KON-MED: Die Rückkehr des IS und die türkische Mittäterschaft

Der kurdische Dachverband KON-MED hat zum IS-Anngriff auf das Sina-Gefängnis in Hesekê eine umfangreiche Erklärung abgegeben. KON-MED fordert von der Bundesregierung die Anerkennung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien.

Zu dem Angriff der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) auf das Sina-Gefängniss im nordostsyrischen Hesekê nimmt die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistan in Deutschland e.V. (KON-MED) ausführlich Stellung und erklärt, dass der IS weiterhin eine große Bedrohung in der Region darstelle. Der Verband weist auf die Mittäterschaft der Türkei hin. Von der deutschen Bundesregierung fordert der Ko-Vorsitzende des kurdischen Dachverbands Engin Sever einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei sowie wirtschaftliche Konsequenzen. Die Ko-Vorsitzende Zübeyde Zümrüt sieht einen wichtigen Schritt im Kampf gegen den IS in der Anerkennung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien: „Um den Kampf gegen den IS effizient führen zu können, braucht die Selbstverwaltung in Rojava politische Rückendeckung. Die Bundesrepublik würde sich selbst und der Welt einen großen Gefallen tun, wenn sie die Selbstverwaltung anerkennen würde.” In der Erklärung heißt es weiter:

Am Donnerstag, den 20. Januar 2022, ist das von der Selbstverwaltung in Rojava kontrollierte Sina-Gefängnis in Hesekê (dt. Hasaka) von Kräften des Daesh (dt. Islamischer Staat) angegriffen worden. Die Flucht von ca. 5000 Islamisten aus dem Gefängnis konnte verhindert werden, die Kämpfe in Hesekê dauern weiter an. Über 200 Dschihadisten sind zuvor für den Angriff in das Gebiet von Hesekê und Umgebung eingesickert.

Es sind bisher 27 Kämpfer:innen der Selbstverteidigungskräfte sowie Freiwillige aus Dienstleistungseinrichtungen ums Leben gekommen. 23 Zivilist:innen, Freund:innen und Mitarbeiter:innen wurden verletzt. Bisher sind mindestens 175 Dschihadisten getötet worden. Ein Fahrzeug mit Waffen und Munition konnte von den Selbstverteidigungskräften sichergestellt werden.

Ein Konvoi der SDF (Syrian Democratic Forces), der zur Verstärkung nach Hesekê unterwegs war, wurde von türkischen Drohnen angegriffen.

Der Angriff auf das Gefängnis zeigt der Welt eindrucksvoll, wovor die Selbstverwaltung in Rojava seit langem warnt. Der IS stellt in der Region, auch wenn die meisten seiner Kämpfer zurzeit inhaftiert sind, nach wie vor eine große Bedrohung dar. Durch die Weigerung westlicher Staaten, ihre Staatsangehörigen in eigenen Gefängnissen zu inhaftieren, wird die Selbstverwaltung mit diesem Problem allein gelassen. Zu den schwierigen Bedingungen, unter denen dieses Problem gelöst werden soll, gehören die Grenzen, die für Personen- und Warenverkehr von der Türkei und ihren Verbündeten blockiert werden, sowie eine Wirtschaft, die unter dem fortwährenden Ausnahmezustand und Embargo leidet.

Der Schutz der (Welt-)Bevölkerung vor den inhaftierten Dschihadist:innen kann trotz aller Anstrengungen der Selbstverteidigungskräfte unter diesen Bedingungen nicht dauerhaft sichergestellt werden. Die Selbstverwaltung in Rojava warnte fortwährend vor der Gefahr, die von den Haftanstalten mit IS-Gefangenen ausgeht. Sie bezeichnet sie als ‚tickende Zeitbomben‘ und forderte wiederholt die Herkunftsländer der Dschihadist:innen dazu auf, für ihre Staatsbürger:innen Verantwortung zu übernehmen.

Türkische Angriffe auf die Selbstverwaltung

Am Samstag, dem 22. Januar, griff die türkische Armee gemeinsam mit dschihadistischen Milizen die Umgebung von Ain Issa an. Dabei kam es ebenfalls zu intensiven Gefechten. Im Zuge der türkischen Angriffe sind mindestens zwei Zivilist:innen ums Leben gekommen und vier verletzt worden. Die Region Ain Issa ist von strategischer Bedeutung, da sie geographisch die selbstverwalteten Regionen Firat (Kobanê) und Cizîrê verbindet. Die Türkei weiß um diese Bedeutung und beschießt deswegen seit 2019 gezielt Straßen und Dörfer in der Region Ain Issa regelmäßig mit Artillerie.

Der neuerliche Vorstoß türkischer Truppen und ihrer islamistischen Verbündeten während der andauernden Gefechte in Hesekê verdeutlicht, dass die Türkei kein Interesse an stabilen und demokratischen Strukturen in Rojava (Nord- und Ostsyrien) hat.

Die bei vielen Angriffen auf die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien eingesetzten islamistischen Proxy-Streitkräfte sind stark abhängig von ihrem türkischen Schirmherrn und befolgen seine Befehle, werden aber nicht zu den regulären Streitkräften gezählt. Der IS wird von einer von Erdoğan unterstützten Kraft immer mehr zu einer weiteren Proxy-Armee von Erdoğans Gnaden.

Die Kriegsvorbereitungen der Türkei

Die Türkei benötigt dringend militärische Erfolgsmeldungen, um von dem massiven innenpolitischen Problem der Inflation abzulenken. Mindestens 36 Prozent erreichte die Jahresinflation im Monat Dezember letzten Jahres. Schon vor zwei Monaten wurden türkische Streitkräfte an den Grenzen zur Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien konzentriert. Seitdem ist die Gefahr eines neuerlichen, groß angelegten Überfalls auf die Selbstverwaltungsgebiete konstant hoch.

Die IS-Aktivitäten in Hesekê unter Feuerhilfe türkischer Drohnen lassen vermuten, dass die Türkei diese Destabilisierungsbemühungen einer Invasiom auf die Selbstverwaltungsgebiete voranstellt.

Solche Bemühungen um Destabilisierung laufen bereits schon lange. Durch türkische Drohnen werden seit Jahren gezielt Personen des öffentlichen Lebens, die Vertrauen in der Bevölkerung genießen, die Menschen zusammenbringen und wichtige Aufgaben in der zivilen Verwaltung wahrnehmen, extralegal hingerichtet. Sowohl der Artilleriebeschuss, dschihadistische Angriffe als auch die extralegalen Exekutionen durch türkische Drohnen zielen darauf ab, die Bevölkerung zu vertreiben oder im Extremfall zu töten und die Selbstverteidigungskräfte zu zermürben.

Die Internationalen Mächte

Russland versucht, das von Erdoğan und dem IS verursachte Chaos für eine Stärkung der Position Assads in der Region zu nutzen. Das Assad-Regime ist militärisch und wirtschaftlich stark geschwächt und auf die Hilfe Russlands angewiesen. Ein stärkeres Assad-Regime in der Region heißt ein stärkeres Russland in der Region. Der Westen, allen voran Deutschland, sieht nach wie vor im NATO-Partner Türkei den natürlichen Verbündeten für die Region.

Auch die Kooperation der Türkei mit dem IS hat bei der deutschen Regierung bisher zu keinem Umdenken geführt. Weder Russland noch der Westen haben ein Interesse an einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates, dennoch dulden sie die Aktivitäten der mit ihnen verbündeten Türkei und die ganze Aufmerksamkeit des Westens und Russlands sind jetzt auf die Ukraine gerichtet. Dies wird die Türkei versuchen zu nutzen, um ihren vermeintlichen neoosmanischen Machtanspruch in Syrien und den Irak auszubauen. Dabei wird die Türkei versuchen, sich aus ihrer Abhängigkeit von Russland und dem Westen ein Stück weit zu lösen und in diesem Prozess noch stärker als bisher auf dschihadistische Milizen setzen.

Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland

„Der deutsche Staat ist der engste Partner der Türkei. Damit geht Verantwortung einher. Wir fordern wirtschaftspolitische Konsequenzen und einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei”, so Engin Sever, Ko-Vorsitzender von KON-MED.

„Um den Kampf gegen den IS effizient führen zu können, braucht die Selbstverwaltung in Rojava politische Rückendeckung. Die Bundesrepublik würde sich selbst und der Welt einen großen Gefallen tun, wenn sie die Selbstverwaltung anerkennen würde”, ergänzt Zübeyde Zümrüt, Ko-Vorsitzende von KON-MED.

Was immer auch in den nächsten Monaten und Jahren in Syrien und im Irak geschieht, passiert mit der Einwilligung der deutscher Regierung. Mit den daraus erfolgenden Resultaten und deren Konsequenzen in einer globalisierten Welt wird Deutschland leben müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung ihren Kurs ändert und sich für einen demokratischen Nahen Osten und gegen ein neoosmanisches Protektorat entscheidet.