Öcalans Aufruf prägt die Eröffnung der 19. EUTCC-Konferenz

Der Aufruf von Abdullah Öcalan zu Frieden und Verhandlungen hat die Eröffnung der aktuell stattfindenden Brüsseler Konferenz über die Europäische Union, den Nahen Osten, die Türkei und die Kurd:innen geprägt.

Frieden und Demokratie in der Türkei

Die 19. Konferenz der EU Turkey Civic Commission (EUTCC) mit dem Titel „Die Europäische Union, die Türkei, der Nahe Osten und die Kurd:innen“ wurde am Mittwochnachmittag im Europäischen Parlament in Brüssel eröffnet. Sie wird heute fortgesetzt. Das Panel des gestrigen Tages stand unter der Überschrift "Der Nahe Osten im Umbruch: Interaktionen und Herausforderungen"

Westrheim: Chance für den Frieden weise nutzen

Kariane Westrheim, Vorstandsmitglied der EUTCC, erklärte, dass Abdullah Öcalans „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ sowohl vom Europäischen Parlament als auch vom Europarat mit großer Anerkennung aufgenommen worden sei. Sie fuhr fort: „Die Hoffnung hat sich nun in eine Kraft verwandelt. Was die Kurd:innen sagen, stärkt die gemeinsamen Anstrengungen. Das haben wir während des Newroz-Festes in sehr viel greifbarerer Form gesehen. Eine noch nie dagewesene Kraft erfüllte die Straßen. Wir hoffen, dass diese Chance für den Frieden weise genutzt wird und zu einer demokratischen Türkei führt.“

Schieder: Die kurdische Bewegung ist ein Kampf für Freiheit und Demokratie

Andreas Schieder, Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei Österreichs im Europäischen Parlament und Mitglied der Kurdischen Freundschaftsgruppe, ergriff als nächster Redner das Wort, wobei er ebenfalls Bezug auf den jüngsten Aufruf Öcalans nahm und sagte: „Die kurdische Bewegung ist auch ein Kampf für Freiheit und Demokratie. Wenn wir uns ansehen, was in der Türkei, im Nahen Osten und in der Welt geschieht, wird die Bedeutung des kurdischen Kampfes deutlicher denn je.“

Williams: Schweigen ist schlimmer als Mitwisserschaft

Die Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams sagte, dass der Frieden den Willen beider Seiten voraussetzt. Sie stellte fest, dass die Position des türkischen Staates in Bezug auf Frieden und eine Lösung unklar bleibt. „Ich bin seit dem Vietnamkrieg eine Aktivistin. Wir haben Vietnam und viele andere Länder zerstört. Im Laufe der Jahre haben die Menschen gelernt, was Unterdrückung bedeutet. Als ich andere Nobelpreisträger:innen bat, eine Erklärung zur Unterstützung der Forderung des kurdischen Volkes nach Frieden zu unterzeichnen, wurde mir klar, wie neu die kurdische Frage für viele von ihnen war.

Außerdem hat der türkische Staat angesichts unseres Appells geschwiegen und ist nicht auf unsere Forderungen eingegangen. In diesem Stadium ist Schweigen schlimmer als Mitwisserschaft. Die Unterdrückung des kurdischen Volkes muss ein Ende haben. Die Angriffe auf die in Syrien lebenden Kurd:innen müssen aufhören“, fügte Williams hinzu.

Ebadi: Die Zeit ist reif für die Freilassung von Öcalan

Die iranische Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi vertrat die Ansicht, dass sich die Welt in einer kritischen Phase befindet. Sie wies darauf hin, dass im Nahen Osten jeden Tag durchschnittlich 200 Menschen getötet werden, und kommentierte den Aufruf Öcalans vom 27. Februar mit den folgenden Worten: „Jemand ist aufgestanden und hat es gewagt, das Wort ‚Frieden‘ auszusprechen, um diesem Leid ein Ende zu setzen. Und dieser Mensch wurde jahrzehntelang in Isolation gehalten, für seine Ideen eingesperrt. Dennoch erklärte er, dass die Zeit für den Frieden gekommen sei. Er sagte: ‚Lasst uns aufstehen.‘ Er forderte diejenigen, die ihn unterstützen, auf, ihre Waffen niederzulegen und sich dem Friedensprozess anzuschließen.

Inmitten einer solchen Krise und eines solchen Chaos ist diese Botschaft von großer Bedeutung. Die Zeit ist reif für die Freilassung von Öcalan. Seine Vorschläge sind rational und fundiert. Die Idee, das Land und die Region mit demokratischen Mitteln zu entwickeln, ist von entscheidender Bedeutung.“

„Demokratie bedeutet, die Rechte von Minderheiten zu respektieren“

Shirin Ebadi betonte, dass Frieden nicht ohne Demokratisierung erreicht werden kann. Sie sprach die anhaltende Unterdrückung der Kurd:innen in der Region an und sagte: „Wir alle kennen die Realität, mit der die Kurd:innen in der Türkei und in Syrien leben. Sowohl in der Türkei als auch im Iran gibt es immer wieder Angriffe auf Kurd:innen. Im Jahr 2022 begann nach der Ermordung von Mahsa Amini ein Aufstand. Als Mahsa geboren wurde, wollte ihr Vater ihr den Namen Jina geben. Die iranische Regierung erlaubte dies jedoch nicht und zwang ihr den Namen Mahsa auf. Ich kann das nicht verstehen. Ist Kurdischsein ein Verbrechen?

Wenn es in einem Land eine echte Demokratie gibt, sollten solche Dinge nie passieren. Demokratie bedeutet nicht die Herrschaft der Mehrheit. Sie bedeutet nicht, dass derjenige, der die meisten Stimmen erhält, tun kann, was er will. Demokratie bedeutet, dass die Rechte von Minderheiten geachtet werden. Sie bedeutet, die Rechte derjenigen zu respektieren, die Wahlen verlieren. In allen Teilen der Welt gibt es Gesetze, Rechte und juristische Rahmenbedingungen. Man kann das Gesetz nicht als Waffe benutzen, um seine Gegner ins Gefängnis zu stecken. Wir kämpfen für eine Zukunft, in der alle Menschen gleichermaßen ihre Rechte genießen können.“

Mervan: Es geht darum, einen Lösungsweg zu finden

Die zweite Sitzung wurde von dem Journalisten Cahit Mervan moderiert. Mervan erinnerte die Teilnehmenden daran, dass es darum gehe, einen Weg zu einer Lösung zu finden, und wies darauf hin, dass der jüngste Aufruf von Abdullah Öcalan in den letzten Tagen weltweit eine breite Diskussion ausgelöst habe.

Ahmed: Öcalan muss die Möglichkeit zum Handeln gegeben werden

Ilham Ahmed, Ko-Vorsitzende des Büros für Außenbeziehungen in Nordost- und Ostsyrien, ergriff als Erste in der zweiten Sitzung das Wort. Sie sprach die Probleme an, die sich aus der nationalstaatlichen Mentalität des 21. Jahrhunderts ergeben und betonte, dass das derzeitige System zutiefst patriarchal und geschlechtsspezifisch sei. Ahmed unterstrich die Notwendigkeit des Kampfes, um die daraus resultierenden Krisen zu lösen.

„Der Nahe Osten ist im Umbruch, und alle diese Prozesse müssen diskutiert werden. Der kurdische Kampf in der Region ist von entscheidender Bedeutung. Die Kurd:innen sind nach wie vor auf vier Staaten verteilt. In Syrien herrscht seit 14 oder 15 Jahren eine tiefe Krise. Das Land befindet sich nun in einer Phase des Wiederaufbaus. Die derzeitigen Behörden in Damaskus müssen mit allen Völkern Syriens zusammenarbeiten. Wir haben jedoch noch keine wirklichen Bemühungen der Übergangsregierung in dieser Hinsicht gesehen.

In der Tat sehen wir kaum einen Unterschied zwischen der derzeitigen Übergangsregierung und dem alten Baath-Regime. Die Regierung in Damaskus vertritt die Völker Syriens nicht. In den letzten fünf Jahren gab es Anzeichen dafür, dass ein neues Regime mit einem islamischen und radikalen Charakter gebildet werden könnte. Um die Probleme in der Region zu lösen, muss Öcalan eine Rolle spielen dürfen – und er muss die Möglichkeit dazu erhalten“, führte die Außenpolitikerin aus.

Barrena: Die Niederlegung der Waffen hat uns stärker gemacht

Der baskische Abgeordnete Pernando Barrena (EH Bildu) wies auf die Parallelen zwischen der Situation im Baskenland und dem Kampf der Kurd:innen hin. Er erinnerte daran, dass in der Vergangenheit Gewalt mit Gewalt beantwortet worden sei und auch das baskische Volk daraufhin zur Gewalt gegriffen habe. In dieser Zeit sei es auf beiden Seiten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen.

Barrena fuhr fort: „Die Welt verändert sich. Welche Entscheidung die kurdischen nationalen Bewegungen auch immer treffen, sie wird letztlich zugunsten des kurdischen Volkes ausfallen. Im Baskenland waren wir 60 Jahre lang der Gewalt ausgesetzt. Vor fünfzehn Jahren erklärte die baskische Bewegung, dass der Friedensprozess beginnen sollte, ohne auf ein formelles Abkommen mit Spanien oder Frankreich zu warten. Obwohl es damals Kritik gab, hat uns dieser Schritt politisch gestärkt.

Heute sind wir zu einer starken Kraft im baskischen Parlament geworden. Die Stabilität der spanischen Regierung hängt von unseren Stimmen ab, und das macht unsere Rolle noch wichtiger. Wir tun alles, was wir können, um für unsere Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Die Kurd:innen sollten keine Angst vor der Zukunft haben. Es wird große Kämpfe geben, aber auch große Chancen. Das kurdische Volk ist nie allein. Auch Abdullah Öcalan muss unverzüglich freigelassen werden.“

Gunter: Trump wird Erdoğan letztlich geben, was er will

Professor Michael Gunter, Generalsekretär des EUTCC, erläuterte seine Analyse der entstehenden globalen Ordnung. Indem er eine Parallele zwischen Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan zog, sagte Gunter, dass Trump trotz all seiner beunruhigenden Eigenschaften keinen Krieg wolle und daher auch keine militärische Gewalt anwenden würde, um die Aggression des türkischen Staates zu stoppen. Gunter zufolge wird Trump Erdoğan letztendlich geben, was er will.

Nach Gunters Ausführungen ergriff die philippinische Menschenrechtsanwältin Czarina Golda S. Musni das Wort und fasste das aktuelle Urteil des Permanent Peoples‘ Tribunal (PPT) zu Rojava zusammen.

Orlando: Verhandlungen sind entscheidend für den Frieden

Leoluca Orlando, Mitglied des Europäischen Parlaments von der Grünen Partei Italiens, erklärte, dass Krieg keine Voraussetzung für Frieden sei, wohl aber Verhandlungen. Orlando betonte, dass Vielfalt als eine Quelle des Reichtums angesehen werden sollte: „Der türkische Staat hat einmal das Wort ‚Kurde‘ verboten. Ich liebe die Türkei, aber es ist nicht hinnehmbar, dass jeder, der seine Meinung äußert, im Gefängnis landet. Die Europäische Union muss aufwachen und ihre Augen öffnen. Das Leiden des kurdischen Volkes kann nicht länger durch Schweigen ignoriert werden. Wir wollen in gegenseitiger Solidarität mit allen unterdrückten Völkern leben.“

Prebilic: Das Ende des Erdoğan-Regimes könnte nah sein

Vladimir Prebilic, Mitglied des Europäischen Parlaments von der Grünen Partei Sloweniens, verurteilte die Ernennung von Treuhändern in der Türkei und bezeichnete sie als inakzeptabel. Mit Blick auf die Ausweitung der Macht Erdoğans wies Prebilic darauf hin, dass nicht nur gewählte Amtsträger:innen inhaftiert werden, sondern auch ihre Nachfolger nicht vom Volk gewählt werden, was zu einer vollständigen Usurpation der kommunalen Autorität führt. Er betonte, dass die Demokratie für das Wachstum der Türkei sowohl in materieller als auch in moralischer Hinsicht unerlässlich sei. Unter Hinweis auf die Verhaftung von Ekrem Imamoğlu deutete Prebilic an, dass solche Entwicklungen das nahende Ende des Erdoğan-Regimes signalisieren könnten.

Topuz: Frieden und Demokratie sind dringend notwendig

Der Journalist Ali Duran Topuz, der als letzter in der zweiten Sitzung sprach, unerstrich, dass Frieden und Demokratie in der Türkei dringend notwendig seien. Der Kampf für den Frieden sei genauso wichtig wie der Kampf um Brot und Wasser. Topuz fuhr fort: „In der Türkei hat kürzlich ein neuer Prozess begonnen, der uns Hoffnung gibt. Die Regierungsvertreter sprechen zwar von Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, aber wir sehen keine konkreten Schritte, die unternommen werden. Infolgedessen haben die Menschen ihr Vertrauen verloren. Im ganzen Land wurden Hunderte von Menschen festgenommen, weil sie sich der Verhaftung von Ekrem Imamoğlu widersetzt haben. Alle wehren sich gegen dieses autoritäre Regime. Vor etwa zehn Jahren wurde ein Prozess zur Lösung der kurdischen Frage eingeleitet. Aber vor zehn Jahren hat Erdoğan diesen Prozess abgebrochen, weil er die Wahlen gewinnen wollte. Indem er diesen Friedensprozess beendete, hat er den Krieg wieder angefacht und sich den Wahlsieg gesichert.“

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