterbringungszentren auf der Insel umziehen. Die Räumung des MRPC wurde von Polizeikräften aus Papua-Neuguinea durchgeführt, die äußerst gewaltsam vorgingen. Etliche Asylsuchende wurden misshandelt.


Anfang 2019 bestätigte die Oberkammer des australischen Parlaments das Medevac-Gesetz, wodurch es kranken Asylsuchenden auf den Pazifikinseln leichter gemacht wurde, auf dem Kontinent medizinisch behandelt zu werden. Im Zuge dessen wurden ab März vergangenen Jahres etwa 200 Flüchtlinge nach Australien gebracht, einer von ihnen war Farhad Bandesh. Er litt über Monate an Zahnschmerzen und wurde mit Dutzenden weiteren ehemaligen Manus-Insassen in das Mantra-Hotel in Preston, einem Vorort von Melbourne evakuiert. Aber auch hier sind die Asylsuchenden mit Einschränkungen ihrer Mobilität und Bewegungsfreiheit konfrontiert, denn bei dem Hotel handelt es sich inzwischen um ein provisorisches Internierungslager. Verlassen dürfen die mehr als 60 Flüchtlinge das Gebäude nicht. Im Dezember hat Australiens Regierung das Medevac-Gesetz gekippt. Mit der Gesetzesrücknahme können kranke Flüchtlinge nicht mehr zur Behandlung ins Land.

Im Mantra ist Farhad Bandesh der Fürsprecher der Insassen. Seit neun Monaten prangert er die Zustände in dem Hotel an und initiiert Kampagnen in den sozialen Medien, zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie. Die Verhältnisse belasten die Schutzsuchenden ohnehin sehr stark, durch das Coronavirus ist die Lage mittlerweile dramatisch. „Wir bleiben zu Hause”, die vielfach geforderte soziale Distanz, ist in den Mehrbettzimmern im Hotel Mantra nicht einzuhalten. Ohne einen Rückzugsort für jede Person droht in der Unterkunft eine schnelle Ansteckung. Im Hotel sollen bereits mehrere Insassen Corona-Symptome zeigen.


Farhad Bandesh wurde am vergangenen Donnerstag mitten in der Nacht im Mantra-Hotel in Haft genommen und ohne persönliche Gegenstände in eine Transitunterkunft (Immigration Transit Accommodation) im Melbourne gebracht. Vermutlich hat er mit seinem Einsatz für grundlegende Menschenrechte die australische Regierung verärgert. Amnesty International befürchtet, dass er womöglich abgeschoben werden könnte. „Wir hoffen, dass Farhad nicht für sein lautstarkes Engagement bestraft wird und fordern eine Stellungnahme der Regierung”, sagte Dr. Graham Thom, Flüchtlingskoordinator von Amnesty International Australia. Es sei nicht akzeptabel, dass der Mann bestraft werde. Zudem gebe es einfache Lösungen für eine sichere Unterbringung der Menschen in den Gemeinden. Warum die Regierung diesen Prozess vor dem Hintergrund des durch Corona eingebrochenen Gesundheitssystems hinauszögere, sei schleierhaft. „Während die australische Gemeinschaft solidarisch zusammenkommt, um dieser Pandemie entgegenzutreten, muss sich diese Unterstützung auch auf die Flüchtlinge und Asylsuchenden in unserer Obhut erstrecken”, sagte Dr. Thom.


Farhad Bandesh: Ich werde nicht aufgeben

Gegenüber der pro-kurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika äußerte Farhad Bandesh: „Ganz egal, was auch immer passieren mag, werde ich meine Stimme weiterhin für Gerechtigkeit und Freiheit erheben. Man hat mich gegen meinen Willen nach MITA gebracht. Ich werde nicht aufgeben und die Rechte des kurdischen Volkes, der Geflüchteten und aller anderen, die auf der Suche nach Gerechtigkeit sind, weiter verteidigen und diesen Menschen beistehen.”