Trotz Hindernissen: Erfolgreicher erster Tag von Initiative „Defend Kurdistan“

Der erste Tag der „Internationalen Initiative: DEFEND KURDISTAN – gegen die türkische Besatzung!“ in Hewlêr stand ganz im Zeichen des Widerstands gegen Willkür und Repression.

Der erste Tag der „Internationalen Initiative: DEFEND KURDISTAN – gegen die türkische Besatzung!“ in Hewlêr (Erbil) stand ganz im Zeichen des Widerstands gegen Willkür und Repression. Zunächst wurde der Friedensinitiative verboten, ihre Pressekonferenz wie geplant vor dem Sitz der Vereinten Nationen (UN) in der Hauptstadt der südkurdischen Autonomieregion durchzuführen. Sicherheitskräfte der in Hewlêr regierenden Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) umstellten daraufhin das Hotel, in dem die Mitglieder logieren, und hinderten sie daran, das Gebäude zu verlassen. Die Pressekonferenz musste daraufhin mit Verzögerung und unter erschwerten Bedingungen in der Hotel-Lobby stattfinden.

Seit Sonntag befindet sich eine international besetzte Delegation mit mehr als 80 Teilnehmenden aus 14 verschiedenen Ländern in Südkurdistan. Ziel der Reise ist es, die Auswirkungen des seit dem 23. April andauernden völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Türkei zu dokumentieren und international zu thematisieren. Die Delegation möchte den vom Krieg betroffenen Menschen, deren Dörfer durch die Angriffe des türkischen Militärs zerstört worden sind, ihre Solidarität zeigen, sowie durch Gespräche mit politischen Kräften eine zivilgesellschaftliche Friedensinitiative stärken, um einen politischen Weg zum Frieden zu ermöglichen. In diesem Sinne haben bereits verschiedene Gespräche stattgefunden, unter anderem mit der Patriotischen Union Kurdistans (YNK), der PDK, sowie der Başûr-Vertretung der Demokratischen Partei der Völker (HDP).

Deklaration der Initiative Defend Kurdistan

Im Rahmen der Pressekonferenz wurde dann auch die „Internationale Initiative: DEFEND KURDISTAN – gegen die türkische Besatzung!“ ausgerufen. Verlesen wurde die Deklaration von Lida Weerts, einer Menschenrechtlerin aus Norwegen. „Internationale Solidarität wird Kurdistan helfen, sich zu befreien. Deshalb unterstütze ich die Deklaration“, erklärte die Aktivistin.

Zahlreiche Delegierte sprachen in kurzen Beiträgen über ihre Motivation, sich an der Friedensinitiative zu beteiligen. Der aus Schweden angereiste Zagros Endazyarî vom Kurdischen Zentrum in Stockholm ging zuerst auf die Rolle der NATO beim aktuellen Angriff auf Südkurdistan ein: „Die NATO-Mitgliedsstaaten schweigen zu der türkischen Besatzung und den Angriffen auf die Menschlichkeit im Süden Kurdistans. Wir wollen das Schweigen brechen und für den Frieden einstehen.”

Der Schweizer Politiker und frühere Bürgermeister von Genf, Rémy Pagani, ging ebenfalls auf die internationale Ignoranz der türkischen Invasion in Südkurdistan gegenüber ein. Er habe erst tags zuvor einen Schweizer Abgeordneten über die aktuelle Lage in der Region aufgeklärt, damit ein breites Bewusstsein über „Erdogans Krieg“ geschaffen wird. „Wir als Delegation sind solidarisch mit dem kurdischen Volk und werden tun, was uns möglich ist, um das Schweigen Europas zu brechen“, unterstrich Pagani in seinem Beitrag.

Dr. Mechthild Exo, Dozentin an der Hochschule Emden/Leer in Deutschland, ging auf die aktuelle Situation der Delegationsteilnehmenden ein, die teilweise immer noch am Flughafen festgehalten oder bereits ausgewiesen worden sind: „Drei Mitglieder der Delegation werden immer noch am Flughafen in Erbil eingesperrt. Wir fordern die sofortige Freilassung”. An die PDK formulierte Exo die Forderung, die Legitimität der Delegation anzuerkennen: „Dass wir hier von militärischen Kräften daran gehindert werden, die Auswirkungen des Krieges zu dokumentieren, begreifen wir als Ungerechtigkeit und Unfreiheit, die uns hier entgegengebracht wird.”

Verhalten der PDK „großzügige Hilfe” für Türkei

Selin Gören sprach stellvertretend für linksjugend ['solid] aus Deutschland: „Ich bin hier als Mensch und glaube trotz allem an die Menschlichkeit. Wir appellieren nicht nur an die Vereinten Nationen, sondern vor allem an die deutsche Regierung und das europäische Parlament, jegliche Unterstützung für den türkischen Staat einzustellen. Erdogan missachtet die grundlegenden zivilen Rechte jeder kurdischen Person überall auf der Welt.”

Luisa Fischer von der „Solidarischen Jugendbewegung Berlin“ beschrieb die Delegation in Südkurdistan als Möglichkeit, „Jugend und Kämpfe“ miteinander zu verbinden. Sie wolle die Perspektive mit nach Deutschland nehmen, sich stärker international für den Frieden zu organisieren. Mit Blick auf die massive Umweltzerstörung durch die Angriffe in Kurdistan sagte Fischer: „Wir verurteilen das Legen von Waldbränden und den Ökozid an der Natur als Form der Kriegsführung.“ Sie beendete ihre Ansprache mit dem Satz: „Es gibt keine Alternative zur Freiheit.”

Der Journalist Erling Folkvord, ehemaliges Mitglied des norwegischen Parlaments, betonte seine Unterstützung für alle Parteien Südkurdistans, die sich gegen den türkischen Expansionismus aussprechen. Gleichzeitig kritisierte er: „Das Verhalten der Parteiführung der PDK ist eine großzügige Hilfe für die Türkei“.

Prominente Erstunterzeichner:innen der Deklaration

Die Deklaration der neu ausgerufenen Friedensinitiative ist von zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur unterzeichnet worden. Auch viele Abgeordnete aus verschiedenen Parlamenten europäischer Staaten unterstützen den Vorstoß gegen die türkische Besatzung in Südkurdistan mit ihrem Namen. Eine Liste der Erstunterzeichnenden ist auf der Homepage der Initiative zu finden: https://defend-kurdistan.com/

Sitzstreik nach Pressekonferenz

Im Anschluss an die Pressekonferenz wollte die Delegation das Hotel verlassen, wurde jedoch erneut von Sicherheitskräften der PDK aufgehalten. Daraufhin protestierten die Mitglieder mit einem Sitzstreik vor dem Hotel. Lautstark wurden Parolen gerufen, in denen Solidarität mit den vom Krieg betroffenen Menschen zum Ausdruck gebracht und die Einheit Kurdistans unterstrichen wurde. Nach der Beendigung der Blockade konnten weitere Gespräche mit politischen Akteur:innen in der Region geführt werden, unter anderem mit einem Vertreter der Gorran-Bewegung. Die Delegation kündigte an, dass sie auch in den kommenden Tagen weitere Treffen in der Autonomieregion Kurdistans durchführen werde. Eine für Montag geplante Fahrt der Delegation in mehrere kurdische Dörfer war im Vorfeld untersagt worden.

Sit-in vor dem Hotel Blue Mercury

Internationale Repression gegen Delegation

Die Friedensdelegation sieht sich aber nicht nur in Südkurdistan der Repression ausgesetzt. Am Samstag waren mehrere Mitglieder der Gruppe, darunter auch die Hamburger Linksfraktionsvorsitzende Cansu Özdemir, am Flughafen Düsseldorf an der Ausreise in den Irak gehindert worden. Die Festsetzung einer Abgeordneten eines deutschen Landesparlaments hat hohe Welle geschlagen und für große Empörung gesorgt. Hamburgs Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) erklärte, dass die Maßnahmen der Bundespolizei rechts- oder verfassungswidrig gewesen sein könnten. Laut Grundgesetz sowie der Verfassung der Hansestadt dürfen Abgeordnete während der Dauer ihres Mandats weder verhaftet noch in sonstiger Weise in ihrer Freiheit und in der Ausübung ihres Mandats behindert werden. Veit kündigte an, dass sich „mit Sicherheit” auch das parlamentarische Kontrollgremium in Hamburg mit dem Vorgang beschäftigen werde. 

Katar lässt Delegierte ebenfalls nicht durch

Auch am Flughafen der katarischen Hauptstadt Doha wurde eine Reisegruppe aufgehalten. Unter den Betroffenen war auch der französische Senatsvizepräsident Pierre Laurent, dem die Weiter- bzw. Einreise in Südkurdistan nur durch Druck des Außenministeriums in Frankreich gelang. Sein Begleiter wurde wieder zurückgeschickt. Etwa 50 Mitglieder der Friedensdelegation, die es dennoch aus verschiedenen Ländern nach Hewlêr schafften, wurden dort an der Einreise gehindert und teilweise wieder zurück in ihre Herkunftsländer geschickt. Der Berliner Abgeordnete der Linkspartei Hakan Taş wurde nach seiner Landung in Hewlêr rund 15 Stunden festgehalten, bevor er den Flughafen verlassen durfte. Das Innenministerium der südkurdischen Autonomieregierung begründet die Maßnahmen damit, dass „die Sicherheit und Stabilität Erbils eine rote Linie“ sei und es niemandem erlaubt werde, die Stadt zu gefährden. Die kurdische Arbeiterpartei PKK versuche „durch Mitglieder und Unterstützer, Veranstaltungen auszurichten, die Erbil destabilisieren würden“. 

Solidarischer Empfang für Reisegruppen in Düsseldorf

Am morgigen Dienstag treffen am Düsseldorfer Flughafen zwei Reisegruppen ein, die aus Hewlêr zurückkehren. Die kurdische Konföderation KON-MED rief am Montag dazu auf, die Delegierten solidarisch zu empfangen. „Durch unsere Präsenz können wir Solidarität zeigen und gegen diejenigen protestieren, die für Krieg und gegen den Frieden eintreten”, heißt es in einer Mitteilung des Dachverbands. Die erste Gruppe soll morgen um 13.20 Uhr (Flug IA 233 aus Bagdad) und die zweite um 19.35 Uhr landen. Am Sonntag waren bereits 21 Delegationsmitglieder aus Hewlêr zurückgekehrt. Sie waren allerdings nach Berlin beziehungsweise Frankfurt ausgewiesen worden.

Aktualisiert: 23.47 Uhr