QSD: Wir kämpfen weiter, egal was passiert
„Rückzug ist keine Option. Wir werden weiter kämpfen, egal was passiert. Der türkische Staat kann den Beginn des Krieges bestimmen, aber nicht das Ende”, erklärte Rêdûr Xelîl zur aktuellen Lage in Rojava.
„Rückzug ist keine Option. Wir werden weiter kämpfen, egal was passiert. Der türkische Staat kann den Beginn des Krieges bestimmen, aber nicht das Ende”, erklärte Rêdûr Xelîl zur aktuellen Lage in Rojava.
Der QSD-Verantwortliche für Außenbeziehungen Rêdûr Xelîl hat am Samstag eine Erklärung zu den aktuellen Entwicklungen in Nord- und Ostsyrien abgegeben. Wir hatten in unserem Liveblog berichtet und veröffentlichen nachfolgend das vollständige Statement.
„Im Namen der Generalkommandantur der Demokratischen Kräfte Syriens drücke ich zunächst den Familien unserer gefallenen Kämpfer*innen und Zivilist*innen und unserem Volk unser Mitgefühl aus. Den Verwundeten wünschen wir eine baldige Genesung.
Mit Trauer haben wir vom Verlust der Generalsekretärin der Zukunftspartei Syriens, Havrin Khalaf, erfahren. Sie ist heute bei einem gezielten Anschlag auf dem internationalen Verkehrsweg M4 zwischen Til Temir und Aleppo gefallen. Dieser Anschlag zeigt, dass der türkische Staat nicht zwischen militärischen, zivilen oder politischen Zielen unterscheidet: Er greift an, um jeden zu töten. Aufgrund des Verlustes von Havrin Khalaf sprechen wir ihrer Familie, ihren Freund*innen und unserem Volk unser Beileid aus.
In der Vergangenheit sind wir regelmäßig an diesem Ort hier zusammengekommen, um über die militärischen Entwicklungen in unserem Kampf gegen terroristische Gruppierungen wie der Al-Nusra-Front und DAISH (arabisches Akronym für ‚Islamischer Staat’, Anm. d. Red.) zu berichten. Diesmal stehen wir einem anderen Kampf gegenüber. Unglücklicherweise ist es ein Angriffskrieg des türkischen Staates, den wir nie wollten.
Mit aller Kraft und Entschlossenheit haben wir uns dem Terror von DAISH widersetzt. Die Verteidigung gemeinsamer menschlicher Werte und einer freien Welt kostete uns 11.000 Gefallene und mehr als 22.000 Kriegsversehrte.
Diejenigen Kämpfer*innen, die heute vor den Augen der gesamten Welt gefallen sind, waren dieselben, welche Raqqa, die selbsterklärte Hauptstadt des sogenannten Kalifats, befreiten. Es waren diejenigen, die al-Bagouz zur Freiheit führten und die Welt vor dem Terror von DAISH beschützten.
In den letzten Jahren entwickelte sich Nord- und Ostsyrien dank des selbstlosen Widerstands unserer Völker zur friedlichsten Region ganz Syriens. An keinem Tag stellten wir eine Bedrohung für die Türkei dar und haben nicht einen Schuss in unser Nachbarland abgefeuert.
Als Völker Nord- und Ostsyriens haben wir Hunderttausende Binnenflüchtlinge sowie Vertriebene und Schutzsuchende aus dem Irak und Şengal aufgenommen. Wir haben sie mit offenen Armen empfangen, unser Brot mit ihnen geteilt und sie zu keinem Zeitpunkt als Druckmittel benutzt oder sie für unsere politischen Interessen missbraucht – so wie es in der Türkei der Fall ist.
Trotz schwerer Kriegsbedingungen stehen die Geflüchteten weiterhin unter unserem Schutz. Darüber hinaus beherbergen wir in unseren Lagern Tausende IS-Gefangene und Zehntausende ihrer Angehörigen. Sie alle sind tickende Zeitbomben, die eine Bedrohung für die gesamte Welt darstellen.
Am Freitag hat der türkische Staat das Gefängnis in Qamişlo bombardiert, in dem IS-Terroristen festgehalten werden. Der Angriff wurde ausgeführt, um diesen Häftlingen die Flucht zu ermöglichen. Vor dem Gefängnis in Hesekê unterstützte der türkische Staat einen Sprengstoffanschlag mit einer Autobombe. Doch die internationale Gemeinschaft ignoriert diese immense Gefahr, die von ihnen ausgeht.
In unserem Kampf gegen DAISH hatten wir viele Verbündete. Gemäß unseren soziokulturellen und ethischen Prinzipien waren wir ihnen gegenüber stets aufrichtig und loyal.
Wir haben unsere Aufgaben und Verantwortlichkeiten gegenüber der Welt zu jedem Zeitpunkt erfüllt. Wir haben die aus allen internationalen Abkommen erwachsenden Verpflichtungen umgesetzt. Infolge der trilateralen Vereinbarungen, die mit unseren Verbündeten und der Türkei getroffen wurden, haben wir alle Wälle im Grenzstreifen abgetragen. Unsere Verbündeten garantierten uns den Schutz vor Bedrohungen durch die Türkei. Doch genau diese Verbündeten entschieden auf grausame Weise, ihre Streitkräfte aus dem Grenzstreifen abzuziehen und hielten es noch nicht einmal für nötig, uns darüber in Kenntnis zu setzen. Diese Haltung bedeutet nichts anderes, als seinen Verbündeten ans Messer liefern zu lassen.
Wir sehen, dass die Angriffe der Türkei auf unser friedliches Volk verurteilt werden, eine politische Haltung angenommen wird und wirtschaftliche Sanktionen in Erwägung gezogen werden. Längerfristig könnten diese Aussagen und Entscheidungen wirksam sein, eine direkte Wirkung haben sie jedoch. Das, was jetzt im Moment dringend ist, ist eine Entscheidung, welche die Angriffe stoppt.
Dennoch möchten wir mitteilen, dass wir die aufrichtige Anteilnahme und politische Haltung von Freund*innen, Persönlichkeiten, einigen Staaten und Regierungen zu schätzen wissen. Der Arabischen Liga und ihren Mitgliedsstaaten, Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten sprechen wir unseren Dank aus. Diese Länder legen Wert auf den gemeinsamen Willen der Völker in Nord- und Ostsyrien.
Seit vier Jahren verteidigen unsere Kämpfer*innen die Kräfte der Internationalen Koalition und handeln mit ihnen in Übereinstimmung. Diese Kämpfer*innen werden nun jedoch vor den Augen der Koalitionskräfte von Kriegsflugzeugen bombardiert und getötet.
Ein Wiedererstarken von DAISH durch die Angriffe der Türkei droht nun nicht mehr; er ist bereits erstarkt. In Regionen wie Qamişlo und Hesekê hat sich DAISH bereits reaktiviert. Wir stehen heute zwei Fronten gegenüber, die eine ist der türkische Staat, die andere DAISH.
Wir fordern unsere Verbündeten auf, umgehend ihre Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu erfüllen. Wir bitten die Internationale Koalition nicht, mit uns an den Fronten des Krieges zu kämpfen. Aber sie sollte ihre Versprechen einhalten und eine Flugverbotszone für türkische Kriegsflugzeuge schaffen. Das umzusetzen wird nicht schwer sein.
Der türkische Besatzungsstaat zielt ganz bewusst auf Zivilist*innen, um unsere Kämpfer*innen zu demoralisieren. Solche Angriffe gegen Zivilpersonen begrenzen sich nicht nur auf Nord- und Ostsyrien. Auch innerhalb der Grenzen der Türkei kommt es zu Massakern, für die wir verantwortlich gemacht werden. Diese Anschuldigungen sind inakzeptabel. Jede Person weiß, dass die Kurden, Araber und Assyrer auf beiden Seiten der Grenze miteinander verwandt sind. Wie können wir die eigene Bevölkerung und unsere Verwandten töten?
Wir danken ihnen für ihren heldenmütigen Widerstand. Wir wissen, dass sie bis zum Ende des Widerstands ihren Kämpferinnen und Kämpfern beistehen werden. Wir versprechen ihre Freiheit und werden niemals die uns auferlegte Sklaverei akzeptieren. Wir werden unseren Widerstand für ein würdevolles Leben fortsetzen. Wir rufen ein weiteres Mal zur Einheit der Kurden, Araber, Assyrer und Aramäer auf.
Die Angriffe des türkischen Staates dauern seit dem 9. Oktober an. Die Luft- und Bodenangriffe auf die Städte und Dörfer Nord- und Ostsyriens halten vom Tigris bis zum Euphrat – in Dêrîk, Tirbespiyê, Girkê Legê, Qamişlo, Amûde, Dirbesiyê, Serêkaniyê, Girê Spî, Kobanê und Ain Issa unvermindert an.
Infolge der Bombardements des türkischen Staates wurden bisher mehr als 100.000 Menschen vertrieben. Sie sind nun auf der Flucht, ihre Lage ist dramatisch. Hinzu kommen mindestens 200 zivile Todesopfer und Verletzte aufgrund der Kriegshandlungen der Türkei. Unter den Verletzten sind auch Kinder und ältere Menschen.
Die Bemühungen des türkischen Staates und seiner ‚Nationalen Syrischen Armee’, über den Boden einzufallen, halten ebenfalls an. Dagegen leisten die QSD insbesondere in Serêkaniyê und Girê Spî einen historischen Widerstand. 45 dieser Kämpferinnen und Kämpfer sind bisher gefallen.
Der türkische Staat will nicht nur das Gebiet zwischen Girê Spî und Serêkaniyê besetzen, er will ganz Nord- und Ostsyrien. Die Internationale Koalition hat bisher keine konkreten Schritte unternommen, um die Besatzungsangriffe zu stoppen.
Andererseits befinden sich in unseren Gefängnissen tausende IS-Dschihadisten. Bisher konnten wir diese Söldner kontrollieren. Aber wenn sich der Krieg verschärft, wird unser Schwerpunkt auf der Verteidigung unseres Volkes liegen. Die Sicherung von Gefängnissen mit IS-Mitgliedern hat für uns keine Priorität. Der IS ist kein inneres Problem Nord- und Ostsyriens. Die Welt kann sich um dieses Problem kümmern, wenn es ihr tatsächlich wichtig ist.
Rückzug ist keine Option. Wir werden weiter kämpfen, egal was passiert. Wir konzentrieren uns vorerst nur auf den Kampf gegen die türkische Invasion und den Schutz unserer Bevölkerung. Der türkische Staat kann den Beginn des Krieges bestimmen, aber nicht das Ende.”