Mietshäuser-Syndikat: Die Häuser denen, die drin wohnen

Fast jeder kennt das: Die Mieten steigen ständig, für den Kauf einer Immobilie fehlt meist das Geld. Das Netzwerk Mietshäuser Syndikat gibt darauf eine politische Antwort. Im ANF-Interview äußert sich York Runte zur Arbeit des Solidarverbundes.

Fast jeder kennt das: Die Mieten steigen ständig, für den Kauf einer Immobilie fehlt meist das Geld. Das Netzwerk Mietshäuser Syndikat gibt darauf eine politische Antwort. Durch Vergesellschaftung werden Wohnhäuser dem Immobilienmarkt entzogen, in selbstverwaltetes Kollektiveigentum überführt und so langfristig günstiger Wohnraum geschaffen.

Schon in den 80er Jahren gründeten Menschen in Freiburg einen Verein mit dem Ziel, durch gemeinschaftlichen Kauf zu verhindern, dass Häuser zum Spekulationsobjekt werden. Im Vordergrund stand der kollektive Wunsch nach einem Haus, in dem es sich selbstbestimmt leben lässt, dem nicht irgendwann Luxussanierung, Zwangsräumung oder Abrissbirne drohen und das dauerhaft unverkäuflich ist. Heute gibt es deutschlandweit mehr als 150 Objekte des Miethäuser Syndikats.

ANF war neugierig, wie es gelingen kann, der kapitalistischen Moderne und deren Vermarktungsinteresse ein Schnippchen zu schlagen und sprach mit York Runte, einem beratenden Mitglied des Solidarverbundes Mietshäuser Syndikat.

Kannst du kurz vorstellen, wie das Mietshäuser Syndikat funktioniert?

Es ist ein solidarischer Verbund von über 150 autonomen Hausprojekten im gesamten Bundesgebiet. Jedes Hausprojekt gründet eine Haus GmbH mit zwei Gesellschaftern. Der eine Gesellschafter ist der Hausverein. In dem sind alle Bewohner*innen Mitglied. Der zweite Gesellschafter ist die Mietshäuser Syndikats GmbH. Diese wiederum hat nur einen Gesellschafter. Das ist der Mietshäuser Syndikats Verein. Hierin sind alle Projekte sowie Einzelpersonen Mitglied.

Wie wird damit jetzt verhindert, dass das Haus wieder verkauft werden kann?

Die Gesellschaftsform GmbH wurde deshalb gewählt, weil es hier möglich ist, das Stimmrecht eines Gesellschafters einzuschränken. In diesem Fall hat der Gesellschafter Mietshäuser Syndikat GmbH nur ein Stimmrecht bzw. Vetorecht bei Hausverkauf, Satzungsänderungen und Ergebnisverwendungen. Es müsste also der ganze Verbund von mittlerweile über 150 Hausprojekten diesem Verkauf zustimmen. Das heißt: Je größer der Solidarverbund wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass das Mietshäuser Syndikat einem Verkauf zustimmt.

Was unterscheidet euch von Wohnungsgenossenschaften, die es ja schon länger gibt?

Ganz entscheidend ist, dass wir alle selbstverwaltete Projekte sind. Wir haben also keinen Vorstand oder ähnliches und treffen alle Entscheidungen im Konsens. Außerdem müssen Menschen, die bei uns einziehen, keine Einlage bezahlen, die bei den Genossenschaften je nach Wohnungsgröße im mittleren 5-stelligen Bereich liegt. Bei uns müssen die Mitbewohnerinnen „nur" die Miete aufbringen. Es ist aufgrund der Projektautonomie auch möglich, solidarische Mieten zu vereinbaren.

Reden wir über die Finanzierung. Ihr sagt: „Lieber 1000 Freundinnen im Rücken als eine Bank im Nacken.“ Was meint ihr damit?

Einen möglichst großen Teil unserer Finanzierung versuchen wir über sogenannte Direktkredite zu erhalten. Das sind Nachrangdarlehen, die wir aus dem Kreis der Familie, der Freund*innen und Genoss*innen beschaffen. Das sind mit einem Kreditvertrag fixierte Ausleihungen an die Projekte mit festgeschriebenen Laufzeiten und Zinssätzen. Da wir die gesamten Kosten über unsere Mieten refinanzieren, ist es natürlich wichtig, dass die Zinsen so gering wie möglich sind. Zurzeit zahlen wir zwischen 0 und 1,5 Prozent Zinsen. Den Rest des benötigten Geldes leihen wir uns von einer Bank.

Welche Voraussetzungen müssen Menschen mitbringen, die vorhaben, ein Hausprojekt mit dem Mietshäuser Syndikat zu realisieren?

Sie müssen ein gewisses Grundverständnis über solidarisches und selbstverwaltetes Wohnen und Zusammenleben mitbringen oder dazu bereit sein, sich dieses anzueignen. Auch sollte klar sein, dass es sich hier um einen nie abgeschlossenen Prozess handelt. Das heißt, die Gruppen haben regelmäßig Plena um die Verwaltung zu besprechen und ein Zusammenwohnen zu organisieren, wo sich jede und jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und wohl fühlt. Außerdem sind Mitarbeiten in den bundesweiten Arbeitsgruppen und Teilnahme an den Mitgliederversammlungen erwünscht. Nur so können die mehr werdenden Arbeiten von einem so schnell wachsenden Netzwerk auch gemeinsam umgesetzt werden.

Es geht bei einigen Projekten nicht nur um Wohnen, sondern auch Vereinsräume, Läden oder Werkstätten können ihren Platz in dem Haus finden. Gibt es da konkrete Beispiele?

Klar geht es um mehr als nur Wohnen. Das ist aber von den konkreten Verhältnissen abhängig. Wenn neu gebaut wird, können die Gruppen solche Räume für gemeinsame Nutzungen mit planen. Die Nutzung dieser nichtkommerziellen Räume kann auch anderen Gruppen zur Verfügung gestellt werden. Es gibt mittlerweile auch Gewerbehöfe und Bauernhöfe, die sich unserem Verbund angeschlossen haben und so dauerhaft Grund und Gebäude vor Reprivatisierungen schützen.

Habt ihr Erfahrungen, mit welchen Problemen oder Hindernissen die Hausprojekte zu kämpfen haben. Und wie könnt ihr ihnen dabei helfen?

Für Außenstehende ist häufig das größte Problem, wie die Finanzmittel für so ein Projekt organisiert werden können. Das ist aufgrund der Immobilien- und Bodenpreise natürlich auch nicht einfach. Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass oft unterschätzt wird, wie anspruchsvoll ein solidarischer, gleichberechtigter Umgang mit den individuellen Vorstellungen der Menschen in der Gruppe ist. Da sollte also von Anfang an keine Scheu bestehen, sich für diese Aufgaben auch professionelle Unterstützung von außen zu holen und die Möglichkeiten der Supervision, der Mediation und der Schlichtung auch bekannt zu machen und rechtzeitig in Anspruch zu nehmen.

Das Mietshäuser Syndikat mit mittlerweile über 150 Häusern versteht sich als bundesweiter Solidarzusammenhang. Kannst du dies näher erläutern?

Da gehört zum einen der Solidarbeitrag dazu. Das ist ein im Laufe der Jahre steigender Beitrag, der einen Teil der Entschuldung der einzelnen Projekte in den Gesamtverbund einbringt, um neu entstehende Projekte bei ihrem Start finanziell zu unterstützen. Es geht aber weit darüber hinaus. Wir haben bundesweite Arbeitsgruppen zu Konflikten, Strukturen, International, Solidarbeitrag ... Hier wird das Wissen unseres Verbundes gesammelt und weiterentwickelt und neuen Gruppen zur Verfügung gestellt. Unser Handbuch hat mittlerweile über 150 Seiten!

Ihr versteht euch als politisches Projekt und eröffnet Alternativen zur kapitalistischen Moderne, indem ihr statt auf persönlichen Eigentumserwerb auf Gemeingüter („Commons“) setzt. Wie schätzt du die Zukunft eures Projekts ein?

Das Mietshäuser Syndikat wächst mit ähnlicher Geschwindigkeit wie die Immobilienpreise. Mit dem entscheidenden Unterschied, das es keine Blase ist. Immer mehr Menschen entdecken, – allerdings aufgrund ihrer Not einen immer größeren Teil ihres Einkommens für die Miete aufbringen zu müssen – dass Privateigentum an Grund und Boden vielleicht nicht sein sollte. Fortschrittliche Städte und Gemeinden fangen an, ihr Bauland nicht mehr meistbietend zu verhökern, sondern es in Erbpacht an Projekte mit einem gemeinwohlorientierten Konzept langfristig zu verpachten. Durch die Vergesellschaftung von Haus und Grund finden aber noch viele weitere positive Veränderungen statt. Durch die Projektautonomie können wir uns für solidarische Kostenmieten entscheiden, das heißt, dass wir uns zum Beispiel die Kosten einkommensabhängig teilen. Wir können uns überlegen, unsere Gemeinschaftsflächen auch für nicht im Haus Wohnende zur Verfügung zu stellen. Wir teilen uns viele Sachen, wie Näh- und Bohrmaschine, Auto aber auch Freude und Leid. Wir helfen uns gegenseitig mit unseren Stärken und finden Unterstützung bei unseren Schwächen.

Revolutionär ist das noch nicht. Aber ein wichtiger Schritt in die Richtung eines kollektiven Lebens.

York, wir danken dir für deine Erläuterungen und wünschen dem Mietshäuser Syndikat noch viele weitere Projekte.

Weitere Informationen: https://www.syndikat.org/de/

Erklärfilm: