Polizeigewalt bei Demonstration gegen Versammlungsgesetz NRW

8000 Menschen haben in Düsseldorf gegen das neue Versammlungsgesetz demonstriert. Die Polizei ging gewaltsam vor, rund 100 Menschen wurden verletzt. AZADÎ e.V. wollte die Situation bei kurdischen Versammlungen in Deutschland schildern.

In Düsseldorf haben am Samstag 8000 Menschen gegen das geplante neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen demonstriert. Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten“ kritisiert die unverhältnismäßige Polizeigewalt auf der Großdemonstration. Hunderte Menschen wurden stundenlang grundlos in Innenstadt eingekesselt. Wie Bündnissprecherin Lola Münch am Samstag kommentierte, hat die Polizei bereits vor Erhalt des Machtzuwachses einen Machtmissbrauch demonstriert:

„Unsere ruhige, bunte Demonstration in Düsseldorf mit 8.000 Teilnehmer:innen wurde gewaltsam auseinander getrieben und mit übermäßigen Repressionen den ganzen Tag begleitet. Die Polizei in Düsseldorf hält seit Stunden Menschen im Kessel in der Düsseldorfer Innenstadt fest, lange Zeit ohne Wasser bei bis zu 30 Grad und ohne Zugang zu einer Toilette. Grund der Maßnahme sei die Vermummung einzelner Demonstrationsblöcke durch das Tragen von medizinischen Masken und das zu hohe Tragen von Transparenten. Auf Basis dieser Vorwürfe werden Grundrechte massiv eingeschränkt und der Rechtsstaat ausgehöhlt. Und die Polizei geht noch weiter: im gesamten Stadtgebiet finden unverhältnismäßig gewaltvolle Festnahmen statt, wobei den Betroffenen der Zugang zu Anwält:innen und Sanitäter:innen verweigert wurde trotz massiven Verletzungen. Rund 100 Teilnehmer:innen wurden durch die massiven Maßnahmen der Polizei verletzt. Zudem wird bereits seit Beginn der Demonstration überall gefilmt, auch ein polizeilicher Hubschrauber war im Einsatz.“

Kurdischer Block auf der Demonstration

Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten“, dessen Aufruf über 170 Organisationen unterstützen, hatte sich im März 2021 gegründet und eine umfangreiche Protestkampagne in Gang gesetzt. Es bildeten sich Regionalgruppen in den großen Städten NRWs, es wurden dutzende Informationsveranstaltungen durchgeführt und eine Vielzahl an Kundgebungen und Demonstrationen abgehalten. Das Ziel des Bündnisses ist die komplette Verhinderung des als autoritär und demokratiefeindlich eingestuften Versammlungsgesetzes.

Fronttransparent bei der Demonstration

Die Breite des Bündnisses spiegelte sich auch im umfangreichen Demonstrationsprogramm: Neben der politischen und juristischen Einordnung des Gesetzesentwurfs durch Rechtsanwältin Anna Busl kamen Initiativen und Bewegungen zu Wort, die von der eingeschränkten Versammlungsfreiheit betroffen sein werden. Reden von Klimaschützer:innen und Gewerkschafter:innen, Einblicke aus der Fußballfanszene, antirassistische Perspektiven, Kritik an umfangreichen Überwachungsmöglichkeiten sowie eine Rede von Malek Ahmad, Vater des in der JVA Kleve verstorbenen Amed Ahmad, ordneten das Gesetzesvorhaben ein.

Antifablock

Versammlungsgesetz als Instrumentarium gegen Kurden

Im Redebeitrag des Rechtshilfefonds AZADÎ e.V., der aufgrund der polizeilichen Maßnahmen nicht mehr gehalten werden konnte, hieß es zur Einschränkung des Demonstrationsrechts von Kurdinnen und Kurden:

Seit Jahrzehnten schon ist es bundesweit gängige Praxis der Behörden, das Versammlungsgesetz als Instrumentarium zu nutzen, um die Durchführung von Demonstrationen, Kundgebungen oder anderen Veranstaltungen von Kurdinnen und Kurden zu erschweren oder gar zu verbieten.

Diese Drangsalierungen haben die kurdischen Freund:innen früher mehr oder weniger hingenommen bzw. Auseinandersetzungen mit der Polizei riskiert, wenn Demonstrationen aufgelöst wurden, weil Menschen angeblich gegen Auflagen verstoßen haben sollen. Es handelte sich um das Rufen (verbotener) Parolen oder das Zeigen (verbotener oder vermeintlich verbotener) Symbole.

Kurdische Fahnen auf der Demonstration in Düsseldorf

Das Abfilmen von Demos und ihrer Teilnehmer:innen, das brachiale Einbrechen der Polizei in eine Menschenmenge, das Herausziehen Einzelner, die Einkesselung von Gruppen oder einer vollständigen Demonstration über Stunden, Identitätsfeststellungen, Massenfestnahmen, Prügelorgien auch gegen Frauen, Jugendliche und Kinder – all dies ist Kurdinnen und Kurden bis zum Überdruss bekannt.

Dazu gehört auch, dass Ordnerinnen und Ordner schon im Vorfeld von der Polizei „aussortiert“ wurden, weil sie nach Meinung der Behörden die PKK unterstützen würden. Oder sie wurden im Verlauf von Demonstrationen attackiert, weil sie ein Amulett mit dem Bildnis von Abdullah Öcalan getragen hatten.

Immer schon hat der staatliche Apparat politische Ereignisse als Gelegenheit genutzt, an der Repressionsspirale zu drehen: In den 1970er Jahren war es der revolutionäre linke Aufbruch eines großen Teils der Gesellschaft, in den 1980er Jahren begannen der bewaffnete Widerstand der Kurd:innen gegen die mörderische Politik der Türkei und die Proteste gegen deutsche Waffenlieferungen an Ankara. In den 1990er Jahren eskalierte der Krieg in Kurdistan, das PKK-Verbot wurde verfügt und Menschen gingen massenhaft auf die Straße. Zeitgleich wurde der Kampf gegen Neonazis und ihre Strukturen nötiger und intensiver. Die Menschen waren auf den Straßen.

Dann kam der 11. September 2001 – die Sternstunde der Hardliner. Unter der Federführung von Innenminister Otto Schily (einst grün, dann SPD) wurden in einer Nacht- und Nebelaktion 17 sogenannte Antiterror-Gesetze durchs Parlament gepeitscht.

Seitdem scheinen alle Hürden gefallen und der Staatsapparat überzeugt zu sein, weiter am Repressionsrad drehen zu können. Einfallstore sind hierfür der Terror des sogenannten Islamischen Staates, das Wüten von Faschisten und Rassisten oder die Demos von Coronaleugnern. In all diesen Fällen wurde davon ausgegangen, dass die Bürger:innen Verständnis für Gesetzesverschärfungen haben und Proteste nicht zu erwarten sind.

Betroffen hiervon sind dann allerdings – traditionell – vor allem Aktionen, Demonstrationen oder Kundgebungen von Antifaschist:innen, Umweltaktivist:innen, Abschiebungsgegner:innen, Antikapitalist:innen und nicht zuletzt von Kurdinnen und Kurden.

Und selbstverständlich geht es nicht um eine herbeigeredete „innere Sicherheit“ Deutschlands, die angeblich durch demonstrierende Menschen gefährdet wird. Vielmehr geht es den politisch Verantwortlichen um Machtdemonstration, um Kontrolle, um die störungsfreie Handeln Kapitalverwertung, um Ruhe an der Front außenpolitischer Interessen - und um die Verhinderung der Solidarität all jener, die sich diesem Politikverständnis zu Recht widersetzen.

Deshalb gilt es hier und heute vor dem Landtag laut, klar und unmissverständlich unseren Widerstand gegen das geplante Versammlungsgesetz zu zeigen. Es geht um einen – weiteren - Angriff auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Treten wir der schwarz-gelben Landesregierung bei ihrem Schritt zu autoritären Machtstrukturen auf die Füße! Und bei SPD und Grünen werden wir sehen, auf welcher Seite der Barrikade sie stehen. Zeigen wir gemeinsam unsere Verachtung für eine Politik, mit der Menschen zu Befehlsempfänger:innen und Sklav:innen degradiert werden sollen!

Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung in Düsseldorf

Alle Fotos sind vom Bündnis Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten!