Şehba: Internationale Gemeinschaft ignoriert Binnenflüchtlinge

In der nordsyrischen Region Şehba leben Tausende Binnenflüchtlinge aus Efrîn unter schwierigen Bedingungen in Lagern. Die Selbstverwaltung muss ohne internationale Hilfe die gesamte Versorgung stellen.

Selbstverwaltete Camps für Efrîn-Vertriebene

Die Region Şehba hat mehr Binnenflüchtlinge durch die türkische Besatzung von Efrîn aufgenommen, als sie ursprüngliche Einwohner:innen hatte. Seit 2018 hat sich die Bevölkerung des von Wüste geprägten Kantons nördlich von Aleppo mehr als verdoppelt. Dabei befindet sich der Kanton unter einem Embargo des syrischen Regimes und immer wieder greifen der türkische Staat und seine Söldnertruppen an. Erst am Morgen schlugen wieder türkische Granaten in Dörfern ein. Der Kanton wird aber auch von der internationalen Gemeinschaft vollkommen allein gelassen. Dennoch ist es gelungen, die weit über 100.000 Binnenflüchtlinge größtenteils selbstständig in Kooperativen und Selbstverwaltungsstrukturen zu integrieren. Aber immer noch leben Tausende fernab der internationalen Aufmerksamkeit in Lagern. Im ersten Lager, dem Camp Berxwedan, leben weiterhin 2.772 Personen, im Serdem-Camp 3.774 Personen, im Efrîn-Camp 498 Personen, im Veger-Camp 584 Personen und im Şehba-Camp 466 Personen.


Revolutionärer Aufbau der sozialen Katastrophe zum Trotz

Die Lager sind trotz der schwierigen Bedingungen zu wichtigen Zentren geworden. Im Lager Berxwedan gibt es ein Zentrum des Kurdischen Roten Halbmonds (Heyva Sor a Kurd), zwei Parks, einen Basar, eine Bibliothek und eine Schule für Grund-, Mittel- und Oberschüler:innen. Diese Schule wird sowohl von Kindern aus dem Lager als auch von Kindern aus den benachbarten Bezirken und Dörfern besucht. Das Lager Serdem verfügt über zwei Parks, ein Zentrum von Heyva Sor a Kurd, eine Bibliothek, einen Basar und eine Schule für Grundschüler:innen. Außerdem werden die meisten der im Kanton organisierten Veranstaltungen im Serdem-Camp abgehalten.

Das Efrîn-Camp ist aufgrund seiner geringeren Größe an das Serdem-Camp angegliedert, sein radikaldemokratisches Organisationssystem funktioniert wie das der anderen Lager. Die Camps Veger und Şehba sind an den Rat von Şêrawa angeschlossen. Alle Einrichtungen und Organisationen des mit dem neuen Gesellschaftsvertrags zusammengeschlossenen Kantons Efrîn-Şehba haben Vertretungen in den fünf Lagern. Darüber hinaus sind die Camps in einem Kommunen- und Rätesystem organisiert.

Appelle an Hilfsorganisationen blieben erfolglos

Mistefa Hesen, Ko-Vorsitzender des Ausschusses für soziale Angelegenheiten des Kantons Efrin-Şehba, äußerte sich im ANF-Gespräch über die schwierige Lage der Menschen in den Lagern. Hesen berichtete über die erste Phase 2018, als die Camps eingerichtet wurden: „In den Anfangszeiten lebten die Menschen im Freien, also auf dem Feld. Die Menschen befanden sich in einer miserablen Situation. Wir beschlossen, unter schwierigen Bedingungen ein Lager zu errichten, und wandten uns zunächst an Institutionen und Flüchtlingshilfsorganisationen. Die Menschen waren gerade aus Efrîn vor der Besatzung und der dortigen Massakerpolitik geflohen. Auch gegen Şehba wurde eine Politik der Entvölkerung betrieben. Unsere Appelle um Hilfe blieben erfolglos und so haben wir begonnen, allein mit den begrenzten Mitteln der Selbstverwaltung zu arbeiten. Die geografischen Gegebenheiten in Şehba sind jedoch für ein solches humanitäres Projekt nicht günstig. Einerseits das Embargo der Regierung in Damaskus, andererseits die anhaltenden Angriffe der vom türkischen Staat gesteuerten Söldnergruppen. Es war nicht einfach, sich unter Embargo und Angriffen zu organisieren. Wir haben zunächst Kommunen und Räte aufgebaut, die Anzahl der Familien erfasst und uns bemüht, die Logistik entsprechend der Zahl der Menschen bereitzustellen.“

Widerstand gegen Angriffe und Embargo

Hesen erzählte weiter: „Wenn wir die fünf bestehenden Camps mit anderen Lagern vergleichen, ist die Selbstorganisierung bei uns sehr stark. Wenn wir die Ressourcen für die Deckung des täglichen Bedarfs betrachten, müssen wir sehen, dass unser Kanton nicht sehr groß ist und die Arbeitsmöglichkeiten begrenzt sind. Wir haben keine andere Möglichkeit, als auf die Unterstützung der Selbstverwaltung bei der Deckung des täglichen Bedarfs zurückzugreifen. Hilfsorganisationen und Institutionen bieten keine Unterstützung an. Das Leben geht mit den begrenzten Mitteln der Selbstverwaltung und der Hilfe einiger patriotischer engagierter Familien weiter. Das Komitee für soziale Angelegenheiten leistet einmal im Monat logistische Unterstützung für die Familien in den Lagern. Doch das ist nicht genug.

Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, zu arbeiten. Der Kanton ist ein günstiges Gebiet für die Umsetzung neuer Projekte, aber wegen des Embargos können wir nicht mit anderen Kantonen kommunizieren. Aufgrund des Embargos haben wir nicht die notwendigen Werkzeuge und Ausrüstungen, um Projekte zu realisieren. Es herrscht also Arbeitslosigkeit. Im Winter 2023 war es lange Zeit nicht möglich, Diesel in die Region zu bringen. Diesel ist eine wichtige Energiequelle im Kanton. Indem verhindert wird, dass der Treibstoff in den Kanton gelangt, soll Chaos gestiftet werden. Es wird versucht, die Menschen unter Druck zu setzen, indem man sie in der Kälte sitzen und hungern lässt, und indem man die Einfuhr von Medikamenten und medizinischen Hilfsgütern in die Region durch ein Embargo verhindert.”

Schrapnelle von Artillerieangriffen schlagen in Lagern ein

Hesen beschrieb, dass die Bedingungen in den Lagern in jeder Hinsicht schwierig seien: „Unser System der inneren Sicherheit ist ziemlich stark, aber die täglichen Angriffe des türkischen Besatzungsstaates richten sich direkt gegen die Lager. Da die Lager aus Zelten bestehen, ist das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner in Gefahr. Die Artilleriegranaten, die an der Peripherie der Lager immer wieder einschlagen, fügen den Menschen schweren Schaden zu. Die Nylonzelte bieten keinen Schutz für die Menschen. Schrapnelle fliegen durch das Lager. Dadurch entstehen materielle aber auch psychische Schäden. Insbesondere Kinder und Alte sind betroffen. Wir können die Lager nur drei Stunden am Tag mit Strom versorgen. Es ist nicht möglich, die Stromversorgung länger zu halten.

UNICEF stellte die Wasserversorgung für die Lager ein

Die Wasserversorgung der Lager wurde von UNICEF (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen) bereitgestellt. UNICEF hat die Wasserverteilung unter Hinweis auf die finanziellen Möglichkeiten eingestellt. Der Wasserbedarf des Kantons wurde durch Brunnen gedeckt. Dieses Wasser wurde mit Tankwagen zu den Menschen gebracht. Da die vorhandenen Brunnen für die Menschen, die außerhalb der Lager leben, nicht ausreichten und außerdem Treibstoffmangel herrschte, haben wir uns nach der Entscheidung von UNICEF daran gemacht, die Lagerbewohner:innen direkt mit Wasser zu versorgen, aber das vorhandene Wasser deckt den Bedarf nicht. In einem Kanton, in dem das Wasser knapp ist, gibt es zwangsläufig ein Problem mit der Sauberkeit. Die Wasserknappheit und der Beginn der Sommersaison werden zu Krankheiten führen. Krankheiten führen dazu, dass medizinische Hilfsgüter benötigt werden. Die Tatsache, dass medizinische Hilfsgüter den Kanton nicht ohne weiteres erreichen können, ist an sich schon ein ernstes Problem.“

Wir werden unter allen Bedingungen Widerstand leisten“

Hesen appelliert an die Flüchtlingshilfsorganisationen: „Efrîn ist besetzt. Die Flüchtlinge aus dieser Region müssen geschützt werden. Hilfsorganisationen und Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, Flüchtlinge zu schützen, sollten auch die in Şehba lebenden Flüchtlinge schützen. Die Menschen in Efrîn werden weiterhin hier in Zelten leben, bis ihr Land befreit ist. Wir werden Widerstand leisten, egal wie unsere Lebensbedingungen aussehen."