Amtsgericht München: Claus Schreer zitiert Öcalan

Im Verfahren gegen Claus Scheer vor dem Amtsgericht München hat der achtzigjährige Angeklagte in seiner Prozesserklärung mit Zitaten von Abdullah Öcalan die Absurdität des PKK-Verbots in Deutschland dargelegt.

Gestern fand vor dem Amtsgericht München eines der vielen Verfahren wegen der Verwendung von Symbolen im Zusammenhang mit dem PKK-Verbot statt. Der Angeklagte war Claus Scheer, der seit sechzig Jahren in der Friedensbewegung aktiv ist. Zu einem Urteilsspruch kam es nicht, die Verhandlung wird fortgesetzt.

Den größten Teil der Verhandlung bestimmten die Aussagen des Herrn Kater vom Bundesinnenministerium, der als „Sachverständiger" geladen war. Er erläuterte rund eine Stunde lang die Sicht der Bundesregierung, dass sich die PKK der Kennzeichen der nicht verbotenen YPJ und YPG, ebenso wie von Abbildungen Abdullah Öcalans, bediene, sie „usurpiere" und deshalb jede öffentliche Verwendung als Unterstützung der PKK zu werten ist, weil sie „den Zusammenhalt der PKK fördert". Ob eine Versammlung eine Unterstützungsversammlung für die PKK sei, stelle sich erst „durch den tatsächlichen Ablauf" heraus, zum Beispiel ob sich Kurden daran beteiligen, die der Staatsschutz der PKK zuordnet.

Nicht die kurdischen Symbole, die Verbote sind verfassungswidrig

Claus Scheer gab vor Gericht folgende Prozesserklärung ab:

Am 17. Februar 2018 fand eine Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz statt - drei Wochen, nachdem die türkische Armee unter Bruch des Völkerrechts im nordsyrischen Afrin einmarschiert ist.

In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wird mir vorgeworfen – anlässlich dieser Demonstration – entgegen den Auflagen des KVR – einen Wimpel der Fraueneinheiten der Selbstverteidigungskräfte „YPJ" und ein Plakat mit der Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan" mit der Abbildung Öcalans verwendet zu haben. Absurderweise werden diese Kundgebungsmittel im Bescheid des KVR als „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ bezeichnet.

Die Fahnen- und Bilderverbote beruhen auf Verfügungen des Bundesinnenministeriums, nach denen seit März 2017 alle Kennzeichen der Volksverteidigungseinheiten der kurdischen Kantone Nordsyriens sowie Abbildungen von Abdullah Öcalan verboten sind. Nicht die kurdischen Symbole, sondern die diese Verfügungen sind verfassungswidrig. Sie sind ein Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Meinungsfreiheit.

Ich möchte kurz zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen.

1.) Zum Vorwurf der Verwendung eines YPJ -Wimpels

Die Volksverteidigungseinheiten YPG und die Fraueneinheiten YPJ in Nordsyrien retteten im Sommer 2014 zehntausende Jesidinnen und Jesiden vor den Angriffen der Mörderbanden des IS. Sie gelten weltweit als die entschiedendsten Kämpfer, die Nord-Syrien von der Schreckensherrschaft der IS-Terrorbanden befreit haben und erhielten bei der Verteidigung von Kobanê sogar Waffen und Luftunterstützung durch die USA. Die kurdischen Volksverteidigungsverbände verdienen unseren Respekt und unsere Solidarität.

Und im Gegensatz zu den völkerrechtwidrigen Aggressionskriegen der NATO-Staaten gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen oder dem völkerrechtwidrigen Einmarsch der türkischen Armee in Afrin, ist das Recht auf Selbstverteidigung ausdrücklich in der Charta der Vereinten Nationen verankert.

Die Staatsanwaltschaft aber unternimmt den Versuch, diejenigen zu kriminalisieren, die sich mit dem aufopferungsvollen Kampf der Verteidigungskräfte in Nordsyrien solidarisieren. Dabei bedient sich die Staatsanwaltschaft einer absurden Konstruktion, indem sie behauptet, dass die Kennzeichen der YPJ von der PKK „usurpiert“ werden.

Diese Verbote sind eine skandalöse Anbiederung an den türkischen Despoten Erdogan, die ihn zu einem noch schärferen Vorgehen gegen die Kurden im eigenen Land und den Nachbarländern Syrien und Irak ermutigt.

2.) Zum Vorwurf der Verwendung einer Abbildung Abdullah Öcalans

Die Staatsanwaltschaft behauptet, Darstellungen der Person Abdullah Öcalans „dienen der Verkörperung der PKK“ und seien „in besonderer Weise geeignet, den Zusammenhalt der PKK zu fördern“. Sie beruft sich dabei auf die bereits erwähnten Erlasse und Rundschreiben des Bundes-innenministeriums (BIM), die ebenso herbei konstruiert sind wie die Verbote der Kennzeichen der Volksverteidigungskräfte in Nordsyrien. Die Liste verbotener Kennzeichen des BIM enthält eine Unmenge von Symbolen, von denen das BIM behauptet, die PKK würde sich ihrer ersatzweise bedienen, um den verbotenen Zusammenhalt der PKK zu fördern.

Mit meinem Plakat und der Forderung „Freiheit für Öcalan“ hat das rein gar nichts zu tun,

nicht einmal damit, dass das BIM Abbildungen Öcalans auf gelben oder grün-gelben Hintergrund als verboten bezeichnet.

Selbstverständlich bin ich der Auffassung und bleibe dabei, dass es das Recht aller Demokraten ist, die Freilassung von Abdullah Öcalan zu fordern und dabei auch ein Porträt von ihm zu verwenden, genauso wie vor 40 Jahren, als wir in der Anti-Apartheid-Bewegung die Freilassung Nelson Mandelas gefordert haben Ich war damals dabei und natürlich haben wir Posters verwendet, auf denen Mandela abgebildet war.

Ich engagiere mich seit mehr als 60 Jahren in der Friedens- und Antikriegsbewegung, kämpfe seither gegen jede koloniale Unterdrückung und gegen jeden Einsatz militärischer Gewalt gegen andere Völker. Ich war selbst in den kurdischen Gebieten der Türkei und ich habe die von der türkischen Armee verbrannten und zerstörten Dörfer gesehen und auch die von Deutschland gelieferten Panzer, die gegen die Kurden eingesetzt wurden.

Wer einmal dort war, der weiß: Es sind nicht die Kurden und es ist nicht die PKK, die einer friedlichen und demokratischen Lösung des Konflikts im Wege stehen. Abdullah Öcalan und die kurdische Befreiungsbewegung fordern seit Jahrzehnten eine friedliche Lösung des Konflikts mit dem türkischen Staat. Abdullah Öcalan ist dabei eine Schlüsselfigur. Seine Vorschläge für eine Demokratisierung auf dem Gebiet der ganzen Türkei werden von der PKK bereits seit 1995 verfolgt, als sie definitiv auf das Projekt eines eigenen Staates verzichtete. Seine Friedensvorschläge wären ein Ausweg aus dem bis heute andauernden Konflikt.

Doch Erdogan erklärt alle, die sich in der Türkei für Dialog einsetzen zu Terroristen und antwortet mit Krieg und Repression gegen die Kurdinnen und Kurden. Tausende Kritiker des Regimes, Journalisten, gewählte Parlamentsabgeordnete, Bürgermeister und Kommunalpolitiker sind in der Türkei derzeit inhaftiert.

Die Münchner Staatsanwaltschaft und das Bundesinnenministerium erklären, Abdullah Öcalan gelte als „politischer Anführer der PKK“ und genieße bei „seinen Anhängern einen personenkultartigen Status“, aber seine friedenspolitischen Alternativen und die der PKK werden seit Jahren ignoriert.

In seinen Verteidigungsschriften „Zur Lösung der kurdischen Frage - Visionen einer demokratischen Republik“ hat sich Abdullah Öcalan 1999 ausführlich dazu geäußert. Das kann man nachlesen. Die Texte sind online verfügbar.

Ich möchte nur ein paar wenige Stellen daraus zitieren:

„Die Gründung eines eigenen Staates“, sagt Öcalan „kann kein Weg zur Lösung der kurdischen Frage sein. Von allen Möglichkeiten hat ein eigener Staat den geringsten praktischen Wert. Ein solcher Staat würde eine Sprache benötigen, eine eigene Wirtschaft, eine eigene Verteidigung. Er würde weder von seinen Nachbarländern, noch international anerkannt werden. Er hätte keine Voraussetzungen, auch nur einen Tag zu bestehen und würde zur Marionette anderer Mächte werden“.

„Durch Gewalt“, erklärt Abdullah Öcalan, lasse sich der Konflikt zwischen den Kurden und dem türkischen Staat nicht lösen. „Die Gewalt“ müsse „endlich von der Tagesordnung der Republik verschwinden. (…) Terror und Gewalt dürfen nie einen Platz unter den Menschen erhalten. (…) Wenn die massive Gewalt, der wir ausgesetzt sind, verringert oder beendet würde, wenn die Menschenrechte und die Entwicklung der Demokratie die Beziehungen bestimmen würden und zur Lösung des Konfliktes der politische Dialog gesucht würde, dann gibt es kein Volk und keine Partei, die sich mehr nach friedlichen Methoden sehnt als wir. (…) Die einzige Alternative ist eine demokratische Lösung im Rahmen der Türkei“. Als Beispiel dafür beschreibt Öcalan die Schweiz.

Ich beantrage deshalb, dass sich das Gericht mit diesen Vorschlägen befasst, anstatt mit den Unterstellungen der Staatsanwaltschaft und des Bundesinnenministeriums.

Um eine friedliche Lösung der kurdischen Frage zu ermöglichen, wäre die Freilassung Abdullah Öcalans das Gebot der Stunde, anstatt uns mit Bilderverboten zu kriminalisieren.

Aber, anstatt sich für eine friedliche Lösung in dem seit Jahren andauernden Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen Bevölkerung einzusetzen, macht die Bundesregierung einen Kniefall nach dem Anderen vor dem despotischen Erdogan-Regime.

Ganz offensichtlich soll – aus Rücksicht auf die Waffenbrüderschaft mit der Türkei – auch die Einstufung der PKK als terroristisch weiter aufrechterhalten werden.

Ich beantrage die Einstellung dieses Verfahrens.

Es kann nicht strafbar sein, sich mit denen zu solidarisieren, die das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Recht auf Selbstverteidigung für sich in Anspruch nehmen. Und es kann nicht strafbar sein, die Freilassung Abdullah Öcalans zu fordern und dazu auch ein Porträt von ihm zu verwenden, und zwar unabhängig davon, bei wem das einen „erheblichen Emotionalisierungseffekt“ auslöst, wie das von der Staatsanwaltschaft behauptet wird.