Die Bundesregierung versucht, die Profiteure an Abschiebungen durch Geheimhaltung vor Imageschäden zu schützen. Seit 2020 stuft die Bundesregierung Angaben über Fluggesellschaften, die für Abschiebungen genutzt werden, als Verschlusssache ein und enthält deren Namen trotz parlamentarischer Anfragen von Abgeordneten der Öffentlichkeit vor.
Bundesregierung: „Öffentliche Benennung birgt die Gefahr öffentlicher Kritik“
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke hieß es hierzu: „Eine Veröffentlichung der Fluggesellschaften […] kann sich gegebenenfalls negativ auf die Wahrnehmung dieser Fluggesellschaften in der Öffentlichkeit auswirken. Eine öffentliche Benennung der Fluggesellschaften, die Rückführungsflüge anbieten, birgt die Gefahr, dass diese Unternehmen öffentlicher Kritik ausgesetzt werden und in der Folge für die Beförderung von ausreisepflichtigen Personen in die Heimatländer nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Trotz der Verschleierungspolitik der Bundesregierung gelang es dem Netzwerk No Border Assembly, die Zensur mithilfe von Flightradar-Tracking zu durchbrechen und eine „fast vollständige Liste mit den Fluggesellschaften [zu] erstellen, die im Jahr 2020 Abschiebungen durchgeführt haben”. Nach Angaben der Bundesregierung haben im vergangenen Jahr 112 Sammelabschiebe-Charterflüge stattgefunden. Das Netzwerk führt aus: „112 Mal wurde ein ganzes Flugzeug angemietet, um Menschen abzuschieben. 112 Mal gab es deutschlandweit nächtliche Polizeirazzien und gefüllte Abschiebegefängnisse. Wir konnten bei 111 von 112 Flügen nachverfolgen, welche Fluggesellschaft dafür bezahlt wurde, diese rassistische Gewalt auszuüben.“
Bei den von der Bundesregierung geheim gehaltenen Unternehmen handelt es sich demnach um Folgende:
Enter Air – 28 Charterflüge
Sundair – 17 Charterflüge
Privilege Style – 13 Charterflüge
Titan Airways – 11 Charterflüge
Georgian Airways – 11 Charterflüge
Alba Star – 9 Charterflüge
Corendon Airlines – 7 Charterflüge
Danish Air Transport – 5 Charterflüge
Gleichzeitig veröffentlichte das Netzwerk eine bearbeitete und „entzensierte“ Version der Verschlusssache der Bundesregierung.
Enter-Air: Dubiose Airline im Besitz von Investmentfonds
Ganz vorne auf der Liste der Abschiebeprofiteure befindet sich Enter-Air. Enter-Air hat 2020 und 2021 nach Ghana, in die Ukraine, nach Albanien, Moldova, in den Libanon, nach Senegal, Georgien, Serbien, Nord-Mazedonien, in den Irak und den Kosovo abgeschoben. Die Büros von Enter Air befinden sich in Polen, und der Hauptaktionär des Unternehmens ist ein in Malta registrierter Investmentfonds. Der zweitgrößte Anteilseigner ist die riesige internationale Finanzgesellschaft ING.
Sundair: Urlaubsflieger und Abschiebecharter
Beim zweitgrößten Profiteur handelt es sich um Sundair. Sundair ist in Deutschland ansässig und befindet sich im Besitz und unter der Leitung von Marcos Rossello. Sundair hat im Jahr 2020 und 2021 nach Tunesien, Aserbaidschan, in den Libanon, nach Albanien, Moldawien, Bosnien-Herzegowina, Ukraine und Armenien abgeschoben. Das Netzwerk schreibt: „Ihre Flugzeuge fliegen in der Regel deutsche Staatsangehörige zu ihren Urlaubszielen in Mallorca und Griechenland. Es wäre interessant zu wissen, was die Urlauber*innen über die Komplizenschaft von Sundair mit Abschiebungen denken.“
Privilege-Style: Abschiebecharter für die brutalsten Operationen
Die Fluggesellschaft Privelege Style rühmt sich selbst damit, Jobs zu übernehmen, die keine andere Fluglinie übernimmt. Dabei geht es offensichtlich auch um Abschiebungen ins Kriegsgebiet Afghanistan. Das Honorar von Privilege Style für eine Charter-Abschiebung nach Afghanistan beträgt rund 340.000 EUR. Recherchen des Netzwerks haben ergeben: „Neben Abschiebeflügen bietet Privilege Style auch Transporte für Fußballspieler an (insbesondere für die spanischen Fußballmannschaften FC Sevilla und Atletico Madrid). Diese Fußballvereine setzen sich angeblich gegen Rassismus ein, sehen aber kein Problem darin, die Dienste eines notorischen Abschiebeprofiteurs in Anspruch zu nehmen.“ Privilege Style hat seit 2020 alle Abschiebeflüge nach Afghanistan durchgeführt, außerdem nach Nigeria, Moldova, Serbien, Nord-Mazedonien, Pakistan, Albanien, Kosovo und Bangladesch.
Ulla Jelpke: „Ich begrüße die Veröffentlichung“
Die Fragestellerin und Abgeordnete Ulla Jelpke begrüßte die Veröffentlichung der von ihr ebenfalls erfragten, aber von der Bundesregierung geheim gehaltenen Daten nachdrücklich. Sie kritisiert die Bundesregierung für ihre Geheimhaltungspolitik und erklärt: „Seit Sommer 2020 will die Bundesregierung nicht mehr öffentlich preisgeben, welche Fluggesellschaften ihr Geschäft mit Abschiebungen machen. Denn sie befürchtet die Diskreditierung der beteiligten Unternehmen, die sich in der Folge weigern könnten, weiterhin Abschiebeplätze zu verkaufen. Die Geheimniskrämerei der Bundesregierung im Nachgang der ‚Lufthansa abschiebefrei‘-Kampagne zeigt, wie sehr sie der entschlossene Protest gegen Abschiebungen offenbar unter Druck setzt. Zu der heutigen Aufdeckung der größten Charter-Abschiebe-Profiteure kann ich die Aktivistinnen und Aktivisten deshalb nur beglückwünschen.“
Lufthansa großer Abschiebeprofiteur
Jelpke weist daraufhin, dass die meisten Abschiebungen nicht per Charter, sondern per Linienflug erfolgen. Aus Anfragen der Linken geht hervor, dass Lufthansa zumindest zwischen 2017 und 2019 hier auf Platz eins lag. Im ersten Quartal 2021 gab es insgesamt 2.880 Abschiebungen, deutlich weniger als im gleichen Zeitraum in den Jahren 2020 (4088) und 2019 (5613). Die wichtigsten Zielstaaten waren Georgien, Albanien, Moldau, Serbien und der Kosovo.
„Abschiebungen vor dem Hintergrund der Pandemie noch dringender abzulehnen“
Jelpke erklärt: „Abschiebungen sind immer abzulehnen, aber in der Pandemie gilt das umso dringender. Denn das Virus breitet sich vielerorts noch ungebremst aus und hat zudem in vielen Ländern zu massiven ökonomischen Verwerfungen geführt und soziale Notlagen verschärft. Abschiebungen reißen die Betroffenen grausam aus allen sozialen Zusammenhängen und führen nicht selten zu Tod, Gewalt und existenziellen Notlagen.
Unternehmen, die sich an dem menschenverachtenden Abschiebesystem beteiligen und damit Profite machen, stehen deshalb ganz zu Recht in der Kritik. 2020 gab es 122 Sammelabschiebungsflüge unter Beteiligung der Bundespolizei, bei denen 3994 Personen abgeschoben wurden, was 37 Prozent aller Abschiebungen entspricht. Fluggesellschaften wie Enter Air, Sundair und Privilege Style, aber auch die Lufthansa, die 2019 für knapp ein Viertel aller Abschiebungen per Linienflug verantwortlich war, sollten sich schnell aus diesem miesen Geschäft zurückziehen!“