Gerechtigkeitswachen für Verurteilte im Kobanê-Verfahren

In Amed, Adana und Istanbul fanden Gerechtigkeitswachen in Solidarität mit den Verurteilten im Kobanê-Verfahren statt. Der Regimejustiz wurde vorgeworfen, mit drakonischen Haftstrafen gegen die frühere HDP-Führung Rache für den IS genommen zu haben.

Solidarität mit der kurdischen Demokratiebewegung

Mit sogenannten Gerechtigkeitswachen in Amed (tr. Diyarbakır), Adana und Istanbul haben zahlreiche Menschen auf Initiative der DEM-Partei gegen die drakonischen Urteile im Kobanê-Verfahren protestiert. Die Parlamentsabgeordnete Saliha Aydeniz warf der türkischen Justiz vor, „Feindstrafrecht“ gegen die kurdische Demokratiebewegung anzuwenden. „Das Kobanê-Verfahren ist ein politischer Prozess aus Rache, weil das Regime die Niederlage der Terrormiliz ‚Islamischer Staat‘ in Kobanê noch immer nicht verwunden hat“, sagte die Parlamentarierin auf einer Demonstration durch Sûr, dem Altstadtbezirk von Amed. Dort hatte am Samstag die größte Veranstaltung stattgefunden. Mehrere tausend Menschen beteiligten sich an dem Protestmarsch, darunter auch Persönlichkeiten politischer Parteien wie der DBP, ESP und TIP sowie Handelnde und Aktive der Zivilgesellschaft.

Mehr als drei Jahre nach dem Prozessauftakt waren 24 der insgesamt 108 Angeklagten in dem als „Kobanê-Verfahren“ bekannten Schauprozess im Zusammenhang mit Protesten während des IS-Angriffs auf die kurdische Stadt Kobanê in Nordsyrien im Oktober 2014 am Donnerstag von einem Gericht in Ankara zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Mit der höchsten Strafe wurde der seit 2016 inhaftierte und frühere Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş belegt. Er bekam 42 Jahre Freiheitsstrafe. Die ehemalige Ko-Vorsitzende Figen Yüksekdağ erhielt mehr als 30 Jahre Haft. Zwölf Beschuldigte wurden freigesprochen, das Verfahren gegen die übrigen Angeklagten geht abgetrennt weiter.

„Her bijî berxwedana me ya bi rêxistikirî“ - zu Deutsch: Es lebe unser organisierter Widerstand

Aydeniz betonte, dass es sich bei den Angeklagten des Kobanê-Verfahrens um Persönlichkeiten handelt, die sich „mit Herzblut“ für eine politische Lösung der kurdischen Frage einsetzten. Dass nun einige der Angeklagten, die ohnehin seit Jahren im Gefängnis sitzen, teilweise für Jahrzehnte hinter Gittern verschwinden sollen, sei ein eindeutiges Signal dafür, dass die Verantwortlichen für dieses Urteil nicht wollten, dass die Türkei demokratisiert werde. „Alle Völker der Türkei müssen ihre Stimme erheben und zum Ausdruck bringen, dass die Abwesenheit von Demokratie keine Option ist“, forderte Aydeniz.

Çiğdem Kılıçgün Uçar

Çiğdem Kılıçgün Uçar, die Ko-Vorsitzende der DBP, bezeichnete den Kobanê-Prozess als eine „Justiz-Farce“, die in einem der vielen Paläste von Staatschef Tayyip Erdoğan dirigiert worden sei. Aus faschistischem Selbstverständnis heraus seien auf seine Anordnung hin als „Mitglieder des Lagers der gegnerischen Seite“ identifizierte Oppositionelle ihrer Freiheit beraubt und in Geiselhaft genommen worden. „Flankiert wurde das Ganze den gesamten Prozess über durch Stigmatisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung der Beschuldigten in der Öffentlichkeit als angebliche ‚Mörder‘ von höchster Regierungsebene, sowie rassistischem Geraune durch die Medien.“ Auch Uçar beschuldigte die Führung in Ankara, „gemeinsame Sache mit dem IS“ gemacht zu haben. Diese Tatsache sei zuletzt in den Urteilen im Kobanê-Verfahren wieder zutage gefördert worden. „Der Prozess war eine Racheaktion für den Sieg einer Stadt, die der größten Terrormiliz des 21. Jahrhunderts standgehalten hat. Kobanê ist nicht gefallen und wird auch nicht fallen. Das ist der einzige Grund des Kobanê-Verfahrens.“

In Istanbul fand eine Kundgebung im Stadtteil Esenyurt statt, an der sich auch die Ko-Vorsitzenden der Parteien DEM, EHP und EMEP sowie des Demokratischen Gesellschaftskongresses HDK beteiligten


Der TIP-Vorsitzende Erkan Baş ergänzte, dass sich alle Demokratie-Kräfte vereinen müssten, um das Unrecht im Land zu beenden. „Es braucht eine gemeinsame Front gegen dieses Regime, das Feind von Gezi und Kobanê ist, um alle unsere zu Unrecht inhaftierten Freundinnen und Freunde zu befreien“, sagte Baş und forderte „Solidarität von allen für das kämpfende kurdische Volk“ ein. Der Politiker warf der Regierung vor, mit faschistischer Stimmungsmache gegen die kurdische Opposition die Gesellschaft in zwei Lager spalten zu wollen. „Nur der gemeinsame Widerstand kann die Angriffe der Herrschenden abschlagen“, so Baş.