Nachtarockt – Bayerns Justiz gegen Kerem Schamberger

Die bayrische Justiz ist offenbar auf einem Rachefeldzug gegen Kerem Schamberger. Der Aktivist soll vor Gericht, weil er eine Polizistin als „bekannt für ihre türkisch-nationalistische Gesinnung“ beschrieb. Laut Staatsanwaltschaft sei das Diffamierung.

Der Aktivist und Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger focht schon etliche Runden aus gegen Bayerns Justiz. Dabei ging es vor allem um die Symbole der YPG/YPJ, deren Zeigen seit 2017 unter Strafe gestellt wurde, bis im Dezember letzten Jahres das Oberste Bayerische Landesgericht diesem Fahnenverbot ein Ende bereitete. Hunderte von Verfahren wurden daraufhin eingestellt, das Zähneknirschen des Innenministeriums ist nicht dokumentiert.

Infolgedessen wurden auch die YPG/YPJ-Verfahren gegen Kerem Schamberger eingestellt. Ende gut – alles gut? Nein, so schnell gibt Bayerns Justiz nicht auf. Ein neuer Prozesstermin steht am 22. Juni 2021 um 10 Uhr vor dem Amtsgericht München gegen Schamberger an. Er spricht vom „übriggebliebenen Rest“ aus der Zeit, als Polizei und Staatsanwaltschaft akribisch zusammentrugen, was sie ihm noch vorwerfen könnten.

Die einzelnen Anklagepunkte fasst Schamberger zusammen:

„1. Angeklagt bin ich, weil ich nach der polizeilichen Durchsuchung meiner Wohnung eine namentlich nicht genannte (!) türkischstämmige Polizeibeamtin, die bei der Durchsuchung dabei war, auf Facebook als bekannt ‚für ihre türkisch-nationalistische Gesinnung‘ beschrieben hatte. Die Staatsanwaltschaft behauptet, die Bezeichnung ‚türkisch-nationalistisch‘ sei Diffamierung.

2. Gleichzeitig wird mir vorgeworfen, den Durchsuchungsbeschluss gegen meine eigene Wohnung teilweise auf Facebook veröffentlicht und damit die Öffentlichkeit über die mir zur Last gelegten Taten informiert zu haben.

3. Ein letzter Anklagepunkt besteht darin, dass ich im Dezember 2017 einen Beschluss des Amtsgerichts Aachens gepostet habe [… zum] Erlass eines Strafbefehls wegen einer YPG/YPJ-Fahne.“

Anhand der Anklagepunkte, von denen jeder für sich genommen mehr als nichtig erscheint, ist man versucht zu unterstellen: Es geht der bayrischen Justiz um einen Rachefeldzug gegen einen Aktivisten, der unermüdlich an der Seite der kurdischen Freiheitsbewegung steht und zusammen mit vielen anderen den Kampf gegen die (außen-)politisch motivierten Symbolverbote – erfolgreich – aufgenommen hat.

Wie die jüngsten Fälle der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Nürnberg, Heilbronn und Esslingen zeigen, wird man noch warten müssen, bis die Bundesregierung und die deutsche Justiz einen Paradigmenwechsel vollziehen werden. Dabei ist die Entkriminalisierung und Anerkennung der Organisationen der Freiheitsbewegung – einschließlich der PKK als Kriegspartei in einem innerstaatlichen Konflikt (s. Urteil des Kassationshofs Brüssel) – nicht nur überfällig, sondern auch Voraussetzung für eine demokratische Lösung im Mittleren Osten.

Je früher dies passiert, desto früher wird sich auch Kerem Schamberger wieder wichtigeren Aufgaben zuwenden können, und die bayrische Justiz hätte mehr Zeit, sich um die Liste der „Einzelfälle“ von Rechtsextremisten, Faschisten, Reichsbürgern etc. in Bayern zu kümmern.