Von 1992 bis heute: „Die PDK greift von hinten an“

Vor 34 Jahren zog die Peschmerga aus Südkurdistan an der Seite der türkischen Armee in den Krieg gegen die PKK-Guerilla. Kawa Dêrik war damals ein junger Guerillakämpfer.

Zeitzeugenbericht vom Südkrieg

Am 2. Oktober 1992 begann mit einem Angriff auf die Guerilla in Xakurke ein Krieg, der als „Südkrieg“ in die Geschichte Kurdistans einging und sich auf die Regionen Heftanîn und Zap ausweitete. Sowohl die Guerilla der Arbeiterparteipartei Kurdistans (PKK) als auch die Peschmerga der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und der Patriotischen Union Kurdistan (YNK) erlitten Verluste. Vorangegangen war eine Einigung der PDK mit dem türkischen Staat. Zwei Tage nach dem ersten Angriff, am 4. Oktober 1992, wurde Kurdistan als autonome Region im Irak proklamiert. Als regionale und globale Akteure, allen voran der türkische Staat, einem föderalen System grünes Licht gaben, wurde als Gegenleistung von den südkurdischen Parteien YNK und PDK der gemeinsame Krieg gegen die PKK gefordert. In der Folge zogen die Kräfte Südkurdistans an der Seite der türkischen Armee in den Krieg gegen die PKK-Guerilla.

Kawa Dêrik war damals neu bei der Guerilla in Xakurke und hat im ANF-Interview geschildert, wie er die auch als „Bruderkrieg“ benannten Kämpfe erlebte.


Sie haben als junger Guerillakämpfer an diesem Krieg teilgenommen. Können Sie uns etwas über diese Zeit und ihre Auswirkungen erzählen?

Als Bewegung haben wir den Krieg zwischen uns und der PDK im Jahr 1992 immer als einen Krieg des Verrats betrachtet, wir nennen ihn nicht einen Bruderkrieg. Es war ein großer Verrat und für uns war es schwierig, ihn zu verstehen. Wir waren gekommen, um gegen den türkischen Staat zu kämpfen, der dem kurdischen Volk Assimilation, Kolonialismus, Besatzung und Massaker aufzwang. Die Kurdinnen und Kurden lehnten sich seit Jahrzehnten gegen die Unterdrückung durch den türkischen Staat auf, sie rebellierten und es gab Dutzende Aufstände. Der türkische Staat verübte große Massaker. Hunderttausende Kurdinnen und Kurden wurden getötet. Millionen von ihnen wurden aus ihrem Land vertrieben und das Schicksal von Hunderttausenden ist unbekannt. Unser einziges Ziel war es, die vier Teile Kurdistans zu vereinen und dem Kolonialismus ein Ende zu setzen.

In jenen Jahren war ich gerade in die Partei eingetreten. Wir waren jung, und so war es für uns schwierig, einen solchen Krieg zwischen Kurden zu verstehen. Abgesehen von der Freiheitsbewegung kannten wir die Parteien in Başûr [Südkurdistan] nicht, wir kannten nur die PKK, die für die Einheit und Freiheit der vier Teile Kurdistans kämpfte. Auf dieser Grundlage haben wir uns an dem Kampf beteiligt. Aus unserer Sicht mussten alle vier Teile beteiligt sein und diese Revolution unterstützen. Auch die Entwicklung der Bewegung erfolgte auf dieser Grundlage. Es gab Menschen aus vier Teilen Kurdistans. Tausende waren bereits gefallen, es wurde ein hoher Preis gezahlt.

Später, als wir die Geschichte dieser Parteien lasen und ihre Politik und ihr Verständnis kennenlernten, begannen wir sie besser zu verstehen. Wir erkannten, dass diese Parteien in Wirklichkeit nicht nur gegen uns, sondern gegen alle jemals entstandenen kurdischen Bewegungen gekämpft und sich auf die Seite des Feindes gestellt hatten. Auch untereinander haben sie jahrzehntelang Krieg geführt und sich bekämpft. Sie haben sogar das Volk auseinandergerissen.

Es gab bereits damals Analysen von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] über das Problem der kurdischen Einheit und den Verrat unter den Kurden. Wir wussten, dass viele Aufstände aufgrund von internem Verrat liquidiert wurden und das eine blutende Wunde war, die unter den Kurden behoben werden musste. Aber dass zum ersten Mal Zehntausende Kurden die Guerilla angriffen, die in den Bergen gegen den Feind kämpfte und sich opferte, war eine Situation, die für uns wirklich schwer zu akzeptieren war.

Auf welchem Niveau befand sich der Krieg der Guerilla mit dem türkischen Staat zu dieser Zeit?

1990 wurden Botan und Behdînan auf einem Kongress zu Gebieten der Bewegung erklärt. Mit diesem Kongress begann für die Guerilla eine neue Phase. In den Jahren 90 bis 91 hat die Guerilla dem Feind schwere Schläge versetzt. Ich erinnere mich an große Aktionen im Sommer 92. Damals wurden die Stützpunkte Bêzelê, Bêsosin und Rûbarok von der Guerilla vollständig zerstört. Der türkische Staat hatte kein Mittel gegen die Guerilla. Er musste Tag für Tag Schläge einstecken. Ohne die Unterstützung der Parteien in Başûr hätte es der türkische Staat niemals gewagt, in diese Gebiete vorzudringen. Aus diesem Grund hat er die Konfliktparteien in Başûr zusammengebracht und sie in den Krieg gegen die PKK geführt. Reber Apo sagte damals: „Die PDK beteiligt sich an dem Vernichtungsplan gegen die PKK, um von den USA, Israel und dem türkischen Staat anerkannt zu werden.“ Als die Regierung der Kurdistan-Region im Irak gebildet wurde, war der erste Beschluss des Parlaments die Vertreibung der PKK aus Başûr.

Zu dieser Zeit war ich an der Xakurke-Front, und vor Beginn des Krieges 1992 wurde die Aktion in Rûbarok [tr. Derecik, Provinz Colemêrg/Hakkari] durchgeführt. Bei dieser Aktion wurde dem Feind ein schwerer Schlag versetzt. Der Stützpunkt war vollständig unter der Kontrolle der Guerilla. In dem Gebiet befanden sich etwa 600 Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla in einem ständigen Krieg. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die PDK-Truppen von hinten angreifen würden. Deshalb haben wir nicht die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Im Vorfeld gab es ein Treffen zwischen der PDK und unserer Gebietsleitung. Bei diesem Treffen erklärte die PDK, dass sie ein Bündnis mit Amerika, Israel und dem türkischen Staat geschlossen habe und dass sich die Guerilla aus dem Gebiet zurückziehen solle. Andernfalls werde sie angreifen. Die Bewegung sagte, dass sie nicht die Absicht habe, gegen die Başûr-Kräfte zu kämpfen. Dennoch haben wir nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich gegen uns kämpfen würden. Aus diesem Grund wurde an der Aktionsplanung gegen den türkischen Staat festgehalten, es wurden weiter Aktionen durchgeführt. Auch die Planung der Rûbarok-Aktion fiel in diese Zeit.

Noch bevor sich unsere Kräfte von der Aktion erholt hatten, meldete BBC im Radio, dass in der Gegend von Heftanîn eine Operation vorbereitet wurde. Am 2. Oktober 1992 sahen wir plötzlich Peschmerga, die gegenüber von uns mit schweren Geschützen in Stellung gingen. Am Abend begannen sie anzugreifen. Ich war mit einer Gruppe auf dem Hügel, der heute als Şehîd-Bêrîtan-Gipfel bekannt ist, mit einer Doçka [DschK, schweres Maschinengewehr]. Es gab noch ein paar andere Doçkas in der Gegend. Bevor der Krieg des Verrats begann, hatten die Freunde sechs Kampfflugzeuge des türkischen Staates abgeschossen. Der türkische Staat konnte nicht so einfach in das Gebiet von Xakurke eindringen. Jeden Tag gab es Luftangriffe. Manchmal gab es zwei- oder dreimal am Tag Luftangriffe. Das war für uns inzwischen normal, und trotzdem hatten wir keine Verluste zu beklagen. Die Guerilla beherrschte das Terrain und wusste sich gut zu schützen.

Es sollte auch erwähnt werden, dass nicht nur die PDK und die YNK am Krieg von '92 teilnahmen, sondern auch viele andere Parteien aus Başûr. Die PDK betrieb eine sehr falsche Propaganda unter der Bevölkerung. Damals kannten die Menschen in Başûr die PKK nicht sehr gut. Sie dachten, die PKK sei wie andere Parteien. In Başûr hatten sich die Parteien schon seit Jahren bekämpft.

Wurde der Krieg nur zwischen der PKK-Guerilla und den Kräften von Başûr geführt? War der türkische Staat nicht darin verwickelt?

Als die PDK am Boden angriff, begann auch der türkische Staat mit Angriffen aus der Luft. Kampfflugzeuge haben uns Tag und Nacht bombardiert. Am 4. und 5. Tag wurde der Krieg immer heftiger und heftiger. Während die türkische Luftwaffe uns 24 Stunden am Tag aus der Luft bombardierte, griffen Tausende Peschmerga am Boden mit den vom türkischen Staat zur Verfügung gestellten Waffen an, von Heftanîn bis Xakurke. Der Iran schloss die Grenze im Osten für uns, die PDK und die YNK sperrten alle Wege im Süden, und im Norden führte der türkische Staat von Zeit zu Zeit punktuelle Operationen und ununterbrochene Luftangriffe durch. In dieser Hinsicht kann ich sagen, dass es der schwerste Krieg in der Geschichte der Freiheitsbewegung war. In 34 Jahren habe ich viele Kriege miterlebt, aber nichts war mit dem Verrat von 1992 vergleichbar. Vielleicht können wir es mit dem Angriff auf Şengal [Sinjar 2014] vergleichen. Denn in beiden Kriegen gab es sowohl Verrat als auch Einkreisung von vier Seiten.

1992 griff die PDK die Guerilla mit der gesamten Peschmerga-Truppe an. Nach diesem Krieg wurde uns klar, dass das einzige Ziel und die einzige Aufgabe der PDK und der Familie Barzanî darin besteht, gegen Kurdinnen und Kurden zu kämpfen und sich an Massakern zu bereichern. Es ist normal, dass die PDK mit dem Feind eins ist. Es gibt nichts, was sie ihren Brüdern und Schwestern nicht antun würde. Diesen Geist des Verrats haben wir damals eindeutig erkannt. In den letzten Tagen des Krieges begann der Nahkampf. Sie griffen in Scharen an. Die Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla, die mit den Ideen und der Freiheitsphilosophie von Rêber Apo ausgebildet waren, wichen keinen Schritt zurück. Die Kämpfe dauerten einen Monat lang ohne Unterbrechung an. Sie griffen mit so viel Hass an, dass wir uns manchmal fragten, für was sie sich an uns rächen wollten.

Was waren die Folgen dieses Krieges für die kurdische Freiheitsbewegung und die vier Teile Kurdistans?

Die Folgen des Verrats waren für uns sehr schwer. Nicht nur für uns, sondern auch für die Gesellschaft von Başûr und alle Kurdinnen und Kurden. Es gab auch großes Heldentum in diesem Krieg, historische Epen wurden geschrieben. So wie die Guerilla ohne Zögern bis zum letzten Moment gegen die Angriffe des türkischen Staates kämpfte, so kämpfte sie auch weiter gegen die Linie des Verrats und wich keinen einzigen Schritt zurück. Der Widerstand der Freiheitsguerilla hat seine Spuren in der Geschichte hinterlassen.

Sie sagten, dass es in der Region Xakurke 600 Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla gab und Sie von Tausenden Peschmerga angegriffen und ständig aus der Luft bombardiert wurden. Wie konnte die Guerilla einen Monat lang gegen eine so große Streitmacht Widerstand leisten?

Vor Kriegsbeginn gab es insgesamt 600 Kämpferinnen und Kämpfer in Xakurke. Einige von ihnen waren bei Aktionen verwundet worden, es gab auch Gefallene. Knapp 200 Freundinnen und Freunde wurden auf diese Weise aus dem Krieg ausgeschlossen. Fast 200 weitere waren gerade erst angekommen und hatten noch nie in ihrem Leben einen Krieg erlebt. Ich war einer von ihnen. Einige kamen gerade aus der Parteiakademie und hatten nur eine ideologische Ausbildung erhalten, die meisten von ihnen wussten nicht einmal, wie man mit Waffen umgeht. Kurz gesagt, es gab höchstens 200 Freundinnen und Freunde mit Kampferfahrung in Xakurke. Wir wurden ununterbrochen bombardiert. Es wurden alle Arten von Waffen eingesetzt, von Streubomben bis zu Phosphor. Während wir unter intensivem Bombardement durch den türkischen Staat aus der Luft standen, griffen die Peschmerga vom Boden aus an. Aus diesem Grund habe ich davon gesprochen, dass es der schwierigste Krieg war, der je geführt wurde.

Natürlich gab es in der Geschichte des Freiheitskampfes auch später sehr intensive und schwierige Kriegszeiten. Im Kampf gegen den IS gab es sehr schwierige Phasen, es wurde großer Widerstand geleistet. Wir haben 13.000 Gefallene gehabt, aber die Bevölkerung war auf unserer Seite. Wir hatten Waffen. Wir hatten Krankenhäuser, um unsere Verwundeten zu behandeln. Damals hatten wir in den Bergen keine solche Chance. Wenn jemand von uns im Kampf verletzt wurde, konnte mehrere Tage oder sogar Wochen nichts getan werden. Der Krieg dauerte einen knappen Monat und war am 27. Oktober 1992 zu Ende. Heval Bêrîtan ist am 25. Oktober gefallen. Wir waren an der gleichen Front, etwa 300 Meter voneinander entfernt. An diesem Tag fielen elf weitere von uns, 22 Freundinnen und Freunde wurden verwundet. Insgesamt gab es in Xakurke etwa 80 Gefallene und viele weitere Verletzte. Mehr als 600 Peschmerga haben ihr Leben verloren. Nach offiziellen Angaben der PDK und der YNK sind 3000 Peschmerga in diesem Krieg ums Leben gekommen, denn er fand ja nicht nur in Xakurke statt. In Heftanîn war es noch schlimmer, auch dort gab es heldenhaften Widerstand. Die Guerilla hat gegen Tausende Peschmerga und die große technische Macht des türkischen Staates gesiegt, weil sie von Rêber Apos Philosophie erschaffen wurde. Viele Peschmerga waren von Heval Bêrîtans Tod betroffen. Ein großer Teil legte danach die Waffen nieder. Sie versteckten sogar ihre Leiche. Später sagten sie, dass sie von der Propaganda und der Hetze der PDK beeinflusst wurden.

Auch heute greift die PDK die Guerilla gemeinsam mit der türkischen Armee an. Was können Sie dazu sagen?

Die PDK betreibt wieder dieselbe Politik. Sie greift zusammen mit dem türkischen Staat an und interveniert bei Protesten in der Bevölkerung. Leider hat die PDK diese Linie des Verrats über Jahre hinweg kultiviert und setzt sie bis heute fort. Das Gleiche geschieht jetzt wieder. Der türkische Staat setzt ununterbrochen alle Arten von Waffen gegen die Guerilla ein, einschließlich chemischer Waffen. Die PDK ist nach 34 Jahren wieder mit dem türkischen Staat vereint und legt der Guerilla Hinterhalte. Das Einzige, was ich der PDK sagen kann, ist, dass sie diese Linie des Verrats aufgeben sollte. Alle Teile Kurdistans gehören zusammen. Der Verlust von einem ist der Verlust von allen. Die Barzanî-Familie besteht seit Jahren auf der Linie des Verrats. Wir sagen, genug ist genug.