Rechtsanwältin Anna Busl: §129b widerspricht demokratischer Verfassung

„Konkret wird niemandem, der nach § 129b verfolgt wird, anderes vorgeworfen als Versammlungen, Kundgebungen, Festivals. Daher sehen wir das Grundproblem darin, dass es überhaupt einen solchen Paragraphen gibt“, sagt die Bonner Juristin Anna Busl.

Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom Oktober 2010 wird nach linken türkischen und tamilischen Organisationen auch die kurdische Freiheitsbewegung PKK als eine „terroristische“ Vereinigung im Ausland eingestuft. Mutmaßliche Mitglieder und deren Aktivitäten werden seitdem nach den §§ 129a und b StGB verfolgt. Prozessvoraussetzung für diese Verfahren ist das Vorliegen einer allgemeinen oder für den konkreten Einzelfall erteilte Ermächtigung des Bundesjustizministeriums, die von der Bundesanwaltschaft bzw. Staatsanwaltschaft eingeholt wird.

Im Falle der PKK hat das Bundesjustizministerium eine generelle Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung am 6. September 2011 erteilt. Diese ist zunächst auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Betätigung von angeblichen PKK-Gebiets-, Regions- und Sektorleitern beschränkt, betrifft also die Funktionärsebene. Die Mehrzahl der vom Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ dokumentierten 129b-Verfahren basieren auf dieser über zehn Jahre alten Ermächtigung.

Seit geraumer Zeit steigt die Zahl der Vereins- und Wohnungsdurchsuchungen im Zuge von 129b-Ermittlungsverfahren gegen Aktivist:innen, in denen das BMJV Einzelermächtigungen erteilt hat, die oft nur wenige Wochen zurückliegen. In diesen Fällen wird den Betroffenen vorgeworfen, die PKK unterstützt, als Vorsitzende von kurdischen Vereinen, als Raumverantwortliche oder lediglich als „Frontarbeiter:in“ tätig gewesen zu sein. Im Unterschied zu den Kadern sind die Betroffenen nicht in Haft. Über diese Entwicklung sprach AZADÎ mit der Bonner Rechtsanwältin Anna Busl.

Können Sie in Ihrer Praxis auch eine Tendenz wie die beschriebene feststellen?

Ja, das kann ich. Es nimmt zu, dass auch jenseits der bisherigen Praxis – die Verfolgung „nur“ auf Kader zu beschränken – Aktivist:innen strafrechtlich verfolgt werden, ihre Wohnungen durchsucht und gegebenenfalls auch ein Haftbefehl gegen diese erlassen wird, die nach Auffassung der Verfolgungsbehörden keine Gebiets-, Sektor-, oder Regionsleiter waren.

Was glauben Sie, könnte der Beweggrund für die vermehrte Erteilung von Einzelermächtigungen sein, die sich nicht auf Vorwürfe einer Kadertätigkeit beziehen?

Leider kennen die Verteidiger:innen die Beweggründe nicht – ebenso wenig wie es bisher öffentlich wurde beziehungsweise Angaben dazu erfolgten, auf welcher tatsächlichen Grundlage oder welcher Ermessenserwägungen überhaupt eine generelle Ermächtigung erfolgte. Insofern kann nur anhand der Gesichtspunkte gemutmaßt werden, die bekannt sind: Die Verfolgung von linken, revolutionären, die herrschende Ordnung in Frage stellenden Kräften nimmt insgesamt zu. Besonders trifft das auf diesen Aktivenkreis aus der Türkei zu und hier wegen der deutschen Interessen mit dem türkischen Staat. Offensichtlich soll ein Zeichen gesetzt werden, das da heißt: Es kann jede und jeden treffen – wieg dich nicht in Sicherheit!

Laut dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 soll es in Deutschland 14.500 Mitglieder der PKK geben. Wäre es Ihrer Meinung nach denkbar, dass in Zukunft weitaus mehr kulturell und politisch aktive Kurdinnen und Kurden von einer Strafverfolgung auf der Grundlage des §129b StGB betroffen sein könnten?

Aufgrund der geschilderten Entwicklung sehe ich dies durchaus als möglich an, oder anders gesagt: Davon, dass die schlichte Inanspruchnahme und das Nützen der (noch) vorhandenen grundgesetzlich geschützten Freiheiten wie die Versammlungs- oder Kunstfreiheit im Auge des Staates nicht als tendenziell bedrohliches Verhalten angesehen wird, sind wir weiter entfernt als vor ein paar Jahren. Wie leicht ist es da, dies in den Kontext einer wie auch immer gearteten Mitgliedschaft zu setzen. Und konkret wird niemandem, der nach § 129b StGB verfolgt wird, anderes vorgeworfen als dies: Versammlungen, Kundgebungen, Festivals. Dies ist auch ein Grund, warum wir Verteidiger:innen nach wie vor das Grundproblem darin sehen, dass es überhaupt einen Paragraphen wie den 129b gibt. Dieser widerspricht in unseren Augen grundlegend einer demokratischen Verfassung.

Hat die Nichtinhaftierung von Aktivist:innen den Hintergrund, dass die Strafverfolgungsbehörden möglicherweise nicht mit einer Eröffnung von Hauptverfahren rechnen oder hat es lediglich mit der Einschätzung zu tun, dass bei den Betroffenen keine Fluchtgefahr besteht, wie das bei den Kadern grundsätzlich unterstellt wird?

Das kann ich natürlich nicht generell beantworten. Dass aber nicht inhaftiert wird, weil nicht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gerechnet wird, habe ich bislang nicht erlebt. Tatsächlich dürfte es daher eher Letzteres sein.

Sehen Sie angesichts des 30. Jahrestages des PKK-Betätigungsverbots in diesem Jahr eine Chance, dass sich an der herrschenden Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung, ihrer Institutionen und Anhänger:innen irgendetwas ändern könnte?

Diese Frage nur mit „nein“ zu beantworten, wäre natürlich fatal. Also lasst uns über die Bedingungen sprechen, unter denen sich etwas ändern könnte. Die mögen groß erscheinen, sind aber realisierbar. Gesetze und behördliches Handeln sind nicht unveränderbar. Es braucht dazu eine demokratische Bewegung, eine Bewegung auch hierzulande, die mindestens einfordert, dass keine Waffen mehr an die Türkei geliefert werden und die Zusammenarbeit mit der Diktatur in Ankara beendet wird. Eine Bewegung, die nicht einmal in allem einig sein muss mit den Forderungen der kurdischen Bewegung, aber damit, dass sich all die Gesetze und Verfolgungen gegen diese, auch gegen sie selbst richten können.

Besten Dank für das Gespräch.

Anmerkung: Wir wollen an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass sich alle, die von der Beschuldigung des § 129b StGB betroffen sind und Ladungen zur Anhörung von Polizeidienststellen oder Mitteilungen dieser Art von Staatsanwaltschaften erhalten, unbedingt eine Anwältin/einen Anwalt für Strafrecht einschalten sollten. AZADÎ ist bei der Vermittlung gerne behilflich.


Das Interview ist dem neuen Infodienst von AZADÎ entnommen. Die Broschüre kann auf der Webseite des Rechtshilfefonds als PDF-Datei heruntergeladen werden.