Die Zwangsverwaltungen in Kurdistan und der Türkei – Teil II

94 der Stadtverwaltungen der DBP wurden unter Zwangsverwaltung gestellt, 90 Prozent der Ko-Bürgermeister*innen sind festgenommen und 56 sind inhaftiert worden. Die Treuhänder sind zu Mitteln der Turkisierung der Region geworden.

Der türkische Staat hat aufgrund einer am 30. Oktober 2014 im Nationalen Sicherheitsrat (MGK) getroffenen Entscheidung die „Dialogphase“ beendet. Unter der Bezeichnung „Niederschlagungsplan“ wurde ein langfristiger Plan zur vollständigen Vernichtung der kurdischen Selbstorganisierung eingeleitet, der alle Formen des Angriffs beinhaltete. Die Regierung streckte einerseits die Hand zu „Friedensverhandlungen“ aus, während sie auf der anderen Seite den Angriff vorbereitete.

Eine umfassende Angriffswaffe

An erster Stelle standen bei diesen Angriffen die Stadtverwaltungen der Partei der Demokratischen Regionen (DBP), die unter Zwangsverwaltung gestellt wurden. Im Moment befinden sich 94 der Stadtverwaltungen der DBP unter Zwangsverwaltung. Die übrigen Stadtverwaltungen (Rezik, Çınar, Hezro, Erxenî in Amed, die Gemeinde Girê Sira in Êlih, die Gemeinde Bukardi in Xarpêt und die Stadtverwaltung von Semsûr) sind an die Kompetenzen der türkischen Gouverneure und Landräte eng angebunden. 90 Prozent der Ko-Bürgermeister*innen sind festgenommen worden und 56 sind inhaftiert. Die juristische Verfolgung derjenigen, die frei geblieben sind, geht weiter. Von diesen Ko-Bürgermeister*innen werden etwa 20 nicht wie in den türkischen AKP-Medien behauptet, wegen „Unterstützung“ einer Terrororganisation, sondern wie auch die inhaftierten DBP-Ko-Bürgermeister*innen wegen „Mitgliedschaft“ und „Propaganda“ angeklagt.

Kurdische Sprache wird nicht toleriert

Nach dem Beginn der Zwangsverwaltung der Kommunen durch Treuhänder der AKP-Regierung erreichte die Assimilations- und Verleugnungspolitik des türkischen Staates ein neues Höchstniveau. Zunächst entfernten die Treuhänder die an den Stadtverwaltungen aufgehängten kurdischen Beschriftungstafeln. Anschließend wurden die kurdischen Namen der Parks, Straßen und Alleen geändert. Ein Denkmal für die Opfer des Roboskî-Massakers, der nach dem erschossenen Menschenrechtsanwalt benannte Tahir-Elçi-Park und auch die Namen von Ehmedê Xanî und dem von türkischen Sicherheitskräften mit 13 Kugeln hingerichteten Jugendlichen Uğur Kaymaz verschwanden aus dem Straßenbild. Das Ganze war von der Schließung der Frauen- und der Kulturzentren begleitet. Anstelle der Frauen- und Kulturzentren der DBP-Stadtverwaltungen wurden dort der rassistisch-religiösen Mentalität des Regimes entsprechende Einrichtungen eröffnet. 3.000 Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltungen wurden entlassen. An ihre Stelle traten die Kader der AKP. Zuletzt wurden 722 Mitarbeiter*innen von Subunternehmen aufgrund von Ausnahmezustandserlassen entlassen.

Gestohlene Projekte

Die ernannten Treuhänder haben weder Kenntnisse über kommunales Leben noch die Bereitschaft, sich dementsprechend zu verhalten. Stattdessen richteten sie sich nach den Entscheidungen der staatlichen Autoritäten. Sie ließen die Meinung der Mitarbeiter außen vor und setzten ihre eigenen Entscheidungen um. Da sie von der Organisierung einer Stadtverwaltung nichts verstehen, stahlen sie Projekte der DBP und setzten diese um. Eines davon war das 16 Kilometer lange Schienennetz in Amed, das von der DBP-Stadtverwaltung entwickelt worden war. Die Projektplanung war schon vor sieben Jahren abgeschlossen, von der Weltbank akzeptiert und von vielen Unternehmen unterstützt worden. Das türkische Ministerium für Umwelt und Stadtentwicklung hatte die Umsetzung dieses Projekts systematisch verhindert. Nach der Ernennung der Zwangsverwalter werden solche Projekte nun als die eigenen dargestellt. Auch die sogenannten „Suppenquellen“ der Stadtverwaltungen der DBP wurden als „Bewirtungsbrunnen“ als eigene Aktivität der Zwangsverwalter dargestellt.

Rechtliche Ansätze

Die DBP versucht, gegen die Zwangsverwaltung, die Entlassung ihrer Mitglieder und die Inhaftierung der Bürgermeister*innen mit einer breiten juristischen Offensive zu antworten. Aufgrund des Ausnahmezustands und der Notverordnungen wird dieses juristische Vorgehen behindert. Da der Rechtsweg im Land formell nicht ausgeschöpft ist, ist es nicht möglich, den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Die Anzahl der Akten, die an den EGMR gehen können, ist sehr gering. Mit der Vertagung und Verzögerung der Prozesse verschieben sich die möglichen Prozesse vor dem EGMR ebenfalls nach hinten.

Zwangsverwaltung und die Reaktion der Bevölkerung

Die Angriffe auf Kobanê, die Nichtanerkennung des Wahlerfolges der HDP bei den Wahlen am 7. Juni, die Morde in den Kellern von Cizîr und ähnliche Entwicklungen riefen heftige Reaktionen in der kurdischen Bevölkerung hervor. All dies spitzte sich mit der Ausrufung des Ausnahmezustands weiter zu. Die Zwangsverwalter wurden ebenfalls im Rahmen des Ausnahmezustands mit Hilfe von Notverordnungen durchgesetzt. Sogar der Gruppensprecher der AKP aus der Stadtverwaltung von Amed plädierte gegen die Zwangsverwaltung und wurde in Folge dessen des Amtes enthoben. In der kurdischen Bevölkerung wird die Zwangsverwaltung als eine der über Jahrhunderte stattfindenden Assimilationspolitik angesehen. Diese Situation wird nicht nur als die Ernennung eines Treuhänders betrachtet, sondern als eine Manifestation des Kolonialismus. Auch in Europa gab es unterschiedliche Reaktionen auf die Zwangsverwaltungen. So verweigerten einige europäische Stadtverwaltungen die Zusammenarbeit mit Partnerstädten unter Zwangsverwaltung. Sie bewerteten die Treuhänder als „Räuber“ und kündigten alle Vereinbarungen auf.