ARTE-Doku über die PKK in Europa: Journalistische Recherche oder türkische Staatspropaganda?

Die ARTE-Doku „Die PKK in Europa - Freiheitskämpfer oder Terroristen?“ sorgt weiter für kontroverse Diskussionen - der Macherin wird tendenziöse Arbeit mit klarer politischer Ausrichtung vorgeworfen. Civaka Azad hat sich Zeit für eine Kritik genommen.

Filmkritik von Civaka Azad

Innerhalb von nur zwei Tagen wurde die ARTE-Dokumentation „Die PKK in Europa - Freiheitskämpfer oder Terroristen?“ mehr als 140.000-mal aufgerufen. Das klingt nach einem beeindruckenden Erfolg für die Dokumentarfilmerin Candan Six-Sasmaz. Doch die Dokumentation sorgt auch für kontroverse Diskussionen und Kritik. Der Vorwurf unsauberer Recherche steht ebenso im Raum wie der einer tendenziösen Arbeit mit klarer politischer Ausrichtung. Der Filmemacherin wird vorgeworfen, nationalistisch gesinnt zu sein und die türkische Staatspropaganda hoffähig zu machen. Und auch in den sozialen Medien tauchen Bilder und Beiträge auf, die Six-Sasmaz nicht unbedingt in einem guten Licht erscheinen lassen. Doch was ist dran an den Vorwürfen? Nachdem auch wir uns die Dokumentation angeschaut und ein wenig Hintergrundrecherche betrieben haben, möchten wir in diesem Beitrag unsere Erkenntnisse teilen.

Falsche Darstellungen und bewusste Weglassungen

Frau Six-Sasmaz hat für ihren Dokumentarfilm ein kontroverses Thema gewählt. Sie muss gewusst haben, dass es zu diesem Thema gegensätzliche, ja unvereinbare Positionen gibt und dass die Debatten über die PKK oft emotional und hitzig geführt werden. Um sich als Journalistin oder Dokumentarfilmerin nicht allzu angreifbar zu machen, ist es deshalb notwendig, a) möglichst unterschiedliche Positionen in die Arbeit einfließen zu lassen und b) möglichst gründlich zu recherchieren. Ob ihr das gelungen ist, wollen wir uns anschauen.

Beginnen wir mit Letzterem: Schon nach wenigen Minuten der Dokumentation fällt auf, dass die Arbeit von Six-Sasmaz klare Defizite aufweist. So erklärt sie, die PKK kämpfe für einen „unabhängigen konföderalen Staat“. An anderer Stelle wird die Staatsfrage auch von Kristian Brakel, dem Leiter des Türkeibüros der Heinrich-Böll-Stiftung, diskutiert. Die Diskussion über einen kurdischen Staat mag interessant erscheinen, nur ist es so, dass die PKK seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr für einen solchen Staat eintritt. Sie fordert ein basisdemokratisches Gesellschaftsmodell, das auf den Prinzipien der Gleichberechtigung der Geschlechter, Religionsgemeinschaften und Völker basiert und ein ökologisches Paradigma vertritt. Dieses Konzept wird als „Demokratischer Konföderalismus“ bezeichnet. Eigentlich müsste eine erfahrene Journalistin nicht viel recherchieren, um diese Tatsache zu erkennen. Allerdings wird diese Tatsache von Frau Six-Sasmaz bewusst oder unbewusst weggelassen.

Solche Fehler finden sich an verschiedenen Stellen der Dokumentation. Mal wird die PKK als marxistisch-leninistische Organisation bezeichnet, obwohl diese Bezeichnung spätestens seit ihrem Paradigmenwechsel in den 90er Jahren nicht mehr auf sie zutrifft, oder sie wird zur „kommunistischen“ Partei erklärt, obwohl auch dies weder als Fremd- noch als Selbstbezeichnung für die Organisation üblich ist. Es scheint, dass die Filmemacherin durch diese Zuschreibungen die PKK bei den Zuschauer:innen als „extremistische“ Organisation diffamieren möchte und diese Bezeichnung gezielt dafür einsetzt. Es fällt uns jedenfalls schwer zu glauben, dass es sich dabei um bloße Recherchefehler handelt.

Weitere inhaltliche Fehler, die uns aufgefallen sind und die wir mit viel Wohlwollen auf unzureichende Recherchen zurückführen können, sind:

  • Die Filmemacherin spricht von einer halben Million Kurd:innen, die in Deutschland leben. Seriöse Schätzungen sprechen hingegen von 1,3 Millionen Kurd:innen, die allein in Deutschland leben. Hier wurde wohl einfach unsauber recherchiert.
  • Im Film spricht sie davon, dass die Türkei nach dem Anschlag in Ankara im vergangenen Herbst mit Vergeltungsschlägen gegen die PKK reagiert habe. Tatsächlich startete die Türkei ab Oktober letzten Jahres eine groß angelegte Angriffswelle aus der Luft gegen die zivile Infrastruktur im Norden und Osten Syriens. Betroffen waren unter anderem die Wasser- und Energieversorgung, Getreidesilos, Schulen, Ölfelder sowie die einzige Gasförderanlage. Nach internationalem Recht handelt es sich dabei um Kriegsverbrechen. Im Film wird das aber nicht erwähnt. Oder es handelt sich für die Filmemacherin eben um „Vergeltungsschläge“.
  • In Frankreich spricht die Filmemacherin mit einem Sprecher des Kurdischen Demokratischen Rates Frankreichs (CDK-F). Fälschlicherweise bezeichnet sie diesen Verein als das Kurdische Institut. Dabei handelt es sich um zwei verschiedene Einrichtungen. Während dies noch als Missverständnis abgetan werden kann, wiegen ihre Zuschreibungen für kurdische Kulturvereine in ganz Europa deutlich schwerer. Sie beschreibt die Vereine als Orte der Rekrutierung, ohne dafür eindeutige Beweise vorlegen zu können. Damit diffamiert und bedroht sie Orte, die für viele unzählige Menschen kurdischer Herkunft mit und ohne Verfolgungsgeschichte einen Safe Space darstellen. Natürlich sind diese Vereine auch politische Orte, wie alle Orte, an denen sich Kurdinnen und Kurden treffen. Sie sind aber auch Orte, an denen Menschen Schutz, Beratung, Sprachkurse oder kulturelle Angebote erhalten. Sie sind aber sicher keine Rekrutierungsorte.
  • Die Filmemacherin beharrt auf dem Vorwurf der Drogenfinanzierung der PKK und beruft sich dabei auf dubiose anonyme Quellen. Während selbst die Mitarbeiterin vom Staatsschutz in dem Film keine Hinweise auf Drogenfinanzierung in Deutschland sieht, passt Frau Six-Sasmaz diese Erkenntnis wohl nicht ins Konzept. Und so suggeriert sie, dass es in anderen Ländern anders sei, ohne weitere Belege vorlegen zu können.
  • Die Bezeichnung der Volksverteidigungseinheiten YPG in Nord- und Ostsyrien als militärischer Arm der PKK ist ein weiterer und besonders schwerwiegender Fehler. Solche Bezeichnungen sollen die völkerrechtswidrigen Angriffe und die Besatzungspolitik des türkischen Staates in Nord- und Ostsyrien legitimieren. Deshalb wiederholen türkische Regierungsvertreter immer wieder den Vorwurf, die YPG sei ein militärischer Arm der PKK. International nimmt diese Behauptung jedoch niemand mehr ernst, außer offenbar Frau Six-Sasmaz.
  • In dem Film wird davon gesprochen, dass kurdische Demonstrant:innen in den 90er Jahren gewaltsam auf die Straße gegangen seien, um von Deutschland Unterstützung für ihren Kampf einzufordern. Dies ist eine grob fahrlässige Verdrehung der Tatsachen. Die Kurd:innen demonstrierten damals wie heute in erster Linie gegen die deutsche Unterstützung für den Krieg in ihrer Heimat. Sie forderten damals unter anderem ein Ende der Waffenlieferungen, auch weil die türkische Armee Anfang der 1990er Jahre mit deutschen Panzern tausende kurdische Dörfer dem Erdboden gleichmachte.

Zwar nicht als inhaltlicher Fehler, aber durchaus als bewusste Weglassung durch die Filmemacherin erachten wir:

  • Die fehlende Kontextualisierung der Entstehungsgeschichte der PKK: Zwar gibt es zu Beginn einen kurzen Einschub zum Thema. Was allerdings völlig außen vor bleibt, ist die Verfolgungsgeschichte der Kurd:innen in der Türkei, die zahlreichen Kriegsverbrechen, Massaker und ethnischen Vertreibungen, mit denen die kurdische Bevölkerung bis heute konfrontiert ist.
  • Der Friedenswille der PKK wird bewusst verschwiegen. Es gab zahlreiche einseitige Waffenstillstandsangebote der kurdischen Arbeiterpartei an die Türkei. Zwischen 2009 und 2011 sowie 2013 und 2015 wurde sogar mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan verhandelt. Doch auch diese Fakten passen der Filmemacherin nicht ins Konzept, denn sie will ein anderes Bild der Organisation zeichnen.
  • Interessant ist auch, dass der Film nicht auf die jüngsten Urteile des belgischen Kassationsgerichtshofs zur PKK eingeht. Der Film behandelt die Frage, ob die PKK in Europa als terroristisch einzustufen ist, verschweigt aber die wohl wichtigsten Gerichtsurteile der letzten Jahre zu dieser Frage, wonach die PKK keine terroristische Organisation ist, sondern eine Kriegspartei in einem bewaffneten Konflikt.
  • Wie bereits bei den Dokumentationsfehlern angemerkt, wird die Frage der deutschen Rüstungsunterstützung für den Krieg in Kurdistan völlig ausgeblendet. Dabei sind die Belege dafür leicht zugänglich.
  • Ebenfalls unerwähnt bleibt die türkische Unterstützung für den IS oder andere dschihadistische Gruppen, um sie im Krieg gegen die Kurd:innen einzusetzen. Auch dafür gibt es eindeutige Beweise. Und auch in Deutschland hätte Frau Six-Sasmaz auf türkische Journalist:innenkollegen treffen können, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil sie genau diese Tatsachen belegt und öffentlich zugänglich gemacht haben.

Beide Seiten sind zu Wort gekommen – Oder doch nicht?

Was auf den ersten Blick eine Stärke des Films zu sein scheint, nämlich dass unterschiedliche Sichtweisen zu Wort kommen, ist nur bedingt haltbar, wenn man die Entstehungsgeschichte des Dokumentarfilms betrachtet. Über soziale Medien und uns persönlich haben sich Menschen gemeldet, die zu Vorgesprächen für den Film eingeladen waren, aber nicht weiter kontaktiert wurden, weil ihre Meinung wohl nicht in das Konzept des Films passte. Selbstverständlich liegt es letztlich im Ermessen der Filmemacherin, wen sie vor der Kamera interviewt und wen nicht. Allerdings verwundert es doch, dass beispielsweise die drei Autor:innen des relativ aktuellen Buches „Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“, das sich gerade mit der PKK und ihrer Kriminalisierung in Deutschland beschäftigt, nicht angefragt wurden. Andere Personen, die in dem Film vorkommen, erzählen uns nun, dass sie angefragt wurden, ob sie für einen Dokumentarfilm über die Notwendigkeit der Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots in Deutschland sprechen würden. Sollten diese Behauptungen zutreffen, wären dies äußerst fragwürdige Methoden, um Stimmen für den Film zu gewinnen.

Zweifelhaft sind in der Tat auch die beiden „anonymen“ Quellen, die in der Dokumentation auftauchen. Ob es sich bei den beiden tatsächlich um ein ehemaliges PKK-Mitglied bzw. um einen PKK-Aktivisten in Deutschland handelt, ist ebenso fraglich wie die Aussagen der beiden Männer. Auch könnte es sich um angeheuerte Schauspieler handeln, die ihr Drehbuch nacherzählen, und zwar genau so, wie es der Filmemacherin und dem türkischen Staat gefällt. Jedenfalls ist uns bei der zweiten Quelle aufgefallen, dass er die PKK als „PeKaKa“ ausspricht. Das ist für Kurd:innen und kurdische Aktivist:innen unüblich, weil sie diese drei Buchstaben als „PeKeKe“ aussprechen. Die Aussprache hat mit der Vokalisierung der Buchstaben im Türkischen und Kurdischen zu tun. In der Türkei wird die Aussprache aber auch als Hinweis darauf verstanden, ob jemand für oder gegen die Organisation ist. Folgt man dieser Logik, müsste die Aussprache der „Quelle“ eher Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich um einen PKK-Aktivisten handelt. Im Übrigen ist der Einsatz von „anonymen“ Zeugen, wie sie in der Doku von Frau Six-Sasmaz auftauchen, auch in der türkischen Justiz seit Jahren eine gängige Praxis, um kurdische Aktivist:innen, Politiker:innen oder Journalist:innen zu diffamieren und hinter Gitter zu bringen. Fragwürdige Methoden also.

Social-Media-Accounts geben Aufschluss über die Filmemacherin

Während der hitzigen Diskussionen nach der Veröffentlichung des Dokumentarfilms tauchten in den sozialen Medien auch Bilder von Candan Six-Sasmaz auf, die Aufschluss über ihre eigene politische Einstellung geben. Auf einem Bild posiert sie vor einer Wand, auf der zu lesen ist: „Glücklich ist, wer sich Türke nennt“ (türkisch: „Ne mutlu Türküm diyene“). Ein nationalistischer Spruch, der übrigens auch an jeder Schulwand in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei zu lesen ist. Auf einem anderen Foto posiert sie neben dem Abbild des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, also dem Mann, der unter anderem als Auftraggeber für das genozidale Massaker 1938 an den Kurd:innen in Dersim verantwortlich ist. Auch andere Fotos, die vermutlich auf dem Instagram-Account der Filmemacherin veröffentlicht wurden, deuten auf eine nationalistische Grundhaltung hin. Es stellt sich daher die Frage, wie unvoreingenommen und objektiv eine Person mit einer solchen Grundeinstellung die Frage beantworten kann, ob es sich bei der PKK um Freiheitskämpfer oder Terroristen handelt.

Einige türkische Ultranationalisten scheinen sich nach der Veröffentlichung des Films darüber aufgeregt zu haben, dass die PKK zu gut wegkommt. Wie sie darauf kommen, bleibt ihr Geheimnis. Interessant ist aber die Antwort von Candan Six-Sasmaz auf einen dieser Beiträge, in welchem ihre absurderweise vorgeworfen wird, PKK-Propaganda zu betreiben. Sie begegnet dem wie folgt: „Ich erzähle, dass die PKK Kinder entführt, diejenigen, die zurückkehren wollen, ermordet, dass sie mit Drogen und Erpressung handelt und dass das Verbot auf keinen Fall aufgehoben werden darf.“ Kurz nachdem diese Antwort von anderen Accounts aufgegriffen wurde, verschwindet der Beitrag wieder. Wir haben allerdings einen Screenshot erhalten. Die Antwort der Filmemacherin macht jedenfalls deutlich, mit welcher Intention sie von Anfang an in die Produktion dieses Dokumentarfilms gegangen ist.

Sollten die oben genannten Unzulänglichkeiten dieses Dokumentarfilms auf fehlerhafte oder unzureichende Recherchen zurückzuführen sein, müsste man ernsthaft an der Qualifikation der Filmemacherin zweifeln. Aus unserer Sicht sprechen aber zu viele Indizien dafür, dass Frau Six-Sasmaz mit diesem Dokumentarfilm von vornherein ein bestimmtes Ziel vor Augen hatte und dieses durch unseriöse und tendenziöse Arbeit erreicht hat. Unabhängig davon, ob es sich um unzureichende Recherchen oder um unseriöse Arbeit handelt, dieser Dokumentarfilm entspricht aus unserer Sicht in jedem Fall nicht dem Niveau des deutsch-französischen Senders ARTE. Wir würden uns daher wünschen, dass sich die Verantwortlichen des Senders im Nachhinein noch einmal mit dieser Thematik auseinandersetzen, auch wenn der Schaden hier wohl schon angerichtet ist.


Der Text ist der Webseite von Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. entnommen