Was ist aus den Regierungen im Irak und Südkurdistan geworden?

Im Mai dieses Jahres fanden die irakischen Parlamentswahlen statt, im September dann in der Autonomen Region Kurdistan (Südkurdistan). Doch weder im Irak noch in Südkurdistan steht bislang eine Regierung.

Als Haider al-Abadi die Parlamentswahlen im Irak für den Mai dieses Jahres festlegte, tat er dies im Bewusstsein, dass seine Chancen auf eine Wiederwahl recht gut stehen. Denn er hatte nicht nur den mächtigen Nuri al-Maliki als Ministerpräsidenten zuvor abgelöst, sondern auch dessen schwerwiegende Fehler wieder geradegebogen. Wurde sein Vorgänger dafür verantwortlich gemacht, dass der IS binnen kürzester Zeit weite Teile des Landes unter seine Kontrolle brachte, gelang es al-Abadi gemeinsam mit der internationalen Koalition, diese Gebiete Stück für Stück zurückzuerobern. Hinzu kam, dass al-Abadi nach dem von der PDK (Demokratische Partei Kurdistans) initiiertem Unabhängigkeitsreferendum in Südkurdistan zum militärischen Vorstoß in die laut Verfassung „umstrittenen Gebiete" aufrief und diese samt der symbolisch wichtigen Stadt Kerkûk wieder unter die Kontrolle der Zentralregierung brachte. Eigentlich gute Vorzeichen für eine Wiederwahl von al-Abadi. Aber dann kam es doch anders.

Es wurde am 12. Mai schließlich gewählt und al-Abadi erhielt nicht das von ihm gewünschte Ergebnis. Plötzlich wurde das Sairun-Bündnis um den schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr zur stärksten Kraft im Irak. Zweitstärkste Kraft wurde das Bündnis um Hadi al-Amiri, dem Begründer der Hashd-al-Shaabi-Miliz. Al-Amiri ist im Übrigen für seine Nähe zum Iran bekannt. Beide schiitisch dominierten Wahlbündnisse sprachen sich gegen eine erneute Amtszeit von al-Abadi aus. Unterstützung für ihre Entscheidung erhielten al-Sadr und al-Amiri dann auch von schiitisch geistlicher Ebene. Der Großajatollah und wichtigste schiitische Geistliche im Irak, Ali al-Sistani, sprach sich schließlich ebenfalls gegen al-Abadi aus. Daraufhin erteilte Barham Salih, selbst erst am 2. Oktober zum irakischen Staatspräsidenten erklärt, dem unabhängigem schiitischen Politiker Adel Abdul-Mahdi den Auftrag, eine Regierung für den Irak zu bilden.

Die halbe Regierung steht

Keine einfache Aufgabe für den Technokraten und Geschäftsmann Abdul-Mahdi. Doch eine Woche vor dem Ablauf seiner 30-tägigen Frist präsentierte er tatsächlich ein Kabinett aus 22 Personen, aus denen die neue irakische Regierung bestehen sollte. Am 24. Oktober sollte das irakische Parlament den vorgeschlagenen Personen das Vertrauen aussprechen. Allerdings überstanden letztlich nur 14 der 22 Vorschläge Abdul-Mahdis die Wahl. Gegen acht Personen sprach das Parlament ein Veto aus. Abdul-Mahdi konnte deshalb nur mit 14 Ministern seinen Amtseid leisten und sich an die Arbeit machen. Diese „halbe Regierung" leitet derzeit den Irak.

Nicht nur dass die Vorzeichen für diese Kabinett durch das Veto des Parlaments für acht Kandidaten nicht gut standen, auch der Druck auf die übrigen 14 Minister Abdul-Mahdis nahm schnell zu. So machte die PDK, die als Teil der Regierung Anspruch auf den Wirtschaftsministerposten erhob, schnell klar, dass sie eine Erhöhung des Haushaltsbudgets für die Autonome Region Kurdistan einfordert. Auch die innerkurdischen Probleme belasteten rasch die neue irakische Regierung, denn ein vakanter Ministerposten in der Zentralregierung steht laut Vereinbarung noch den Kurden zu. Die PDK beansprucht diesen und erklärt zugleich, dass sie sich aus der Regierung zurückziehen würde, wenn nicht ein Mitglied aus ihren Reihen, sondern aus der YNK (Patriotische Union Kurdistans) zum Minister erklärt werde.

Auch die eigentlichen Wahlsieger der irakischen Wahlen, das Sairun-Bündnis von al-Sadr und das Fatah-Bündnis von al-Amiri, setzten die neue Regierung schnell unter Druck. Al-Sadr erklärt öffentlich: „Wir werden ein Jahr lang das Ganze mitverfolgen. Sollte Abdul-Mahdi die Politik umsetzen, die wir fordern, werden wir ihn unterstützen. Falls nicht, werden wir ihn stürzen." Eine ähnliche Drohung ging von al-Amiri aus. Er werde ein besonderes Auge auf die Politik der Regierung in Hinblick auf den Iran, die USA und die Hashd-al-Shaabi-Miliz werfen und stellte auch die Möglichkeit eines Regierungsumsturzes in den Raum.

Und wie steht es um die Regierung in Südkurdistan?

Ähnliche Probleme wie in Bagdad herrschen auch in Südkurdistan nach den Wahlen vor. Hier fanden die Parlamentswahlen der Autonomen Region am 30. September statt. Nicht nur verschiedene Parteien widersprachen nach dem Wahlgang den offiziellen Ergebnissen, auch das vermeintlich unabhängige Hohe Wahlamt war am Ende gespalten. Doch als die Ergebnisse durch ein Gericht bestätigt wurden, konnte das Parlament schließlich eröffnet werden.

Einige Parteien hatten zwar noch erklärt, sie würden nicht an den Sitzungen des Parlaments teilnehmen, wenn die Unregelmäßigkeiten während des Wahltags nicht ausgeräumt werden würden; bei der Eröffnung des Parlaments waren schließlich doch alle anwesend. Zwar ist nun das neue Parlament eingeweiht, hinsichtlich einer möglichen Regierungsbildung gibt es allerdings noch keine ernstzunehmenden Schritte.

PDK wollte Regierung ohne YNK auf die Beine stellen

Nach den Wahlen war es der Plan von Barzanîs PDK, zunächst ohne die ungeliebte Patriotische Union Kurdistans eine Regierung auf die Beine zu stellen. Sie probierte deshalb mit ihnen nahestehenden acht Vertretern der Minderheiten, die durch eine Quotenregelung im Parlament vertreten sind, und der Gorran-Bewegung eine Regierung zu bilden. Doch aufgrund des Widerstandes innerhalb Gorran verpuffte dieser Plan schnell. Wäre der Plan allerdings aufgegangen, hätte sich damit die ohnehin auf Verwaltungsebene gegebene Spaltung Südkurdistans zwischen der PDK-Region um Hewlêr (Erbil) und der YNK-Region um Silêmanî (Sulaimaniyya) auch auf politischer Ebene offiziell vollzogen. Man kann wohl behaupten, dass die PDK das in Kauf nehmen wollte.

Doch scheinbar waren auch die internationalen Mächte, allen voran die USA, mit einem solchen Weg nicht einverstanden. Daraus lässt sich auch herauslesen, wer in Südkurdistan tatsächlich das Sagen hat. Die USA haben die Autonome Region Kurdistan errichtet und begreifen sich weiterhin als ihre Schutzmacht. Deswegen legen sie auch ein besonderes Auge auf die politischen Entwicklungen in der Region. Als die Autonome Region Kurdistan entgegen dem Willen der USA das Unabhängigkeitsreferendum umsetzte, hat die Großmacht quasi als Abstrafung dafür dem Irak die Erlaubnis erteilt, die „umstrittenen Gebiete" um Kerkûk einzunehmen. So soll die Autonome Region auf Linie gehalten werden.

Als nun die PDK begriff, dass ein Regierungsunterfangen ohne die YNK aussichtslos ist, hat sie nach einer neuen Formel gesucht. Die Statements hochrangiger PDK- und YNK-Vertreter deuten darauf hin, dass in dieser Woche die Sondierungsgespräche für die Regierungsbildung aufgenommen werden. Doch die PDK erhebt bereits vor den Gesprächen auch den Anspruch, mehr Ministerposten besetzen zu wollen als die YNK. Eine weitere Streitfrage wird das Gouverneursamt von Kerkûk darstellen.

Laut irakischer Verfassung müssen nach den Parlamentswahlen bis zum Dezember die Gouverneure der Großstädte und Provinzen gewählt werden. Bislang hat die PDK das verhindert, indem sie ihre Delegierten aus dem Stadtrat von Kerkûk abzog und so die Neuwahl des Gouverneurs blockierte. Doch nun tritt eine Phase ein, in der dies rechtlich nicht mehr möglich ist. Bei den Verhandlungen mit der YNK über die Regierungsbildung muss deshalb auch die Frage des Gouverneurs von Kerkûk geklärt werden. Die PDK ließ durchblicken, dass im Gegenzug für die Wahl von Barham Salih zum irakischen Staatspräsidenten - Salih ist Mitglied der YNK - das Gouverneursamt von Kerkûk fortan ihrer Partei zustehe. Die YNK hingegen hatte einen taktischen Schachzug hingelegt, und zunächst ihren Kandidaten für das Gouverneursamt von Kerkûk bekanntgegeben, bevor sie Salih zu ihrem Kandidaten als Staatspräsident erklärte. Doch letztlich wird der Streit um das Amt des Gouverneurspostens einer so wichtigen Stadt wie Kerkûk auch Verhandlungsthema bei den Regierungsgesprächen sein.

Ein weiteres Verhandlungsthema wird das Amt des Parlamentspräsidenten der Autonomen Region Kurdistans sein. Dieses hatte bislang ein Mitglied der Gorran-Bewegung inne. Nun erhebt die YNK Anspruch auf diese Position, wenn die PDK weiterhin den Ministerpräsident der Autonomen Region stellen soll. Diese Forderung stellt wiederum die PDK vor Schwierigkeiten, denn ein Parlamentspräsident von Gorran würde sich leichter in seine Schranken weisen lassen als einer der YNK.

Und dann gibt es noch eine weitere wichtige Frage: Wer soll der Ministerpräsident der Autonomen Region Kurdistans werden? Hêmin Hawrami, ein Vertrauter Mesud Barzanîs, führte die Wahlliste der PDK bei den Parlamentswahlen an. Deshalb wird gemunkelt, dass dieser auf Wunsch von Mesud Barzanî den bisherigen Ministerpräsidenten Nêçîrvan Barzanî ablösen könnte. Sollte sich das verwirklichen, könnte Nêçîrvan Barzanî wiederum versuchen, einer Regierungsbildung Steine in den Weg zu legen.

Wenn wir uns nun dieses Bild über die Lage nach den Wahlen in Südkurdistan und im Irak anschauen, lässt sich Folgendes festhalten: Auch wenn Parlamentswahlen stattgefunden haben, kann die Politik hier wie dort nicht als demokratisch bezeichnet werden. Der Einfluss von Familien und bestimmten Gruppen auf die Politik der Region ist hierfür schlichtweg zu groß. Aus diesem Grund erscheinen die Wahlen als nicht viel mehr als bloße Formalität. Unter diesen Bedingungen glaubt auch kaum jemand an die baldige Lösung der schwerwiegenden gesellschaftlichen Probleme im Irak und der Autonomen Region Kurdistan.