Karasu warnt vor Stillstand des Prozesses nach Friedensaufruf

„Wir wollen diesen Prozess mit Verantwortung vorantreiben, aber wir sind auch wachsam. Sollte sich nichts ändern, werden wir unsere Haltung neu bewerten – und sie klar und deutlich machen.“

Staat bleibt untätig

In einem ausführlichen Gespräch mit dem kurdischen Sender Medya Haber hat Mustafa Karasu, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), mit deutlichen Worten auf die jüngsten Entwicklungen rund um die kurdische Frage, den bewaffneten Kampf und mögliche Schritte zu einer friedlichen Lösung reagiert. Karasu betonte, dass zentrale Themen wie ein Waffenstillstand oder die Selbstauflösung der PKK nicht als taktische Spielmasse parteipolitischer Interessen betrachtet werden dürften. Er stellte klar: Sollten die gemachten Zusagen – etwa im Zusammenhang mit der Inhaftierung Abdullah Öcalans – nicht erfüllt werden, könne die kurdische Bewegung nicht weiter untätig bleiben.

Öcalans Vorschlag: Waffenstillstand und Parteiauflösung möglich

Karasu verwies auf den Friedensaufruf Abdullah Öcalans vom 27. Februar, in dem dieser unter bestimmten Voraussetzungen sowohl das Ende des bewaffneten Kampfes als auch die Selbstauflösung der PKK ins Spiel brachte. Voraussetzung dafür sei unter anderem ein ordnungsgemäß einberufener Kongress unter seiner aktiven Mitwirkung. Obwohl diese Geste ein deutliches Zeichen der Dialogbereitschaft gewesen sei, habe der türkische Staat keinerlei Schritte unternommen, die nötigen Bedingungen – etwa eine Verbesserung von Öcalans Haftbedingungen oder ein Beginn von Gesprächen – zu schaffen, kritisierte Karasu.


Politische Repression statt Reform

„Wenn diese Signale unbeantwortet bleiben, entstehen berechtigte Zweifel an der Aufrichtigkeit der Gegenseite“, sagte Karasu. Er erinnerte daran, dass Politiker wie Devlet Bahçeli noch im Vorfeld einen solchen Aufruf für eine politische Lösung der kurdischen Frage und auch Reformen bei der Einräumung des sogenannten „Rechts auf Hoffnung“ für lebenslänglich Inhaftierte gefordert hatten – Schritte in diese Richtung bislang aber nicht gesetzt wurden.

Karasu übte auch scharfe Kritik an der innenpolitischen Praxis des türkischen Staates. Die wiederholte Instrumentalisierung der Justiz, die Kriminalisierung oppositioneller Kräfte – einschließlich der CHP – und der Ausschluss demokratisch gewählter kurdischer Politiker:innen durch Zwangsverwalter stünden einer echten Demokratisierung im Weg. „Eine Regierung, die selbst gemäßigte Opposition nicht toleriert, kann unmöglich die kurdische Frage lösen“, so Karasu.

Die wiederholte Berufung der Regierung auf rechtliche Hürden und „fehlende gesetzliche Grundlagen“ für Reformen bezeichnete Karasu als reine Ausflüchte. „Wenn es politischen Willen gäbe, ließen sich alle gesetzlichen Fragen sofort klären“, so der KCK-Vertreter. Zudem kritisierte er, dass manche Akteure in der Türkei wirtschaftlich und politisch vom anhaltenden Krieg profitierten – und daher kein Interesse an einem Frieden hätten. Der Krieg werde instrumentalisiert, um die Opposition zu diskreditieren und zu unterdrücken. „Solange der Krieg andauert, profitieren bestimmte Kreise davon – wirtschaftlich, politisch und auch ideologisch.“

Erinnerung an die Opfer des Kampfes

Einen besonderen Schwerpunkt legte Karasu auf das Gedenken an zentrale Figuren der kurdischen Bewegung, darunter Mazlum Doğan, Mahsum Korkmaz und Sakine Arat. Er würdigte ihre Rolle im kurdischen Befreiungskampf, ebenso gedachte er historischer Ereignisse wie des Aufstands von Mahabad oder der Tötung von 14 Kämpfer:innen in Mûş im Jahr 2006 durch einen türkischen Chemiewaffenangriff. Er betonte, dass die PKK sich stets als Fortsetzerin des Erbes aller Gefallenen sehe, unabhängig davon, ob sie in Nord-, Ost- oder Westkurdistan aktiv gewesen seien.

Newroz als Ausdruck kollektiver Selbstbehauptung

Karasu würdigte das diesjährige Newroz-Fest als besonders kraftvollen Ausdruck kollektiver Identität und Widerstandskraft. Er hob hervor, dass sich die kurdische Gesellschaft im Verlauf von 50 Jahren stetig neu erschaffen habe und Newroz heute weit mehr als ein kulturelles Fest sei – es sei ein Symbol des politischen Selbstbewusstseins und der Entschlossenheit. Der starke Bezug vieler Menschen auf Abdullah Öcalans Newroz-Botschaft zeige, wie eng die kurdische Bevölkerung mit ihrer politischen Vertretung verbunden sei.

Neue Phase der Bewegung in Aussicht

Abschließend kündigte Karasu eine neue Phase im kurdischen Freiheitskampf an. Dabei gehe es nicht mehr um die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes als Selbstzweck, sondern um den Übergang zu neuen, demokratisch legitimierten Formen des Widerstands. Die PKK habe sich in den vergangenen Jahrzehnten ideologisch weiterentwickelt – von einer staatsorientierten Bewegung hin zu einem Modell radikaler Demokratie und basisorientierter Selbstverwaltung, so Karasu.

Karasu betonte, dass die kurdische Bewegung zur politischen Lösung im Rahmen eines demokratischen, dezentralisierten Modells, etwa in Form des „demokratischen Konföderalismus“, bereit sei – unter klaren Bedingungen: Die Einbeziehung Abdullah Öcalans, sichere Rahmenbedingungen für einen Kongress, eine transparente Kommunikation. Die Bewegung sei entschlossen, einen neuen, demokratisch geprägten Kampfabschnitt einzuleiten – Grundlage dafür sei eine gleichberechtigte, auf Vielfalt gegründete Gesellschaftsordnung – notfalls aber auch, sich neu zu positionieren, sollte sich an der bisherigen Blockadehaltung der Regierung nichts ändern.

Karasu wies jedoch darauf hin, dass dafür konkrete politische Schritte notwendig seien – und dass ein weiteres Stillhalten ohne Ergebnisse keine Option mehr sei. „Wir wollen diesen Prozess mit Verantwortung vorantreiben, aber wir sind auch wachsam. Sollte sich nichts ändern, werden wir unsere Haltung neu bewerten – und sie klar und deutlich machen.“