In der westtürkischen Metropole Istanbul sind Proteste gegen den Innenminister Süleyman Soylu von Übergriffen der Polizei und Festnahmen überschattet worden. Eine bislang unbekannte Anzahl an Beteiligten wurde in Gewahrsam genommen, darunter auch mindestens ein Minderjähriger. Vor der Polizeiwache, in der die Betroffenen festgehalten werden, hat sich eine Menschenmenge versammelt.
Die Proteste entzündeten sich in Gazi im Stadtteil Sultangazi, einer Hochburg des politischen Widerstands. Der AKP-Politiker Soylu tourte mit einem Wahlkampfbus durch das linke Viertel und rief über das Bus-Mikrofon zu Stimmen für den amtierenden Staatschef Recep Tayyip Erdoğan bei der Stichwahl für das türkische Präsidentenamt am kommenden Sonntag auf. Anwohnende und Vorbeiziehende buhten Soylu daraufhin aus, mehrere Personen zeigten das Victory-Zeichen. Andere schwenkten Fahnen der CHP, deren Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu Herausforderer von Erdoğan ist.
Soylu kriminalisierte die Protestierenden daraufhin als „Terroristen“ und rückte sie in die Nähe zur kurdischen Arbeiterpartei PKK. „Dieses Bild ist der Beweis dafür, dass CHP und PKK miteinander verbunden sind. Ihr zeigt das Zeichen der Terrororganisation“, sagte der Minister und ließ die wütende Menschenmenge von der Polizei gewaltsam auseinandertreiben. Die V-förmige Geste, die weltweit sowohl als Symbol für Sieg als auch für den Frieden gilt, wird von türkischen Verfolgungsbehörden als Bekenntnis zur PKK gewertet.
Außerdem warf Soylu den Protestierenden vor, durch die Ablehnung seiner Person diejenigen zu legitimieren, die das Land der „Unzucht“ und dem „Terrorismus“ überlassen wollen würden. „Dabei sind wir es gewesen, die Eure Kinder und Eure Familien vor den LGBT gerettet haben“, so Soylu. Der Wahlkampf der AKP und ihrer Bündnispartner wird schon länger von Stimmung gegen queere Menschen in der Türkei, durch die „traditionelle Familienwerte“ bedroht seien, und Mitglieder der Oppositionsparteien überschattet. Nicht selten ziehen homophobe Tiraden von Erdoğan und anderen Regierungspolitikern Gewalt und Diskriminierung nach sich.
Die Proteste gegen Soylu in Gazi setzten sich auch nach dessen Abreise weiter fort. Vor der Polizeiwache forderten zahlreiche Personen die Freilassung festgenommener Protestierender. Dabei wurden Parolen wie „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ und „Die Dreckskerle der Hizbullah werden uns nicht abschrecken“ gerufen.