Keine Freiheit: Ehemalige 129b-Betroffene werden zur Kasse gebeten

Kurdische politische Gefangene sind in Deutschland auch nach Absitzen ihrer Haftstrafe freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt. Ein weiteres Druckmittel sind Zahlungsaufforderungen für die Kosten der Repression.

Kurdische Aktivist:innen, die in der Regel ihre Haftstrafen bis zum letzten Tag absitzen müssen, werden danach nicht etwa „in die Freiheit entlassen“, sondern sehen sich über Jahre hinweg weiteren ihre Freiheit massiv einschränkenden behördlichen Maßnahmen ausgesetzt, die einer Ausweitung der Strafe gleichkommen. Das reicht von einer wöchentlichen Meldepflicht bei der Polizei, dem Verbot kurdische Vereine aufzusuchen, Kontakte zu bestimmten Personen aufzunehmen, politische Reden oder Vorträge zu kurdenbezogenen Themen zu halten, den zugewiesenen Bezirk zu verlassen oder sich an Veranstaltungen oder Demonstrationen zu beteiligen. Obligatorisch ist auch die Aberkennung des Asylstatus, verbunden mit einer Ausweisungsandrohung.

Zahlungsaufforderungen

Um den Betroffenen noch den letzten Zug zum Atmen zu nehmen, sollen ihnen zudem die Gebühren der Verfahren auferlegt werden. Wie der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. in seinem aktuellen Infodienst mitteilt, wird ein Betroffener aufgefordert, einen Betrag von 53.015,63 Euro zu zahlen. In einem anderen Fall werden 63.103,82 Euro verlangt. Hinweise darauf, hierzu nicht in der Lage zu sein, werden mit Pfändungsdrohungen beantwortet oder den permanenten Aufforderungen, die Zahlungsunfähigkeit dokumentarisch zu belegen.

Der höchste Betrag, den nach Kenntnis von AZADÎ eine Generalstaatsanwaltschaft bislang von einem Aktivisten (im Jahre 2018) verlangte, belief sich auf 382.949,74 Euro. Darin enthalten waren die hohen Beträge für Dolmetscher:innen, Übersetzungen, Zeugenentschädigungen und an Anwälte zu zahlende Beträge.

Nicht in meinem Namen

Diese Zahlen machen deutlich, welche Dimension auch dieser Aspekt der Repressions- und Kriminalisierungspolitik hat. Mehrere hundert Verfahren nach §129, §129a und §129b sind seit Ende der 1980er Jahre gegen kurdische Aktivist:innen geführt worden. Keine:r der Betroffenen ist in der Lage gewesen, die Zahlungsaufforderungen der Behörden zu erfüllen. Mithin bleibt es die Sache der Allgemeinheit – der Steuerzahler:innen –, die Kosten zu übernehmen. Obwohl viele Menschen nicht damit einverstanden gewesen wären oder sind, dass Kurd:innen wegen ihrer Aktivitäten gegen politische Verfolgung und Krieg, aber für demokratische Lösungen „im Namen des Volkes“ verurteilt wurden/werden und hernach auch noch für diese politisch motivierten Prozesse zahlen sollen.

Rasche und effektive Lösung“

„Es wäre interessant zu wissen, um welche exorbitante Beträge es sich handelt. Nicht minder interessant wäre eine Übersicht, wie viele Beamt:innen und Mitarbeiter:innen in Verwaltungsbehörden, Polizei und Justiz damit beschäftigt sind, Kurdinnen und Kurden geheimdienstlich zu observieren, Razzien in Vereinen und Wohnungen durchzuführen, ihre Aktivitäten wie Demos oder Versammlungen zu behindern, zu verbieten oder anzugreifen, gegen sie zu ermitteln, sie festzunehmen, anzuklagen und zu verurteilen, in den Gefängnissen zu kontrollieren oder nach der Haftentlassung weiter in Geiselhaft des Staates zu nehmen“, erklärt AZADÎ e.V. und schlägt vor: „Für das gebetsmühlenartige Lamento über fehlendes Personal im öffentlichen Dienst – insbesondere im Bereich von Polizei und Justiz – gäbe es eine rasche und effektive Lösung, nämlich die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots. Damit könnte schlagartig eine beachtliche Personalkapazität freigesetzt werden.“