Türkei: Ausnahmezustand bleibt in Gesetzesform bestehen

Der seit zwei Jahren anhaltende Ausnahmezustand soll am Mittwoch auslaufen. In Gesetzesform bleibt er allerdings durch ein neues Anti-Terror-Paket bestehen.

Die türkische Regierung will den seit zwei Jahren andauernden Ausnahmezustand diese Woche beenden. Nach der ersten Sitzung des neuen Kabinetts nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Juni sagte Regierungssprecher Ibrahim Kalin am Freitag, so wie es derzeit aussehe, könne der Ausnahmezustand am 18. Juli enden. Ohne Verlängerung wäre der Ausnahmezustand am 19. Juli fristgemäß ausgelaufen. Kalin sagte allerdings auch, dass der Ausnahmezustand im Fall „sehr, sehr außergewöhnlicher Umstände“ wieder eingeführt werden könne.

Laut dem regierungsnahen Journalisten Abdulkadir Selvi wird der Ausnahmezustand im Rahmen eines neuen Anti-Terror-Pakets zur neuen türkischen Norm gemacht. Ein Entwurf für ein entsprechendes 30-Punkte-Gesetz soll im Laufe dieser Woche in der türkischen Nationalversammlung debattiert werden, schreibt Selvi in seiner Kolumne in der Tageszeitung Hürriyet.

Unter dem Titel „Erwartungen an die neuen Minister” heißt es: „Die Aufhebung des Ausnahmezustands wird einen positiven Auftakt der neuen Periode bilden. Da die Gefahr, die von FETÖ und der PKK ausgeht, weiterhin bestehenbleibt und die Einsätze in Syrien und dem Irak weitergehen, soll keine Rechtslücke entstehen. Aus diesem Grund wird ein 30 Punkte umfassendes Anti-Terror-Paket eingeführt”.

Der Ausnahmezustand bleibe demnach in Gesetzesform bestehen: „Auch in Frankreich wurden ähnliche Regelungen eingeführt, als der Ausnahmezustand aufgehoben wurde. Ich weiß allerdings nicht, ob es nach der Normalisierung eine neue Notverordnung geben wird. Einschränkungen wird es dennoch geben. Dazu gehören die Erteilung von vorübergehenden Ausgangssperren, Verbote von Versammlungen und Demonstrationen aus Sicherheitsgründen sowie die Verlängerung des Personengewahrsams sowie der Dauer der Untersuchungshaft. Der 30-Punkte-Entwurf wird voraussichtlich diesen Mittwoch dem Parlament vorgelegt und nächste Woche verabschiedet”.

Was im Juli 2016 als Maßnahme gegen Putschisten eingeführt wurde, ließ Präsident Erdoğan seither per Dekret regieren und Oppositionelle jeder Art unterdrücken.

Der Ausnahmezustand war nach dem sogenannten Putschversuch vom 15. Juli 2016 eingeführt worden, für den die türkische Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Unter dem Ausnahmezustand waren Grundrechte weitestgehend eingeschränkt. Erdoğan konnte per Notstandsdekrete regieren, die von der Kontrolle des Verfassungsgerichts ausgenommen waren. Mit seiner „Wiederwahl“ am 24. Juni wurde der Wandel der Türkei in ein Ein-Mann-Regime besiegelt.

Erdoğan wird nun von den erweiterten Befugnissen unter dem Präsidialsystem profitieren, das bei dem umstrittenen Verfassungsreferendum im April 2017 mit knapper Mehrheit gebilligt wurde und nach der Wahl voll in Kraft getreten ist. Er kann Präsidialdekrete erlassen, für die keine parlamentarische Grundlage oder Ermächtigung nötig ist. Die Präsidialdekrete sind nur unter bestimmten Voraussetzungen und ausschließlich vor dem Verfassungsgericht angreifbar, beispielsweise wenn sie gegen den Gesetzesvorbehalt verstoßen. Dies geht laut neuer Verfassung allerdings nur, wenn eine der beiden größten Parteien im Parlament klagt oder ein anderes Gericht die entsprechende Präsidialverordnung dem Verfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vorlegt. Solch ein Fall wird in naher Zukunft wohl kaum eintreten.