„Entschuldigung“ vier Jahre nach rassistischem Hanau-Massaker

Neun Menschen wurden 2020 von einem deutschen Rassisten in Hanau ermordet. Nach Jahren des Relativierens und Schweigens kommt nun eine Entschuldigung des Polizeichefs.

In den Nachtstunden des 19. Februar 2020 massakrierte ein rassistischer Mörder neun als migrantisch gelesene Personen. Der Täter hatte seinen Rassismus und seine Gewaltbereitschaft bereits zuvor im Internet ausgebreitet und sogar in einer manifestartigen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft dargelegt. Dennoch geschah nichts im Sinne der Gefahrenabwehr. Auch dass der Vater des Täters bis heute die Nachbarschaft terrorisiert und rassistisch bedroht, scheint nur von geringem Interesse zu sein. Bei dem Massaker von Hanau wurden Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović von dem rassistischen Killer umgebracht. Drei weitere Personen wurden durch die Schüsse des Täters schwer verletzt. Der Täter tötete anschließend seine Mutter und sich selbst. Das rassistische Massaker wurde in der Folge als Amoklauf eines „geistig Verwirrten“ bagatellisiert.

Mehr als vier Jahre nach dem Massaker hat der heutige Polizeipräsident von Südosthessen, Daniel Muth, die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung gebeten. Zuvor hatte bereits der Landesinnenminister Roman Poseck (CDU) sein „Bedauern“ geäußert.

Muth kritisierte, dass bei einem politisch motivierten Anschlag „eine sogenannte Landeslage im Landeskriminalamt [hätte] ausgelöst werden müssen, bei welcher die Führung der Lage an einen besonders erfahrenen Polizeiführer mit dessen Führungsstab übergeben worden“ wäre. Muth weiter: „Das ist damals nicht geschehen.“

Lob von damaligem CDU-Innenminister für skandalösen Polizeieinsatz

Der damalige Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte den Polizeieinsatz über den grünen Klee gelobt und das, obwohl der 43-jährige Täter mordend durch Hanau ziehen konnte. Dabei war schon früh klar, dass die Sicherheitskräfte auf vielen Ebenen versagt haben. Der Notruf in Hanau war veraltet, unterbesetzt und deswegen zeitweise während der Morde nicht erreichbar. Der Ermordete Vili Viorel Păun wählte dreimal vergeblich 110, als er dem Mörder folgte, um die Polizei auf ihn aufmerksam zu machen. Das allein ist schon Skandal. Doch offenbar sollte dieses Versagen unter den Teppich gekehrt werden. Erst durch den Vater Niculescu Păun wurden die vergeblichen Anrufe beim Notruf öffentlich. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft diesbezüglich wurden eingestellt.

Erst im Juni 2024 (!) benannte Innenminister Poseck die Mängel, also den nicht funktionierenden Polizeinotruf und die Art und Weise, wie die Todesnachrichten überbracht worden seien. Die Angehörigen waren in einer Schießhalle mit Zielscheiben an den Wänden über die Morde informiert worden.

Ein Vergleich mit Solingen drängt sich auf

Man tausche nun die Worte Hanau mit Solingen aus und stelle sich vor, die Behörden hätten ähnlich reagiert. Rücktritte bis auf die Landesregierungsebene und möglicherweise sogar bis in die Bundesregierung wären denkbar. Aber nach dem Massaker von Hanau kamen Personen wie Friedrich Merz (CDU) nicht im Entferntesten auf die Idee, von einer „nationalen Notlage“ zu sprechen, die sich nur durch eine Veränderung der Politik bewältigen lasse. Das waren aber seine Worte, mit denen er vor wenigen Tagen nach den islamistischen Morden in Solingen für Rechtsbrüche plädierte. Dass er dabei das Feuer des Rassismus mit einem Generalverdacht gegen Schutzsuchende aus Syrien und Afghanistan und der Forderung nach einem Aufnahmestopp für Menschen aus diesen Ländern weiter anfachte, ist Ausdruck einer auf allen Ebenen verbreiteten Geisteshaltung, die nur als tief verinnerlichter Rassismus definiert werden kann.

Die Reaktionen der Bundesregierung auf Solingen sind Ausdruck einer ähnlichen Haltung. Statt den Rassismus zu brandmarken und Islamismus politisch und gesellschaftlich zu bekämpfen, wird gegen Schutzsuchende gehetzt und es werden menschenrechtswidrige Gesetzesverschärfungen gegen Schutzsuchende vorbereitet. So sollen beispielsweise Schutzsuchende, für die nach dem sogenannten Dublin-Abkommen andere EU-Staaten zuständig sind, keinerlei Leistungen mehr erhalten. Diese Maßnahmen sind offenkundig rechtswidrig, doch das scheint nur eine Fußnote zu sein.

Die Unterschiedlichkeit der Reaktionen ist kein Novum. Wir können eine Linie von den „besorgten Bürgern“, welche die Pogrome von Rostock und Hoyerswerda durchgeführt haben und mit der Demontage des Asylrechts belohnt wurden, über die als „Dönermorde“ rassistisch geframten Verbrechen des NSU bis nach Hanau ziehen. So sekundiert der von Politiker:innen aus Regierung und Opposition geführte rassistische Diskurs den Tätern vergangener und kommender rassistischer Verbrechen.

Eine weitere Anmerkung zum aktuellen Diskurs sei gestattet. Auch das Pochen auf Dublin-Abschiebungen mit dem Argument, dass es bei einer Abschiebung des Täters die Morde von Solingen nicht gegeben hätte, ist ein widerwärtiger Ausdruck der Unterschiedlichkeit des Wertes von Menschenleben je nach Herkunft und Aufenthaltsort. Für den mutmaßlichen Täter der Morde soll Bulgarien zuständig gewesen sein. Wäre er vor seiner Tat nach Bulgarien abgeschoben worden, hätte er die Tat vielleicht dort begangen, die Ressourcen für ein solches Massaker sind überall vorhanden. Auf den Punkt gebracht bedeutet das, wäre er abgeschoben worden, dann wäre es kein Problem von Deutschland mehr gewesen.

Diese Politik hat viel mit Opportunismus und wenig mit der Bekämpfung des Islamismus oder sogenannten universellen Werten zu tun. Sie findet sich auch darin wieder, dass sich Deutschland und andere europäische Staaten schwertun, die islamistischen Verbrecher aus Deutschland, die in Gefängnissen in Nord- und Ostsyrien sitzen, zurückzunehmen. Häufig unter dem Vorwand, es gäbe in Syrien keine politische Vertretung Deutschlands. Offenbar scheinen solche Gespräche aber, wenn es um Abschiebungen an das Assad-Regime in Syrien oder die Taliban in Afghanistan, die Brüder im Geiste des Attentäters von Solingen, durchaus möglich zu sein. Aber das ist noch eine andere Dimension dieser Doppelmoral.