Straßburg: HDP-Initiative zu Hungerstreik und EGMR-Entscheidung

Die HDP-Abgeordneten Hişyar Özsoy und Feleknas Uca haben eine Reihe von Treffen mit Vertretern europäischer Institutionen abgehalten. Auf der Agenda stand die Situation in türkischen Gefängnissen und die andauernde Haft von Selahattin Demirtaş.

Anfang der Woche hielten sich die außenpolitischen HDP-Sprecher*innen Feleknas Uca und Hişyar Özsoy für eine Reihe von Gesprächen mit Vertretern europäischer Institutionen in Straßburg auf. Neben Terminen mit den Generalsekretären des Europarats und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) fanden auch Treffen mit dem neuen stellvertretenden Generalsekretär Björn Berge sowie den Vorsitzenden der liberalen, sozialistischen und linken Fraktionen, Jacques Maire, Frank Schwabe und Tiny Kox, statt. Darüber hinaus sprach die vom HDP-Europavertreter Faik Yağızay begleitete Delegation mit Vertretern des Antifolterkomitees CPT, Pandemie-bedingt jedoch nur telefonisch.

Es handelte sich um die ersten Treffen der HDP-Delegation seit einem Jahr, äußerte Hişyar Özsoy gegenüber der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Viele Sitzungen seien aufgrund des weltweit grassierenden Coronavirus abgesagt worden. „Inhaltlich ging es in erster Linie darum, was unserer Meinung nach zentral auf der Agenda für die Türkei stehen sollte. Wir hatten zwei Hauptpunkte: Die anhaltenden Hungerstreiks in den Gefängnissen und die seit mehr als anderthalb Jahren andauernde Totalisolation Abdullah Öcalans. Des Weiteren ging es um die Entscheidung des europäischen Menschengerichtshofs zur Freilassung des früheren Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und den Widerstand der Regierung gegen die Umsetzung dieses Urteils.“

Der EGMR hat zweimal entschieden

Die HDP-Abgeordneten teilten den EU-Vertretern ihre Besorgnis mit, dass der Hungerstreik eskalieren könnte, und erinnerten an die Toten eines ähnlichen Protests zwischen 2018 und 2019.  Özsoy erklärt hierzu: „Die Isolation von Herrn Öcalan und den anderen Gefangenen auf Imrali ist keine Frage der Verletzung von einzelnen Menschenrechten. Abgesehen von der menschenrechtlichen und juristischen Dimension handelt es sich bei der Isolation auf Imrali um eine Verhinderung einer Lösung der kurdischen Frage durch Verhandlungen. Es handelt sich um eine Situation, die das gesamte politische Klima in der Türkei vergiftet, einengt, militarisiert und belastet. So verstehen wir die Lage und berichten darüber. Es gibt CPT-Beschlüsse zur Isolation auf Imrali, aber auch zwei Beschlüsse der Parlamentarische Versammlung des Europarates – einen aus Januar 2019 und einen aus Oktober 2020 – in denen gefordert wird, dass die Türkei die CPT-Empfehlungen umsetzt.“

Sondersitzung des Europarats zur Lage in der Türkei gefordert

Die Delegation forderte insbesondere vor dem Hintergrund der Hungerstreiks eine PACE-Sondersitzung. Özsoy führt zum Besuch des CPT vor wenigen Tagen in der Türkei aus: „Schon im Vorfeld der medialen Berichterstattung ist uns mitgeteilt worden, dass Imrali nicht besucht wurde. Der Hungerstreik, Imrali und die Isolation seien jedoch mit Vertretern auf ‚höchster Ebene‘ diskutiert worden.“ Das CPT sei nach der Rückkehr seiner Delegation aus der Türkei über die aktuelle Situation in Kenntnis gesetzt worden. „Während dem Hungerstreik vor zwei Jahren haben wir bereits intensiv mit diesen Menschen zusammengearbeitet. Daran haben wir sie erinnert. Damals führten sie ebenfalls Verhandlungen mit dem Ministerium und den türkischen Behörden über eine rechtliche Regelung der Besuche auf Imrali. Wir hoffen auch diesmal auf eine tiefgreifende Lösung. Sollen denn alle zwei oder drei Jahre Menschen in den Hungerstreik oder sogar ins Todesfasten treten und sterben, um die Isolation zu durchbrechen? Es gibt keine absurdere Situation“, kritisiert Özsoy.

Das CPT habe diesmal mit seiner Routine gebrochen und getwittert, man habe auch die Lage in Imrali angesprochen. Das sei sehr ungewöhnlich. Ein Team des Gremiums habe zwei Wochen lang mehrere Gefängnisse inspiziert und einen entsprechenden Bericht verfasst.

Politischer Wille nötig

„Das Antifolterkomitee kann die Türkei zwar in dieser Hinsicht am genauesten überwachen, aber letztlich ist es nur eine technische Institution. Die Berichte sind wichtig, aber eben nicht bindend wie eine Entscheidung des EGMR. Das CPT verfasst einen Bericht, aber wenn der politische Willen zur Umsetzung der Empfehlungen fehlt, bleibt dieser Bericht nur ein Stück Papier. Deshalb wurden in der Parlamentarischen Versammlung zwei Entscheidungen getroffen. Es wurde entschieden, in einer Referenz zu erklären: ‚Wir erwarten von der Republik Türkei dringend die Umsetzung der CPT-Empfehlungen zu den Regelungen auf Imrali, einschließlich bezüglich Abdullah Öcalan.‘“

„Gemeinsame Entscheidung der EU-Institutionen“

Es gebe eine parlamentarische Unterstützung für die CPT-Berichte, sagt Özsoy. Im Büro des Generalsekretärs sei darüber gesprochen worden. Derzeit hätten alle Institutionen des Europarats einen gemeinsamen Standpunkt zu diesem Thema, mit Ausnahme des Ministerkomitees des Europarats. „Im Moment sagt der Europarat, dass dieser Beschluss dringend umgesetzt werden sollte, nicht nur auf der Ebene eines technischen Komitees wie dem CPT, sondern auch auf der parlamentarischen Ebene. In den Gesprächen mit der Türkei wird diese Position vermittelt.“

Seit dem Beginn der Beobachtung der Türkei im April 2017 sind auf Ebene des Europarats etliche Verschlechterungen der Lage in der Türkei festgestellt worden. Wenn die türkische Regierung auf ihrer Haltung beharrt, Entscheidungen und Empfehlungen nicht umzusetzen, könnte das dazu führen, dass ein Verfahren eingeleitet wird, die Mitgliedschaft im Europarat und den Beitrittsprozess der Türkei zu beenden, sagt Özsoy.

Demirtaş-Entscheidung auf der Tagesordnung

Mit Blick auf die ausbleibende Umsetzung der EGMR-Entscheidung im Fall von Selahattin Demirtaş sei aus den Reihen der Sozialdemokraten ein baldiges Ausschlussverfahren der Türkei aus dem Europarat signalisiert worden, sollte Ankara daran festhalten, gerichtliche Anordnungen nicht umzusetzen. Ein solcher Prozess kann von jedem Land oder einem Vertreter aus den 15 Mitgliedstaaten initiiert werden. Derzeit seien rund 80 Prozent des Parlaments in der Position, diese Entscheidung zu treffen.

„Es sollten starke Sanktionen verhängt werden“

Vom Europarat fordert Özsoy, härter gegen die Regierung in Ankara vorzugehen. Beim Gespräch mit dem Generalsekretär des Europarats habe dieser geäußert, es handele sich um einen Mangel an Ernsthaftigkeit, wenn Mitgliedsstaaten die Regeln nicht beachten. „Der Rat muss durchsetzungsbefugt sein. Früher konnten Staaten nur auf Antrag des Ministerrats entlassen werden, nun hat auch das Parlament das Recht dazu.“ Es müssten starke Sanktionen gegen die Türkei verhängt werden, um die Umsetzung von Beschlüssen zu erwirken, so der außenpolitische Sprecher der HDP.