Dem seit 28 Jahren bestehenden Hausprojekt „Liebig34“ droht ab nächstem Jahr die Räumung. Das anarcha-queer-feministische Hausprojekt wurde im Zuge der Hausbesetzerbewegung der frühen 1990er Jahre besetzt und später legalisiert. Es besteht aus drei verschiedenen Kollektiven: dem Infoladen „Daneben“, dem Veranstaltungsraum „L34-Bar“ und dem Wohnprojekt.
Wir haben mit Menschen aus der Liebig34 über den aktuellen Kampf um das Projekt und die Notwendigkeit feministischer Räume gesprochen.
Der Pachtvertrag, der im Jahr 2008 mit dem derzeitigen „Eigentümer“ ausgehandelt wurde, endet am 31. Dezember 2018. Was bedeutet das Ende des Pachtvertrages konkret für euch als Bewohner*innen und das Projekt Liebig34?
Derzeit arbeiten wir an Strategien für das Haus und das Kollektiv. Konkret arbeiten wir an den Fragen: Wie wollen wir hier im Kiez leben? Wie können wir Bezug zu anderen stadtpolitischen Kämpfen sichtbar machen? Wie können wir eine Perspektive für das Haus erkämpfen? Im Zuge dessen beginnen wir gerade eine Kampagne, deren Ziel die Rettung des Hauses ist.
Es gilt politischen Druck auf der Straße aufzubauen. Unter anderem organisieren wir dazu für den 29. September eine Großdemonstration in Berlin, um auf unsere Situation aufmerksam zumachen und ein Zeichen gegen die kapitalistische Aufwertung der Stadt zu setzen. Wir sind viel im Austausch mit anderen Betroffenen, sei es mit anderen Hausprojekten oder mit Mieter*innen von anderen Häusern des gleichen Besitzers Gijora Padovicz. Dieser ist natürlich nur einer von vielen, aber dennoch einer der relevantesten Immobilien-Spekulanten auf dem Berliner Wohnungsmarkt und bekannt für seine skrupellosen Machenschaften. Mit dem Ziel der höchsten Profitmaximierung schreckt er nicht davor zurück, Gas und Wasser abzustellen oder Brandsätze in Häuser legen zu lassen, um so unbequeme Mieter*innen loszuwerden.
Aktuell gehören ihm und seiner Familie ca. 200 Häuser allein im Berliner Bezirk Friedrichshain. Darunter sind zahlreiche Projekte wie unser Haus, die Scharnweber 29 und der Wagenplatz „Laster und Hänger“. Wir wissen, dass er mit uns weder einen neuen Vertrag für das Haus aushandeln möchte noch die Option in Erwägung zieht, das Haus zu verkaufen. Er will uns definitiv loswerden, da er einerseits aus uns kaum Profit schlagen kann und zum anderen mit unseren politischen Vorstellungen nichts anfangen will.
Wen ihr von diesem Kiez redet, wie seht ihr die aktuelle Situation im Friedrichshainer Nordkiez im Zuge der Gentrifizierung und der permanenten Belagerung durch die Polizei?
Beides ist extrem spürbar, sowohl die Belagerung durch die Polizei als auch die fortschreitende Umstrukturierung des Kiezes. Konkret bedeutet es, dass Mieten steigen, Häuser luxussaniert werden und Menschen aus dem Kiez verdrängt werden. Gleichzeitig gibt es aber auch ein starkes Gegengewicht aus der radikalen Linken hier vor Ort, zum Beispiel durch den Kampf der Nachbar*innen, der sich gegen den Luxusneubau in der Rigaerstraße 71–73 der CG-Gruppe richtet, oder den Kampf des Hausprojektes Rigaer94.
Leider ist der Widerstand im Kiez nicht mehr so spürbar wie zu Zeiten der Belagerung der Rigaer94 im Sommer 2016. Letztendlich lässt es sich auch darauf zurückführen, dass 2016 der gesamte Kiez kriminalisiert und mit Repressalien überzogen wurde. Die Taktik der Polizei hat sich seitdem jedoch dahingehend geändert, dass seit ca. einem Jahr fast nur noch die Rigaer 94 und deren Bewohner*innen im Fokus stehen. Aktuell sehen wir uns mit einer Situation konfrontiert, in der die Polizei jeden Tag vor unserer Haustür steht, uns in unserem alltäglichen Handeln beobachtet, Menschen kontrolliert, bedroht und sexistisch und rassistisch beleidigt.
Wie bewertet ihr die Bedeutung des Hauses in Zeiten von AfD, CDU/CSU, Pegida und einem spürbaren Rechtsruck, der sich durch weite Teile der Gesellschaft zieht?
Zum einen sehen wir, dass eine rechte Diskursverschiebung stattfindet und damit einhergehend rassistische und antifeministische Positionen immer populärer werden. Zum anderen sehen wir aber auch, dass es in den letzten Jahren und Monaten zu zahlreichen Demonstrationen und direkter Solidarität unter anderem mit Geflüchteten kam und es trotz aller beängstigenden Entwicklungen immer noch ein kritisches Potenzial in der Gesellschaft gibt, welches zusammengebracht werden muss.
Hierfür erachten wie es als wichtig, sich im Alltag selbst zu organisieren, im eigenen Haus, in der Nachbarschaft und darüber hinaus. Feministische Projekte halten wir hierbei für besonders wichtig, da es auch gilt, feministische Perspektiven auf Selbstorganisierung zu entwickeln. Wir leben im kapitalistischen Patriarchat, dessen Wesen sich in all unseren zwischenmenschlichen Beziehungen widerspiegelt. Und diese ganzen Strukturen gilt es zu reflektieren und zu analysieren, um sie überwindbar zu machen. Wir sehen den Kampf um unser Projekt auch als Möglichkeit, Unterdrückungsverhältnisse sichtbar zu machen. Wir benötigen diesen Raum, sind aber abhängig von den Entscheidungen der Herrschenden, sei es in diesem Fall unser „Hausbesitzer“ Padovicz, Politiker*innen und das gesamte Justizwesen, welches die Fortdauer der Eigentumsverhältnisse sichert.
Wie können euch Menschen in eurem Kampf unterstützen und an diesem partizipieren?
Wir wünschen uns, dass Menschen unseren Kampf als ihren Kampf begreifen, indem sie die Verbindungslinien zu ihren alltäglichen Kämpfen und der eigenen Unterdrückungen sehen. Wir wollen unseren Kampf auf der Straße führen, hierbei können sich Menschen unterschiedlich einbringen. Sei es, sich an der organisierten Demo am 29. September zu beteiligen und den eigenen Unmut über die bestehenden Verhältnisse in diesem Rahmen auszudrücken und selbst aktiv zu werden.
Texte schreiben, Aktionen machen und Öffentlichkeit schaffen, können praktische Formen der Solidarität sein, dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Gleichzeitig erachten wir es als wichtig, noch einmal zu betonen, dass es nicht nur um den Kampf um das Haus an sich geht, sondern um das, wofür es steht: Wir wollen eine befreite Gesellschaft und dafür gilt es, sämtliche Unterdrückungsverhältnisse zu hinterfragen und zu überwinden.