Rathaus in Dersim mit Betonblöcken abgeriegelt

Der zum Zwangsverwalter ernannte Gouverneur hat das Rathaus in Dersim mit Betonblöcken abriegeln lassen. In der Region werden Erinnerungen an den Genozid von 1937/1938 an der alevitisch-kurdischen Bevölkerung wieder wach.

Weitere Proteste angekündigt

Die DEM-regierte Provinzhauptstadt Dersim (tr. Tunceli) und der CHP-regierte Landkreis Pulur (Ovacık) sind am Freitagabend unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Die im März zu Ko-Bürgermeister:innen in Dersim gewählten DEM-Politiker:innen Cevdet Konak und Birsen Orhan wurden vom türkischen Innenministerium durch den Provinzgouverneur Bülent Tekbıyıkoğlu ersetzt. Dessen erste Amtshandlung als staatlicher Treuhänder der Kommunalverwaltung war die Abriegelung des Rathauses mit Betonblöcken. Am Abend war es zu wütenden Protesten gegen die Zwangsverwaltung gekommen, die Menschenmenge hatte von der Polizei errichtete Metallabsperrungen niedergerissen. Die Polizei ging mit einem Großaufgebot gegen die Proteste vor und setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse ein. Bei Tagesanbruch sah das Rathaus wie eine Festung aus.


Weitere Proteste angekündigt

Für heute sind weitere Proteste angekündigt. Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel kritisierte die Zwangsverwaltung am Freitagabend als rechtswidrigen Vorgang und teilte mit, dass mehrere Abgordnete seiner Partei Dersim und Pulur besuchen werden. Die Ko-Vorsitzende der DBP, Çiğdem Kılıçgün Uçar, ist bereits gestern in Dersim eingetroffen, die Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tülay Hatimoğulları, wird heute in der Stadt erwartet.

Çiğdem Kılıçgün Uçar erklärte in einem auf Kirmanckî verfassten Beitrag bei X, dass der Wille der Bevölkerung von Dersim ein weiteres Mal usurpiert worden sei. „Die Ernennung eines Zwangsverwalters bedeutet die Vernichtung der Kultur, der Sprache und des Gedächtnisses von Dersim. Für uns zählt nur der Wille des Volkes“, so die Politikerin.

Genozid in Dersim

Die Bevölkerung von Dersim ist mehrheitlich kurdisch-alevitisch, die ursprünglichen Muttersprachen sind Kirmanckî und Kurmancî. 1937/1938 wurde im Auftrag von Atatürk ein Massenmord in der Region begangen. Alevitische Verbände fordern vom türkischen Staat seit Jahren eine offizielle Entschuldigung und die Anerkennung des Massakers als Völkermord. Weitere Forderungen sind Nachforschungen nach dem Verbleib von Vermissten, die Identifizierung aller Toten; die Rückbenennung der Provinz in Dersim und die Preisgabe des anonymen Massengrabs, in dem der hingerichtete Aufstandsanführer Seyit Riza und seine Weggefährten verscharrt wurden.

Foto und Video © MA