Vor vier Tagen konnten die Gefangenen im Inselgefängnis Imrali Besuch von ihren Angehörigen empfangen. Es handelte sich um den dritten Familienbesuch seit 2016, den der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan bekam. Das Gespräch mit seinem Bruder Mehmet Öcalan am zweiten Tag des islamischen Opferfestes dauerte eine Stunde.
Zwar sei in der Folge des jüngsten Hungerstreiks die Isolation gegenüber seinem Bruder teilweise aufgehoben worden, berichtete Mehmet Öcalan anschließend gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansı (MA). Doch die Sicherheitsmaßnahmen für die Besucher seien ‚sehr hässlich‘ gewesen. „Wir mussten zwei Kontrollen passieren. Was bei diesen Kontrollen geschah, ist nicht nur inakzeptabel, es ist schlichtweg unmenschlich. Wir sind Menschen und haben Rechte. Ich bin 68 Jahre alt und wurde bei der Kontrolle nackt ausgezogen. Seit 20 Jahren bin ich immer wieder nach Imrali gefahren. Mittlerweile kennen sie mich dort sehr gut. Doch dieses Mal waren wir mit äußerst hässlichen Kontrollmaßnahmen konfrontiert. Das ist nicht hinzunehmen. Diejenigen, die diese Kontrollen veranlasst haben, sollten sich schämen“, so Mehmet Öcalan.
Auch beim Betreten des Besuchsraums sei er mit einem anderen Umgang konfrontiert gewesen. „Normalerweise schaue ich in Richtung der Tür, wenn ich den Besuchsraum betrete. Dieses Mal forderten sie mich auf, in die andere Richtung zu schauen. Als dann der Vorsitzende den Raum betrat, drehte ich mich zu ihm um und schüttelte ihm die Hand. Er sagte, dass er mich nicht erwartet hatte und es ihm wie ein Zufall erschiene, dass ich heute hier bin. Ich erklärte ihm dann, dass die Anwält*innen einen Familienbesuch für den zweiten Tag des Opferfestes ermöglicht hatten.“
Anschließend habe Abdullah Öcalan seinen Bruder nach der politischen Tagesordnung in Kurdistan gefragt, woraufhin dieser wie folgt antwortete: „Ich sagte, es gibt drei Hauptthemen: Nord- und Ostsyrien, die Besatzungsoperation in Südkurdistan und die Probleme in den kurdischen Institutionen und den damit verbundenen Repressionen gegen die Bevölkerung. Außerdem sagte ich ihm, dass die Menschen draußen nach seinem Gesundheitszustand fragen. Seine Antwort hierzu lautete nur, dass ich seinen Zustand sehen könne.“
Grüße an arabische Stämme
Mehmet Öcalan berichtet, dass sein Bruder zur Situation in Nord- und Ostsyrien folgende Ausführungen gemacht hat: „Ein Krieg wird dort zu keinem Ergebnis führen. Sowohl die Türkei als auch die Völker der Region würden dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Es braucht eine Lösung. Wenn die Türkei aber in Syrien intervenieren will, wird das zu keiner Lösung führen. Das wird auch den Völkern nichts bringen. Ich war 20 Jahre in Syrien, ich kenne die Menschen dort gut. Auch die arabischen Stämme dort kenne ich gut, mit ihnen hatten wir damals schon Beziehungen geknüpft. Richte ihnen und den Völkern dort meine Grüße aus. Das Problem lässt sich nur durch Demokratie lösen. Ein Krieg hat noch nie zu einer Lösung geführt.
Ein Angriff auf den Süden bedeutet den Krieg
Öcalan wiederholte beim Gespräch mit seinem Bruder sein Friedensangebot an den Staat. „Wir sind bereit, für die Lösung der kurdischen Frage unserer Verantwortung und unserer Rolle gerecht zu werden“, so der kurdische Repräsentant. Vor dem Krieg in Südkurdistan habe er hingegen mit folgenden Worten eindringlich gewarnt: „Diese Operation bedeutet Krieg. Doch das Problem, mit dem wir zu tun haben, ist keines, das sich durch Blutvergießen lösen lässt. Wir sind stets auf der Seite des Friedens. Anstelle des Krieges muss es Frieden geben.“
Im Gespräch mit seinem Bruder hat Abdullah Öcalan zudem auf die Notwendigkeit einer innerkurdischen Einigkeit verwiesen. Die Operation in Südkurdistan richte sich auch direkt gegen die Bestrebungen einer kurdischen Einheit. Deshalb seien nun alle gefordert, sich für die Einigkeit unter den Kurd*innen einzusetzen.
Botschaft an die HDP
In Richtung der Demokatischen Partei der Völker (HDP) habe sein Bruder folgendes erklärt, berichtet Mehmet Öcalan: „Sie verfügen über 60 Abgeordnete. Auch bei den Kommunalwahlen konnten sie Stadtverwaltungen übernehmen. Ich habe es ihnen auch das letzte Mal mitgeteilt. Wenn ich in Freiheit wäre, würde ich die Straßen kehren. Jeder Abgeordnete muss sich 24 Stunden unter der Bevölkerung befinden. Die Partei ist eine große demokratische Institution. Sie muss mit dem Willen der Bevölkerung der Bevölkerung zu Dienste stehen. Diese Bevölkerung hat der Partei ihren politischen Willen zur Verfügung gestellt. Deshalb sollten sie (die Vertreter der Partei) der Bevölkerung dienen.“