Geheimdienst als Zensor

Die marxistische Tageszeitung Junge Welt beklagt einen Angriff auf die Pressefreiheit aufgrund ihrer Überwachung durch den Verfassungsschutz. Ein Text von Nick Brauns.

„Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie“, hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit am 3. Mai verkündet und unabhängigen Journalisten mehr Schutz zugesagt. Gemeint hat die Ministerin wohl vor allem Pressefreiheit in Staaten wie Russland, China, Venezuela und dem sozialistischen Kuba, die von der Bundesregierung immer wieder hart kritisiert werden. Denn was die Bundesregierung von Pressefreiheit auch für radikal-oppositionelle Medien in Deutschland hält, das machte sie zwei Tage später in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion deutlich. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulla Jelpke, hatte eine Kleine Anfrage über „Presse- und wettbewerbsrechtliche Behinderungen durch Nennung der Tageszeitung junge Welt im Verfassungsschutzbericht“ gestellt. Hintergrund der Anfrage war die Tatsache, dass die seit 1947 erscheinende, in Berlin herausgegebene parteiunabhängige Tageszeitung junge Welt seit Jahren im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Kapitel „Linksextremismus“ als „auflagenstärkstes Printmedium im Linksextremismus“ benannt wird. Auch der Verlag 8. Mai GmbH, in dem die Zeitung erscheint, sowie die von Leserinnen und Lesern der Zeitung getragene Genossenschaft LPG als Haupteigentümerin des Verlages werden im Geheimdienstbericht zu einer vermeintlich „extremistischen Gruppierung“ mit „verfassungsfeindlichen Zielen“ erklärt.

Bundesregierung: „Wirkmächtigkeit“ der jungen Welt einschränken

In einem offenen Brief an die Bundestagsfraktionen hatte die junge Welt im März beklagt, dass ihr durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht „erhebliche Nachteile im Wettbewerb“ entstehen. Denn die Deutsche Bahn, verschiedene Städte und Radiosender verweigern der Zeitung unter Verweis auf die Verfassungsschutzbeobachtung das Anmieten von Werbetafeln oder die Ausstrahlung bezahlter Werbespots. Öffentliche Bibliotheken sperren auf ihren Computern den Zugang zur Website der jungen Welt. In einigen Gefängnissen steht die Zeitung auf dem Index und wird nicht an inhaftierte Abonnenten ausgeliefert. Zudem werden Gesprächspartner oder Autoren dadurch abgeschreckt, dass die Nennung ihres Namens in der Zeitung als gerichtsverwertbarer belastender Umstand gewertet werden kann. Bei der Zeitung handelt es sich nicht nur um ein journalistisches Produkt, vielmehr sind Genossenschaft und Verlag auch wirtschaftliche Unternehmen, die den normalen Marktgesetzen unterworfen sind, betont die junge Welt. All die Benachteiligungen und Angriffe auf die ökonomischen Grundlagen der jungen Welt in Folge der Geheimdienstbeobachtung sind erklärte Absicht, um die Reichweite der Zeitung zu beschränken. Das gab die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion offen zu. Ziel sei es, Relevanz und „Wirkmächtigkeit“ der jungen Welt einzuschränken. Eine Nennung im Verfassungsschutzbericht diene auch dem Zweck, „verfassungsfeindlichen Bestrebungen (…) den Nährboden entziehen zu können“.

Positiver Bezug auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Die Bundesregierung rechtfertigt die Überwachung der jungen Welt damit, dass es sich um eine „eindeutig kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung“ handele. „Themenauswahl und Intensität der Berichterstattung zielen auf Darstellung ‚linker‘ und linksextremer Politikvorstellungen und orientieren sich am Selbstverständnis der jW als marxistische Tageszeitung“. Dabei beziehe sich die junge Welt positiv auf Marx, Engels, Lenin, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die „Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit“ widerspreche „der Garantie der Menschenwürde“, wird schon die nicht nur von Marxisten geteilte Erkenntnis, wonach die kapitalistische Gesellschaft in Klassen geteilt ist, als verfassungsfeindlich eingestuft.

Umdeutung von „Terrororganisationen“ zu „Befreiungsbewegungen“

Die Bundesregierung beklagt weiter, dass „eine fundamentale Kapitalismuskritik“ ein „Schwerpunktthema“ der Zeitung sei, während „sozialistische Staatsordnungen, beispielsweise von Kuba, verherrlichend dargestellt und als politisch und moralisch überlegen“ beschrieben würden. Schließlich wird als Beleg für die vermeintliche „extremistische Bestrebung“ der jungen Welt angeführt, dass darin ausländische „Terrororganisationen“ zu „Befreiungsbewegungen“ umgedeutet würden. Dieser Vorwurf zielt auf die regelmäßigen Berichte in der jungen Welt über die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die kurdische Freiheitsbewegung, aber auch den palästinensischen Widerstand, die Unabhängigkeitsbewegung in Sri Lanka, kommunistische Partisanen auf den Philippinen oder kolumbianische Guerillagruppen. Die nach außenpolitischen Interessen der imperialistischen Staaten erstellte EU-Terrorliste ist dabei der erklärte Maßstab der Bundesregierung, wie eine im Ausland bewaffnet kämpfende Gruppierung einzuschätzen ist. Eine davon abweichende Sichtweise, sei „mithin nicht objektiv, sondern tendenziös“, heißt es so in der Antwort der Bundesregierung.

„Die Zeitung verbreitet ihre eigene subjektive Wahrheit und will insofern ‚Gegenöffentlichkeit‘ schaffen“, führt die Bundesregierung weiter zur Belastung der jungen Welt an. Als marxistisch orientierte Tageszeitung wolle die junge Welt „nicht nur zu informieren, sondern eine ‚Denkweise‘ herauszubilden, um bei den Bevölkerungsgruppen, die sie als Unterdrückte oder Ausgebeutete identifizieren, Verständnis und die Bereitschaft zum Widerstand hervorzurufen.“

Von obrigkeitsstaatlichem Denken geleitete Einschränkung der Grundrechte

In einem am vorletzten Freitag veröffentlichten Appell zeigen sich Verlag, Redaktion und Genossenschaft der jungen Welt „in großer Sorge um die Pressefreiheit“ in Deutschland. Die Antwort der von Union und SPD geführten Regierung auf die Kleine Anfrage müsse beunruhigen. Schließlich „liefert sie doch Argumente für eine sehr weitgehende Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte, die alle fortschrittlichen Kräfte in diesem Land betreffen“, heißt es in dem Appell an die kritische Öffentlichkeit, „sich dieser von obrigkeitsstaatlichem Denken geleiteten Einschränkung von demokratischen Grundrechten zu widersetzen“.

In einem Punkt irrt die junge Welt freilich. Die marxistische Tageszeitung ist zwar die einzige deutschsprachige, nicht aber nicht die einzige Tageszeitung, die in der Bundesrepublik vom Geheimdienst überwacht wird. Auch die Yeni Özgür Politika wird seit Jahren im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. Ihre Vorgängerin Özgür Politika wurde sogar im Jahr 2005 vom Bundesinnenministerium wegen angeblicher Einbindung in Strukturen der PKK verboten. Das damalige Verbot vom Bundesverwaltungsgericht im gleichen Jahr wieder aufgehoben.

Im Jahr 2005 hatte das Bundesverfassungsgericht - im Falle der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit - das grundlegende Urteil gefällt, wonach eine Nennung im Verfassungsschutzbericht eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit sei. Denn durch den Verfassungsschutzbericht würde die Zeitung in ihren Wirkungsmöglichkeiten nachteilig beeinflusst, was einem „Eingriff in das Kommunikationsgrundrecht“ gleichkomme. Doch was das Bundesverfassungsgericht im Falle der rassistischen Wochenzeitung klarstellte, sollte in einem Rechtsstaat auch für die linken Zeitungen junge Welt und die Yeni Özgür Politika gelten. Eine Zensur durch den Geheimdienst darf nicht geduldet werden.