Volksinitiative Kurdistan ruft zu unbefristetem Protest auf

Die türkische Regierung hat drei kurdische Bürgermeister:innen abgesetzt und durch einen Zwangsverwalter ersetzt. Die Volksinitiative Kurdistan verurteilt das Vorgehen als „Usurpation des Wählerwillens“ und ruft zu unbefristeten Protesten auf.

Erneute Zwangsverwaltung in kurdischen Rathäusern

Nach der Einsetzung von Zwangsverwaltern in den Rathäusern in drei kurdischen Städten hat die Volksinitiative Kurdistan zu unbefristeten Protesten gegen die türkische Regierung aufgerufen. „Wir werden eine neuerliche Usurpation des Wählerwillens nicht akzeptieren“, erklärte das Bündnis in einer Mitteilung. Alle Kurdinnen und Kurden sowie demokratische Menschen seien aufgerufen, die Straßen in Aktionsräume zu verwandeln und Widerstand zu leisten.

Die türkische Regierung hat am Montag die Bürgermeister:innen von Mêrdîn (tr. Mardin), Êlih (Batman) und Xelfetî (Halfeti) ihrer Ämter enthoben und durch staatliche Vertreter ersetzt. Ahmet Türk, Gülistan Sönük und Mehmet Karayılan gehören der DEM-Partei an, deren Vorgängerin die HDP war, und die bei der Kommunalwahl im März in vielen Gemeinden haushoch gewonnen hatte. Ankara wirft ihr Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. Die DEM bestreitet dies und verurteilte die Absetzungen als „Putsch“. Der Schritt sei ein Angriff auf die politischen Rechte aller Menschen in der Türkei. 

Vor dem polizeilich abgeschirrmten Rathaus in Mêrdîn kam es zu Gewalt gegen Demonstrierende © MA

Terrorvorwurf gegen abgesetzte Politiker:innen

Den abgesetzten Bürgermeister:innen wird ebenfalls „Terrorismus“ vorgeworfen. Das Innenministerium begründete die Suspendierungen mit Gerichtsurteilen gegen die Politiker:innen wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft und vermeintlicher Verbindungen zu dieser. Ahmet Türk etwa, der Ko-Oberbürgermeister von Mêrdîn ist, war im vergangenen Mai in dem als Kobanê-Verfahren bekannten Schauprozess gegen den ehemaligen HDP-Vorstand und weitere Oppositionelle zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Urteile über mehrere Jahre Gefängnis gegen Gülistan Sönük und Mehmet Karayılan, ebenfalls wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft, sind gleichermaßen noch in der Revision.

Ahmet Türk zum dritten Mal abgesetzt

„Das faschistische AKP/MHP-Regime hat mit den Absetzungen demokratisch gewählter Bürgermeister:innen ein weiteres Mal sein kurdenfeindliches Gesicht gezeigt“, betonte die Volksinitiative Kurdistan in ihrem Protestaufruf. „Wir werden auf die Straße gehen, bis wir unsere Gemeinden zurückerobert haben. Wir werden diejenigen nicht anerkennen, die uns nicht anerkennen. Lasst uns gemeinsam unseren Willen einfordern.“ Die Erklärung wurde auch vor den Rathäusern verlesen, in die bereits AKP-Beamte gezogen sind. Ahmet Türk, der bereits in früheren Amtszeiten seines Amtes enthoben worden war, beteiligt sich in Mêrdîn an einer Kundgebung vor dem polizeilich abgeschirmten Rathaus. Gegenüber Medien erklärte er, „im Kampf für Demokratie, Frieden und Freiheit“ nicht zurückweichen zu wollen. „Wir alle müssen unsere Stimme erheben gegen diesen rechtswidrigen, antidemokratischen Prozess, gegen dieses Verständnis, das den Willen des Volkes verpfändet. Wir werden nicht zulassen, dass der Wille des Volkes missbraucht wird.“

Der Stadtrat von Êlih tagt auf der Straße, am Mikrofon ist Bürgermeisterin Gülistan Sönük © MA

Gülistan Sönük erste Bürgermeisterin von Êlih

Mehmet Karayılan und Gülistan Sönük befinden sich ebenfalls unter den Protestierenden in ihren jeweiligen Städten. Sönük bekräftigte, das Rathaus von Êlih nicht aufgeben zu wollen. „Unter keinen Umständen werden wir zurückweichen. Die Usurpation des Willens unseres Volkes wird nicht akzeptiert. Entweder Widerstand oder Widerstand. Es gibt keine andere Alternative.“ Die 31-Jährige hatte bei der Wahl im März 64 Prozent der Stimmen erhalten und übernahm anschließend als erste Frau in Êlih das Amt der Bürgermeisterin. Sie hatte sich deutlich von der Konkurrenz abgesetzt, insbesondere von der islamistischen Hüda Par, deren Kandidat auf lediglich 14 Prozent der Stimmen gekommen war. Die symbolische Bedeutung ihres Sieges bezeichnete Sönük in ihrer ersten Ansprache nach der Wahl als ein klares Votum gegen patriarchalische Strukturen, die Frauen oft als Menschen zweiter Klasse benachteilige. „Die Wahl stand zwischen zwei unterschiedlichen Denkweisen: Einer, der Frauen als zweitklassig betrachtet, und einem, der die Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen vehement verteidigt. Die Bevölkerung hat sich eindeutig für die Vision einer fortschrittlichen und inklusiven Gesellschaft entschieden.“

Derweil wurde für die von den Absetzungen betroffenen Provinzen ein Verbot von Demonstrationen für die kommenden zehn Tage verhängt.