Polizeispitzel als Kronzeuge: Verurteilung von Kurden in Celle

Nach 17 Verhandlungstagen endete gestern in Celle der Prozess gegen vier Kurden aus Rojava und Südkurdistan mit Schuldsprüchen. Zwei von ihnen wurden zu zweieinhalb Jahren, die anderen beiden zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnisstrafen verurteilt.

Am Mittwoch endete nach 17 Verhandlungstagen der Prozess gegen vier junge Kurden aus Nordsyrien und Südkurdistan (Nordirak) vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Celle mit einer Verurteilung wegen versuchter schwerer Brandstiftung, vollendeter einfacher Brandstiftung, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland und Verstoß gegen das Waffengesetz. Zwei von ihnen wurden zu zwei Jahren und sechs Monaten, die anderen beiden zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnisstrafen verurteilt. Das teilt AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, in einer aktuellen Erklärung mit. Darin heißt es:

„In seiner Urteilsbegründung folgte der 5. Strafsenat des OLG Celle durchweg der Generalstaatsanwaltschaft. So sah er es als erwiesen an, dass die vier Jugendlichen während des Krieges der Türkei gegen den nordsyrischen Kanton Afrin am 13. März 2018 einen Anschlag mit Steinen und vier sogenannten Molotowcocktails auf das Geschäft eines türkischen Inhabers in Garbsen verübt haben. Da sich das Geschäft in einem Gebäudekomplex befindet, in dem auch Wohnungen liegen, und die Brandsätze kaum kontrollierbar seien, sah das Gericht den Versuch der schweren Brandstiftung sowie die vollendete einfache Brandstiftung als gegeben an.”

Zwei der Angeklagten sind außerdem schuldig gesprochen worden, am 11. März 2018 in Hannover einen VW-Multivan, auf dem die Unterschrift des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk geklebt war, in Brand gesetzt zu haben.

Insgesamt soll ein Sachschaden von ca. 5.500,00 Euro entstanden sein. Nach Aussagen von Sachverständigen war die Gesundheit oder gar das Leben von Menschen zu keiner Zeit ernsthaft gefährdet. „Die Vier hatten sich während des Verfahrens zu der Tat in Garbsen bekannt und mehrfach geäußert, dass sie keine Menschen gefährden wollten und ihnen die Tat leid tue”, so AZADÎ.

Weiter teilt der Rechtshilfefonds mit: „Mediale und politische Aufmerksamkeit hat das Verfahren v.a. aus zwei Gründen erregt. Zum Einen spielte einer der Angeklagten eine zumindest zwielichtige Rolle. Er war bereits Monate vor der Tat vom Staatsschutz bei der Polizeidirektion Hannover angesprochen worden, um einen Informanten im Umfeld des Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurd*innen (NAV-DEM Hannover) zu finden. Mindestens fünf Treffen hatten zwischen ihm und dem Staatsschutz bereits stattgefunden, bei denen gezielt Informationen an die Beamten des Staatsschutzes weitergegeben wurden, bis diese ihn im Februar 2018 an die Führungsbeamten für Vertrauenspersonen der Polizei weiterreichten, um ihn offiziell als Vertrauensperson (VP) anzuwerben. Während dieser Zeit führte die Polizei Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen den Vorstand von NAV-DEM Hannover, in dessen Verlauf am 5. April 2018 eine Hausdurchsuchung im Gesellschaftszentrum durchgeführt wurde. Direkt nach der Tat am 13. März hatte dieser Polizeispitzel seine Kontaktbeamten getroffen und sich umfänglich zu der Tat selbst, aber auch den Beteiligten geäußert. Damit war er zwar als offizielle VP für die Polizei ‚verbrannt’, trug aber maßgeblich zu den schnellen Ermittlungen insbesondere der anderen drei Jugendlichen bei.

Die Festnahmen der späteren Angeklagten fanden allerdings nicht sofort statt, sondern erst nach der Razzia im Gesellschaftszentrum, kurz nachdem ein Video von der Tat in Garbsen über einen Laptop des Zentrums abgespielt wurde. Die genauen Umstände dieser Abläufe und die Rolle des Kronzeugen konnten auch während des Prozesses nicht aufgeklärt werden, da sich die als Zeug*innen geladenen Beamt*innen auf eingeschränkte Aussagegenehmigungen beriefen.

Zum Anderen wurden die Angeklagten auch wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) – nach §§ 129a, 129b StGB verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die vier Jugendlichen von einem PKK-Jugendkader zu den Taten angestiftet wurden. Dabei beruft es sich vor allem auf die Aussagen der Staatsschutz- und BKA-Beamt*innen, Indizien wie Notizbücher oder Anleitung von Versammlungen sowie die Aussage des Kronzeugen und eines weiteren Jugendlichen, der als sog. „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ schon mehrmals von der Polizei unter Druck gesetzt worden war. Das reichte dem Gericht, um die Angeklagten wegen vorsätzlicher Unterstützung der PKK zu verurteilen. Da sie nicht als verantwortliche Mitglieder der PKK angeklagt waren, wofür das Bundesjustizministerium bereits im September 2011 eine Verfolgungsermächtigung erteilt hatte, hatte die Generalstaatsanwaltschaft extra für dieses Verfahren eine solche Ermächtigung eingeholt.

Die Verteidiger haben angekündigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Da das Verfahren vor dem OLG lief, wäre das die Revision beim Bundesgerichtshof. Nach dem Beschluss des OLG Celle werden die Haftbefehle auch während der Zeit, in der das heutige Urteil noch nicht rechtskräftig ist, wegen Fluchtgefahr aufrecht erhalten.

Dieses Verfahren hat zu vielen Fragen geführt, die bisher nicht beantwortet werden konnten, insbesondere zur Rolle des Staatsschutzes und seines Spitzels. Diesbezüglich haben bereits Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag eine kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt.”