Kurdische Freundschaftsgruppe fordert Intervention gegen Drohnenangriffe

Die Kurdische Freundschaftsgruppe im Europäischen Parlament fordert eine Intervention gegen den türkischen Drohnenkrieg in West- und Südkurdistan. Es brauche ein entschiedenes Handeln auf EU-Ebene, um weitere Kriegsverbrechen zu verhindern.

Die Kurdische Freundschaftsgruppe im Europäischen Parlament (EP) fordert eine Intervention gegen den türkischen Drohnenkrieg gegen die kurdische Bevölkerung. Bei einer Pressekonferenz im EP kritisierte die Parlamentariergruppe unter dem Vorsitz von François Alfonsi (Grüne/EFA, Frankreich), Andreas Schieder (S&D, Österreich) und Nikolaj Villumsen (LINKE, Dänemark), dass Europa seine Augen gegenüber den Verbrechen der Türkei verschließe. Die Freundschaftsgruppe sprach sich für ein wirkungsvolles Handeln auf EU-Ebene aus, um weitere Kriegsverbrechen des türkischen Staates zu verhindern.

Xalid Isa: 202 Tote durch Drohnenangriffe in zwei Jahren

„Die Drohnenangriffe der Türkei gegen Kurdinnen und Kurden in Syrien und im Irak stellen eine Bedrohung für die regionale Sicherheit und Stabilität dar“, lautete der Titel der am Freitag im EP einberufenen Pressekonferenz, an der sich auch Xalid Isa, Vertreter der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Frankreich, beteiligte. Der Politiker trug zunächst einen ausführlichen Bericht über die Drohnenangriffe im Autonomiegebiet seit den im Oktober 2019 zwischen Russland, den USA und der Türkei vereinbarten Waffenstillstands- und Deeskalationsabkommen vor und nannte Zahlen: 32 Offensiven zur Ausweitung der Besatzungszone und 29 Angriffe mit unbemannten und bemannten Drohnen. Nach Angaben von Isa Xalid seien in Folge dieser Attacken insgesamt 185 Kämpferinnen und Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) ums Leben gekommen, weitere dreizehn wurden teils schwer verletzt. Die Zivilbevölkerung hatte siebzehn Todesopfer zu beklagen, darunter eine Frau und vier Kinder. „Primäres Ziel dieser Drohnenschläge waren die Regionen um Ain Issa und Girê Spî, das Umland der Verkehrsstraße M4 sowie Zirgan und Til Temir“, so Isa.

Türkei löst Fluchtwellen aus

„Ich weise nochmals darauf hin, dass die Besetzung von Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî durch den türkischen Staat unter Zustimmung Russlands und der USA erfolgte“, hob Xalid Isa hervor. Sowohl in der Besatzungszone als auch in der Umgebung der von den Drohnenangriffen in Nord- und Ostsyrien besonders betroffenen Gebieten seien Dschihadisten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und ihre Angehörigen angesiedelt worden. Im Fokus der aggressiven Expansionsstrategie von Ankara stünde vor allem die christlich besiedelte Stadt Til Temir im Chabur-Tal. Die Attacken der Türkei richteten sich gezielt gegen das Siedlungsgebiet der aramäischen, assyrischen und chaldäischen Suryoye, um diese christlichen Gemeinschaften zu vertreiben. Alle 32 Großoperationen zur Ausdehnung der Besatzungszone, die Xalid Isa eingangs nannte, richteten sich demnach allein gegen Til Temir. „Das gesamte Handeln des türkischen Staates in Nord- und Ostsyrien ist darauf ausgerichtet, eine große Fluchtwelle auszulösen. Wir alle wissen, dass die Türkei schon in der Vergangenheit die Flucht der syrischen Bevölkerung aus ihrer Heimat gefördert hat. Genau diese Flüchtlinge werden als Druckmittel gegen Europa eingesetzt“, sagte Isa.

Alfonsi: Wiederbelebung des IS durch türkische Angriffe

Der französische Politiker François Alfonsi hob hervor, dass die türkische Armee in ihrem Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden keinen Unterschied zwischen zivilen und militärischen Zielen mache. Die Drohnenangriffe verfolgten den Zweck, Teile des kurdischen Siedlungsgebietes zu annektieren und damit in das eigene Staatsgebiet einzugliedern. In Syrien ginge es um Rojava, im Irak betreffe dieses Vorgehen in erster Linie das ezidische Kerngebiet Şengal. Der Nahe Osten sei durch die Angriffe der Türkei abermals destabilisiert worden, weil sie unter anderem zu einer „Wiederbelebung“ des von den Kurdinnen und Kurden „unter großen Opfern“ militärisch besiegten IS führten. „Deshalb stellen diese Attacken der Türkei auch eine große Bedrohung für Europa dar. Wir müssen diesem gefährlichen Prozess ein Ende setzen. Ein erster Schritt wären wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen“, so Alfonsi.

Schieder: Türkei für ethnische Säuberungen verantwortlich

Der österreichische Abgeordnete Andreas Schieder, der der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament angehört, unterstrich, dass die Türkei in Syrien und im Irak gegen das Völkerrecht verstößt. „So wie bereits in Efrîn betreibt der türkische Staat auch in anderen Regionen eine ethnische Säuberung. Internationales Recht wird mit Füßen getreten, es werden Kriegsverbrechen verübt und Menschen in die Flucht getrieben. Das darf nicht akzeptiert werden. Wir müssen weitere Todesopfer verhindern. Die Fehler, die wir in der Vergangenheit begangen haben, dürfen sich nicht wiederholen“, forderte Schieder.

Villumsen: Entschlossenes Handeln der EU längst überfällig

Der dänische EP-Abgeordnete Nikolaj Villumsen forderte mit Blick auf die Kriegsverbrechen der Türkei eine „entschiedene Reaktion“ auf die Führung in Ankara. Die Erdogan-Regierung hin und wieder zu ermahnen, sich aber ansonsten passiv zu verhalten, sei inakzeptabel. Die Antwort auf türkische Menschenrechtsverletzungen sollten ein entschlossenes Handeln der Europäischen Union sein. „Auch der Europarat und die EU-Kommission sollten auf diese Kritik klar reagieren und weitere Maßnahmen ergreifen. Wir sollten auch die Entschließungen zur Sprache bringen, die im EU-Parlament diskutiert werden. Das entschlossene Handeln ist längt überfällig. Wir müssen das Leben der Zivilbevölkerung in der Region schützen. Jede Flüchtlingskrise hat einen Anfang. Wir müssen mit der Stabilisierung der Region beginnen“, so Villumsen.