Aufbruchsstimmung bei internationalistischer Kurdistan-Konferenz

Antimilitarismus, Selbstverteidigung gegen Feminizide, Kampf dem türkischen Faschismus und Abschaffung des PKK-Verbots – das waren die Schwerpunkte der 3. Kurdistan-Tagung, bei der die „Initiative Demokratischer Konföderalismus“ gegründet wurde.

Zur dritten internationalistischen Kurdistan-Konferenz in Köln haben sich am vergangenen Wochenende rund 180 Menschen aus ganz Deutschland und darüber hinaus versammelt. Während der Samstag unter dem Motto „Widerstand – die Revolution in Kurdistan verteidigen“ stand, war der Sonntag den konkreten Arbeiten zum Aufbau des Demokratischen Konföderalismus in Gebieten der BRD gewidmet und mündete in der Gründung der „Initiative Demokratischer Konföderalismus“.

Nachdem am Freitagabend bereits autonome Treffen der Jugend sowie feministischer und Frauen-Strukturen stattgefunden hatten, begann die Tagung am nächsten Morgen mit einer ausführlichen Analyse der politischen Lage in Kurdistan. Anschließend folgte eine gemeinsame Betrachtung und Bewertung der politischen wie organisatorischen Lage in der BRD. Zusammen wurden vier inhaltliche Schwerpunkte für das kommende Jahr diskutiert und in nach Regionen aufgeteilten Treffen vertieft. Der Abend bot Raum für gemeinsames Singen und Teilen kultureller Aktivitäten, um gemeinsame Gefühle der Verbundenheit zu fördern und Energie für die anstehenden Arbeiten zu sammeln.

Am Sonntag beschäftigte sich die Konferenz mit dem Thema „Aufbau – Demokratische Kräfte verbinden“. So wurden Aspekte und Potentiale des Demokratischen Konföderalismus beleuchtet und die „Initiative Demokratischer Konföderalismus“ offiziell beschlossen und veröffentlicht. Zudem fanden Vernetzungstreffen zu unterschiedlichen konkreten Themen statt.

Immer wieder kamen im Verlauf der Konferenz Teilnehmende in unterschiedlichen Konstellationen zu Solidaritätsfotos unter anderem für die Reise der Zapatistas, die Freiheit von Abdullah Öcalan und gegen das PKK-Verbot zusammen.

Politische und organisatorische Lage

Um praktische Solidarität mit der Revolution in Kurdistan zeigen und diese verteidigen zu können, wurde am ersten der beiden maßgebenden Konferenztage zunächst die Situation vor Ort dargestellt. Mit der völkerrechtswidrigen Invasion des türkischen Staates auf die Gebiete Zap, Avaşîn und Metîna seit April haben sich die Angriffe auf die Freiheitsbewegung Kurdistans und auf die gesamte kurdische Bevölkerung ein weiteres Mal intensiviert. Das Kriegsgeschehen wurde im Zusammenhang der unterschiedlichen Interessen und Akteur:innen im Nahen Osten analysiert und eingeordnet. Dabei wurden nicht nur die Auswirkungen der Angriffe auf die betroffene Bevölkerung sowie die Freiheitsbewegung betont, sondern auch die zugrundeliegenden Machtinteressen des türkischen Staates: Durch die militärische faktische Ausweitung der eigenen Staatsgrenzen versucht das türkische Regime, die Besatzung und Aneignung weiterer kurdischer Gebiete zu normalisieren und legitimieren. So will es seine Machtposition ausbauen und stärken. In diesem Krieg stehen sich zwei Systeme, Faschismus und Demokratie, gegenüber. Er wird gegen die gesamte Bevölkerung geführt und kann somit als Teil des globalen Dritten Weltkriegs begriffen werden.

Als imperialistischer Staat versucht die BRD, über die Türkei ihre wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten durchzusetzen. Unter anderem durch Waffenlieferungen, Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen und diplomatisches Zusammenstehen ist sie direkt involviert. Allerdings findet der Dritte Weltkrieg nicht nur in Kurdistan, im restlichen Nahen Osten und in Nordafrika statt, sondern richtet sich mithilfe unterschiedlicher Taktiken weltweit gegen alle Gesellschaften. Umfangreiche Angriffe wie Feminizide oder auf psychologischer Ebene Vereinzelung und kapitalistische Verwertung aller Aspekte der Menschen sind global verbreitet. Sie wirken auch auf die Bevölkerung in der BRD ein und müssen in diesen Dritten Weltkrieg eingeordnet werden. Die aktuellen Krisen finden sich in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder. Sie greifen die ethischen Grundlagen der Gesellschaften an. Die deutsche Regierung intensiviert unterdessen die Repression gegen demokratische und progressive Kräfte. Rechte Tendenzen und Faschisierung des Staates nehmen zu.

Besonders Gesundheit und Pflege wurden als Bereiche genannt, in denen sich die systemische Krise in der letzten Zeit sehr deutlich offenbart hat. Auch ökologische Katastrophen zeigen, dass das kapitalistische System seine Probleme nicht mehr von bis dahin weniger betroffenen Staaten fernhalten kann.

Anschließend erfolgten Einschätzungen der Lage der demokratischen und antisystemischen Kräfte in der BRD. Trotz der Covid-19-Pandemie gewinnen diese Kräfte an Stärke und vervielfältigen ihre Arbeiten stetig. Gerade viele junge Menschen akzeptieren die Zustände nicht und treten in Aktion. Selbstkritisch wurde jedoch beurteilt, dass in antisystemischen Kämpfen nach wie vor zu viel Fokus auf reinen Reaktionen liegt, sodass der Aufbau langfristiger Strukturen leidet.

Um die vorhandenen Arbeiten besser abzustimmen und zu koordinieren, wurden vier thematische Schwerpunkte für das kommende Jahr näher behandelt und diskutiert.

Antimilitarismus

Antimilitarismus ist gerade in Deutschland ein zentrales Thema. Unter dem Deckmantel einer vermeintlich friedlichen Nation, die seit Jahrzehnten keine Kriege mehr auf eigenem Staatsterritorium oder in dessen direktem Umfeld geführt hat, verbirgt sich Kriegsbeteiligung in zahlreichen anderen Regionen der Welt. Die Rüstungsindustrie in der BRD verdient Milliarden am Export von deutschen Waffen – von Panzern bis zu Drohnentechnologie. So ist sie direkte Profiteurin der Kriege, die der türkische Staat führt. Dabei ist das türkische Militär zwar als zweitgrößte NATO-Armee ein prägnantes Beispiel, jedoch bei weitem nicht das einzige, das auf Unterstützung aus der BRD basiert.

Zudem ist das Thema Antimilitarismus mit vielen weiteren Kämpfen verbunden: So führt Krieg weltweit zu Feminiziden, Ökoziden, Flucht und rassistischen Angriffen. Deshalb müssen all diese Probleme und ebenso ihre Bekämpfung in Zusammenhang gesetzt werden.

Als wichtige Bezugspunkte antimilitaristischen Widerstands in Deutschland wurden unter anderem das Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen!“ und die Volksinitiative „Ziviler Hafen“ gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen genannt.

Selbstverteidigung gegen Feminizide

Im Zuge der Coronakrise hat sich global gerade häusliche Gewalt gegen Frauen verschärft, während gleichzeitig feministische Organisierungen an Stärke gewinnen. In Deutschland wird durchschnittlich alle 72 Stunden eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Die Vernetzung im Kampf gegen Feminizide und zur Stärkung feministischer Selbstverteidigung wurde deshalb als ein weiterer Schwerpunkt benannt. Wichtige Termine sind dafür sind das Gedenken am Jahrestag des Völkermordes an den Êzîd:innen in Şengal am 3. August, der 25. November als Tag gegen Gewalt an Frauen* und der internationalistische feministische und Frauen*-Kampftag im kommenden Jahr.

Kampf dem türkischen Faschismus

Es wurde analysiert, dass die Misserfolge des Krieges der türkischen Armee in den Gebieten Zap, Avaşîn und Metîna zu einer Zunahme an rassistischen und faschistischen Morden in Nordkurdistan und der Türkei führen. Diese werden bewusst vom türkischen Staat organisiert und die Bevölkerung der Türkei durch die staatliche Propaganda zu weiteren Angriffen auf Kurd:innen mobilisiert. Doch nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland ist eine verstärkte Organisierung von türkischen Faschisten wie etwa den „Grauen Wölfen“ und damit einhergehend auch Angriffen zu beobachten. Ein aktuelles Beispiel sind hierbei die Todeslisten und Angriffe auf kritische Persönlichkeiten aus Nordkurdistan und der Türkei in Europa.

Als wichtiges gemeinsames Arbeitsfeld gegen den türkischen Faschismus und die aggressiven militärischen Angriffe auf die Freiheitsbewegung Kurdistans unter anderem in Süd- und Westkurdistan wurde die internationale Kampagne „Defend Kurdistan“ vorgestellt. Ziel davon ist es, Akteur:innen des türkischen Faschismus sichtbar zu machen und durch internationalen Druck den Angriffskrieg der Türkei auf Südkurdistan zu stoppen. Des Weiteren wurde die Notwendigkeit erkannt, antifaschistische Kämpfe gegen deutsche wie türkische faschistische Strukturen besser miteinander zu verbinden.

Abschaffung des PKK-Verbots

Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen Arbeiten ist die Mobilisierung gegen das Verbot der PKK. Dieses bildet seit 1993 die Grundlage für die anhaltende Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der BRD. Auch der rassistische Terrorismusdiskurs, mit dem Übergriffe, Menschenrechtsverletzungen und Repressionen gegen Kurd:innen in unterschiedlichen Staaten legitimiert werden sollen, speist sich daraus. Nur über eine Entkriminalisierung der Ideen und konkreten Alternativen der Freiheitsbewegung Kurdistans und Abdullah Öcalans ist ein Frieden in Kurdistan möglich. Deshalb ist es notwendig, sich in einer starken Haltung gegen dieses Verbot zu vereinen. Dies kann sowohl durch Aktionen als auch durch Bildungsarbeit gefördert werden. Geplant sind gemeinsame Aktionstage und eine Demonstration zum 28. Jahrestag des PKK-Verbots am 27. November.

Stärkung der regionalen Zusammenarbeit und Vernetzung

Auf Basis der politischen Analyse und der Schwerpunkte wurde im Anschluss diskutiert, wie sich in unterschiedlichen Regionen organisiert, koordiniert und an bundesweiten Planungen beteiligt werden kann. Die regionale Vernetzung und gestärkte Zusammenarbeit stellt eine wichtige Grundlage für den Erfolg der anstehenden Projekte und gemeinsamen Ziele dar. Aus diesem Grund soll sie in den nächsten Monaten weiter ausgebaut werden.

Abgeschlossen wurde der Tag mit einem kulturellen Programm, bei dem revolutionäre Lieder aus unterschiedlichen historischen Kämpfen und in verschiedenen Sprachen zum Besten gegeben wurden. Hierbei kamen deutlich der internationalistische Geist der Tagung sowie der starke Bezug auf revolutionäre Gefallene und ihre Wichtigkeit für unsere Kämpfe heute zum Ausdruck.

Demokratischen Konföderalismus aufbauen

Der Sonntag wurde für Diskussionen genutzt, was für den Aufbau des Demokratischen Konföderalismus auf den Gebieten der BRD und in Europa notwendig ist. Hierzu wurde zunächst noch einmal das Konzept „Demokratischer Konföderalismus“ inklusive wichtiger Aspekte wie Ökologie, Demokratie und Dezentralisierung, Diversität, Geschlechterbefreiung und Kooperativen vorgestellt. Beleuchtet wurden auch sich zuspitzende Probleme, denen auf diese Weise begegnet werden soll, unter anderem Sexismus, Nationalismus, Faschismus und religiöse Radikalität. Weitere Betrachtungen widmeten sich Schwierigkeiten und Potentialen der heutigen Zeit, die sich beispielsweise aus der multilateralen Machtverteilung mit großer Staatenkonkurrenz und stark krisenbehafteten Zuständen ergeben. Auf die deutsche Linke bezogen wurde kritisiert, dass eine Orientierung an Macht und bestehenden Strukturen bisher nicht überkommen werden konnte. Das Paradigma der kapitalistischen Moderne wurde nicht umfassend genug reflektiert und analysiert. Zudem verhindern Liberalismus und eine ich-bezogene identitäre Haltung oft Zusammenarbeit und eine Begegnung auf Augenhöhe in Bündnissen.

Obwohl der Diskurs sich bewusst viel um den deutschsprachigen Raum drehte, wurde immer wieder die unleugbare Verbindung zur Befreiungsbewegung Kurdistans, in der der Demokratische Konföderalismus verwurzelt ist, betont. Da das langfristige Ziel ein demokratischer Weltkonföderalismus ist, können unterschiedliche Regionen und Länder nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Es ist somit Aufgabe aller demokratischen Kräfte der Erde, die Revolution in Kurdistan stets mitzudenken und zu verteidigen. Von dort kann auch eine weitere Ausbreitung des Demokratischen Konföderalismus erfolgen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Krieg in Kurdistan sich längst nicht mehr nur gegen die Kurd:innen richtet, sondern vor allem gegen das progressive basisdemokratische Konzept, das sich ausgehend von der kurdischen Bewegung dort verbreitet.

Ein kreatives Filmprojekt mit utopischen Interviewszenen aus dem Jahr 2041 rundete die ideelle Einführung ab.

Initiative Demokratischer Konföderalismus

Die verbleibende Tagungszeit drehte sich um die zu gründende „Initiative Demokratischer Konföderalismus“ (IDK). Diese fußt auf Diskussionen und Erfahrungen, die in den letzten Jahren, teils Jahrzehnten, kontinuierlich an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kreisen präsent waren. Einige Grundsteine der IDK sind bereits in den vorherigen Monaten, teils Jahren gelegt worden: So erarbeitet die Initiative „Geschichte und Widerstand“ inklusive ihrer autonomen feministischen Teilstruktur „Matilda J. Gage“ seit Längerem alternative Perspektiven auf historische Ereignisse und Prozesse. Dabei werden nach Vorbild des Geschichtsverständnisses Abdullah Öcalans sowie nach Konzepten der Jineolojî gerade regionale und lokale Bezüge untersucht, um so ein besseres Verständnis des Jetzt-Zustandes zu ermöglichen. Weitere bereits bestehende Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit den Themen Ökologie und Bildung. Zudem organisieren sich Frauen und weitere vom Patriarchat unterdrückte und unsichtbar gemachte Geschlechter autonom, um antipatriarchale Perspektiven für alle Bereiche der Arbeiten beisteuern zu können. Auch auf bestehende Kampagnen und Organisierungen, die sich künftig über die IDK besser absprechen wollen, wird aufgebaut, beispielsweise auf Women Defend Rojava, RiseUp4Rojava, Gemeinsam Kämpfen und lokale Gruppen und Einzelpersonen.

Zentrale Ziele der IDK sind es, bestehende demokratische Kräfte zu verbinden, demokratische Strukturen aufzubauen und die Revolution in Kurdistan zu verteidigen. Ein wichtiger Fokus liegt hierbei auf den Arbeiten in den Lokalen, aber auch auf der Vorbeugung von Spaltung. Neben einigen organisatorischen Absprachen beschäftigte sich die Diskussion maßgeblich mit den Beziehungen untereinander, die einen gemeinsamen Kampf ermöglichen: So sind gemeinsame Werte und eine solidarische Haltung zueinander wichtig, während keineswegs immer alle Meinungen geteilt werden müssen.

Am Nachmittag fand eine Unterteilung in fünf Gruppen statt, die zu klarer umrissenen Themen in Austausch traten: Ökologie, Geschichte und Widerstand, Feminizide, Kommunenaufbau und die aktuelle Europareise der Zapatistas. So konnten bestehenden Arbeitsprozesse, Erfahrungen und Ideen für zukünftige Projekte besprochen werden.

Zum Ende des Wochenendes kamen alle noch einmal zusammen. Es erfolgten Rückträge aus den Arbeitsgruppen, einige Termine und Veranstaltungsvorschläge wurden vermittelt. Schließlich beendeten die Teilnehmenden die Konferenz mit Applaus und kraftvollen Parolenrufen.