Verteidigung von Abdullah Ö. beantragt Ladung von Generalbundesanwalt

Die Verteidigung des in Frankfurt wegen „PKK-Mitgliedschaft“ angeklagten Aktivisten Abdullah Ö. hat beim Staatsschutzsenat die Anhörung von Generalbundesanwalt Peter Frank beantragt. Es geht um Fragen zur Türkeireise des politischen Beamten.

Im 129b-Verfahren gegen den kurdischen Politiker Abdullah Ö. hat die Verteidigung beim Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt die Vorladung und Anhörung von Generalbundesanwalt Peter Frank beantragt. Das geht aus dem aktuellen Infodienst des Kölner Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden AZADÎ e.V. hervor. Mit Blick auf einen Antrag von Verteidigerin Antonia v.d. Behrens und ihrem Kollegen Stephan Kuhn zu Prozessbeginn auf Einstellung des Verfahrens solle die Beweisaufnahme zur Reise des Generalbundesanwalts in die Türkei ein wichtiger Beitrag darstellen. „Hierdurch könne das Bestreben des türkischen Staates, auf die Innenpolitik und die Justiz Deutschlands Einfluss zu nehmen, sehr gut nachgezeichnet werden und deutlich machen, dass die Türkei nicht nur kein Rechtsstaat ist, sondern ihre geopolitische Macht auch dazu nutzt, auf rechtsstaatliche Verfahren und Entscheidungsabläufe in EU- und NATO-Ländern Einfluss zu nehmen“, heißt es zur Begründung.

Generalbundesanwalt Peter Frank hielt sich Anfang Juli auf Einladung des Generalstaatsanwalts beim türkischen Kassationshof, Bekir Şahin, zu einem formellen Besuch in der Türkei auf. Zusammen mit dem deutschen Botschafter in Ankara, Jürgen Schulz, besuchte er unter anderem den Kassationshofpräsidenten Mehmet Akarca und wurde auch von Präsident Recep Tayyip Erdogan empfangen – ganz offiziell und „eingerahmt von nationalstaatlichen Symbolen der Republik Türkei“, hält AZADÎ fest. In deutschen Medien spielte dieses Ereignis kaum eine Rolle, und auch die Bundesregierung wich Fragen zum Türkeibesuch des Generalbundesanwalts aus. Es würde keine Auskunft zu solchen vertraulichen Gesprächen zwischen „Partnern“ geben, hieß es in der Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei.

Die „Frankfurter Rundschau“ jedoch berichtete in ihrer Ausgabe vom 8. Juli über das Treffen und bezog sich hierbei im Wesentlichen auf Berichte und zahlreiche Fotos türkischer Medien, wie etwa der regierungsnahen islamistisch-nationalistischen „Yeni Şafak“. Diese Materialien seien die Grundlage des Antrags von v.d. Behrens und Kuhn gewesen, wobei sie die einzelnen Themenbereiche aufgrund der rudimentären Informationen in Form von Fragen und Vermutungen formuliert hätten.

Bekir Şahin (l.) und Peter Frank © Yargıtay Başsavcılığı

Generalbundesanwalt auf höchster Ebene

Die Verteidigung von Abdullah Ö. sieht das Treffen im Zusammenhang mit den türkischen Forderungen bezüglich des beabsichtigten NATO-Beitritts von Schweden und Finnland sowie dem NATO-Gipfel in Madrid. Dies schließe sie daraus, dass Peter Frank nicht nur Gesprächspartner aus der Justiz getroffen habe, sondern auch Politiker wie Justizminister Bekir Bozdaḡ sowie den Diplomaten des Außenministeriums, Naci Koru, und eben den Staatspräsidenten höchst persönlich.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoḡan hatte als Preis für die NATO-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland, aber auch von Deutschland, eine verschärfte strafrechtliche Verfolgung von angeblichen PKK-Mitgliedern wegen Terrorismusvorwurfs und Anhänger:innen der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen (FETÖ) verlangt, die er für den sogenannten Putschversuch 2016 verantwortlich macht. Jede Einschränkung der Strafverfolgung interpretiere er als Verletzung türkischer Sicherheitsinteressen.

Abdullah Ö.s Verteidigung will nun von Peter Frank erfahren, ob die Berichte der „Frankfurter Rundschau“ beziehungsweise von „Yeni Şafak“ zutreffen, wonach dem Generalbundesanwalt eine Liste mit 129 Auslieferungsersuchen an die Bundesregierung von vermeintlichen oder tatsächlichen FETÖ-Anhängern, PKK-Mitgliedern oder verschiedener militanter türkisch-linker Vereinigungen, übergeben worden sei. Außerdem wollen v.d. Behrens und Kuhn beantwortet haben, in welchem Umfang die Intensivierung und Effizienz des polizeilichen Informationsaustausches und der generellen deutsch-türkischen Zusammenarbeit in Rechtshilfeangelegenheiten insbesondere hinsichtlich der PKK, FETÖ und türkisch-linker Vereinigungen vereinbart wurde. Auch gehe es um Auskunft darüber, ob künftig noch detailliertere Erkenntnisse aus deutschen Ermittlungsverfahren mit der türkischen Administration geteilt werden sollen, was angesichts der sehr unterschiedlichen Wertevorstellungen beider Staaten beachtlich wäre. Ferner möchte die Verteidigung Information darüber, ob die Bundesanwaltschaft (BAW) die türkischen Forderungen an das Bundeskanzleramt, das Außen- und Bundesjustizministerium zwecks Erteilung und Aufrechterhaltung der Verfolgungsermächtigung weitergeleitet hat oder nicht.

Türkei wollte Zusage für Auslieferung von Y. Örnek?

Die Verteidigung beantragte laut AZADÎ außerdem, Peter Frank zu befragen, ob dieser den türkischen Staatspräsidenten darüber informiert oder ihm zugesagt hat, dass durch die BAW ein Vorprüfverfahren hinsichtlich der FETÖ eingeleitet worden sei beziehungsweise eingeleitet werden wird. Ebenfalls will die Verteidigung erfragen, ob aufgrund der öffentlichen Forderungen nach Auslieferungen aus europäischen Staaten auch das Auslieferungsverfahren des in Deutschland – damals – in Auslieferungshaft befindlichen Kurden Yaser Örnek, der aufgrund seiner legalen Aktivitäten für die HDP in der Türkei verurteilt wurde, Thema gewesen ist. Der Student war am 2. Juli aufgrund eines Interpolfahndungsersuchens in Bayern fest- und in Auslieferungshaft genommen worden. Mit Beschluss vom 12. Juli hat der 1. Strafsenat des OLG München das Ersuchen der türkischen Justiz auf Auslieferung abgelehnt; Örnek konnte die JVA Bernau verlassen und in die Schweiz zurückkehren, wo er lebt.

Was ist mit der Verfolgung von IS-Mitgliedern?

Beantwortet werden soll zudem die Frage zum Umgang mit der Unterstützung bei der Strafverfolgung und Auslieferung von Mitgliedern der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) und anderen islamistischen Vereinigungen. Die Verteidigung vermute, dass die Türkei im Gegensatz zur deutschen Seite, kein erhebliches Interesse an einem polizeilichen Informationsaustausch und Rechtshilfeverkehr in diesen Verfahren hat.

Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch?

Ferner möchte die Verteidigung Abdullah Ö.s vom Generalbundesanwalt erfahren, ob – wie sie vermutet – die türkischen Vertreter darüber Auskunft haben wollten, ob durch die BAW ein oder mehrere Strafverfahren oder Vorprüfverfahren gegen türkische Personen oder Militärs nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland anhängig seien und versucht worden sei, Zugeständnisse zu erhalten, dass auch ein Angriffskrieg auf Nordsyrien nicht zur Einleitung derartiger Verfahren führen würde beziehungsweise dieser nicht als Krieg gewertet werde. Schlussendlich sei von Interesse, ob – wie die Verteidigung hofft –, der Generalbundesanwalt den vom türkischen Generalstaatsanwalt eingereichten Verbotsantrag gegen die HDP sowie das sogenannte Kobanê-Verfahren gegen Dutzende Mitglieder der HDP gegenüber seinen türkischen Gesprächspartnern kritisiert hat.

Der Vertreter des Generalbundesanwalts in dem Verfahren hat zu dem Antrag noch keine Stellungnahme abgegeben und der Senat noch nicht entschieden.