Demonstration in Berlin: Gerechtigkeit für die Opfer des armenischen Genozids

Am 15. März 1921 starb der osmanische Großwesir Talaat Pascha durch eine Kugel des Armeniers Soghomon Tehlirian in Berlin. Genau hundert Jahre später wird es am Ort der Erschießung eine Demonstration geben – für Gerechtigkeit für die Opfer von Aghet.

Genau vor 100 Jahren, am 15. März 1921 starb Talaat Pascha (Mehmed Talât Paşa) durch eine Kugel von Soghomon Tehlirian in der Berliner Hardenbergstraße. Zum hundertsten Jahrestag der Erschießung des Innenministers und späteren Großwesirs des Osmanischen Reichs wird es unter der Losung „Gerechtigkeit für die Opfer des Völkermords - Genozidverleugnung heißt Fortsetzung des Verbrechen” eine Demonstration in der Bundeshauptstadt geben. Organisiert wird die Veranstaltung vom Bündnis „United Against Turkish Fascism!”, dem vor allem Aktivist*innen der armenischen, kurdischen, ezidischen und alevitischen Gemeinschaften angehören – Völker und Gruppen, die auch heute direkt vom türkischen Faschismus betroffen sind und sich dagegen widersetzen.

Wer war Talaat Pascha? Und wer war Tehlirian? Talaat Pascha war einer der drei Hauptverantwortlichen des Genozids von 1915, in dessen Verlauf etwa 1,5 bis 2 Millionen Armenier*innen, Assyrer*innen und Griech*innen im damaligen Osmanischen Reich ermordet wurden. Ein ganzes armenisches Volk wurde in der eigenen Heimat systematisch ausgelöscht, während die Mörder auf freiem Fuß blieben. Nach Kriegsende verurteilte ein Gericht in Konstantinopel (Istanbul) Talaat Pascha aufgrund seiner Verbrechen zum Tode, er konnte vorher aber mit deutscher Hilfe nach Berlin flüchten. Obwohl Talaat Pascha direkt für die grausamen Deportationen und Massaker verantwortlich war, war es ihm möglich, bis 1921 in einer großen Wohnung in Berlin-Charlottenburg zu leben und offen auf die Straße zu treten, ohne Konsequenzen für das eigene Handeln tragen zu müssen.

Armenier bezeichnen Genozid als „Aghet” – die Katastrophe

Soghomon Tehlirian stammte aus Erzincan, das im Osmanischen Reich zum Vilayet von Erzurum gehörte, und verlor beim Völkermord Dutzende seiner Familienangehörigen. Zusammen mit weiteren armenischen Revolutionär*innen bildete er die Operation Nemesis, um die Opfer des Genozids zu rächen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

„Ich habe einen Menschen getötet, aber ich bin kein Mörder”, sagte der damals 24-jährige Tehlirian vor Gericht. In einem spektakulären Strafprozess vor dem Kriminalgericht des Berliner Landgerichts im Juni 1921, welcher den Genozid auch der deutschen Öffentlichkeit ins Bewusstsein führte, wurde er freigesprochen. Weitere Zeug*innen im Prozess waren ebenfalls Überlebende der unfassbaren Verbrechen der Osmanischen Regierung, auf die Talaat Pascha bis zuletzt stolz gewesen war.

Völkermord für den „Traum” eines ethnisch homogenen Nationalstaats

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten noch gut zwei Millionen Armenier im Osmanischen Reich. Dieses befand sich im Niedergang, in Europa sprach man vom „kranken Mann am Bosporus“. Im Gegenzug wuchs der Nationalismus, der sich nicht zuletzt gegen die Armenier*innen richtete. Sie waren häufig wohlhabender und gebildeter als ihre türkischen Landsleute. Zwischen 1894 und 1896 kam es bereits zu Pogromen, bei denen bis zu 300.000 Menschen getötet wurden.

1908 übernahmen die sogenannten Jungtürken die Macht in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, und setzten den bisherigen Sultan ab. An seiner Stelle wurde ein Marionettenherrscher als Nachfolger installiert. 1913 putschte sich ein Triumvirat an die Spitze des Staates, bestehend aus Innenminister Talat Pascha, Kriegsminister Ismail Enver und Marineminister Ahmed Cemal. Sie regierten das Reich faktisch als Diktatur, um ihren Plan von einem ethnisch homogenen Nationalstaat umzusetzen. Dieser sollte muslimisch geprägt sein - ohne christliche Minderheiten, die seit Jahrhunderten als Untertanen zweiter Klasse im Osmanischen Vielvölkerreich leben.

Ab März 1915 wurden die armenischen Soldaten der osmanischen Armee entwaffnet, ein großer Teil von ihnen wurde umgebracht. Am 24. April 1915 verfügte Talaat Pascha die Verhaftung der armenischen Elite aus der Hauptstadt Konstantinopel. Dieser Tag gilt als eigentlicher Auftakt des Genozids. Allein den anschließenden Massakern, Todesmärschen, der Hungersnot und Massendeportation in die syrische Wüste fielen mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer.

Türkei leugnet bis heute Massenvernichtung des armenischen Volkes

„Bis heute leugnet der türkische Staat nicht nur den Genozid, sondern setzt diesen weiter fort, indem er Kurd*innen, Ezid*innen, Alevit*innen und nicht zuletzt die christlichen Minderheiten im eigenen Land und auch außerhalb der türkischen Staatsgrenzen verfolgt, unterdrückt und massakriert”, erklärt das Berliner Bündnis „United Against Turkish Fascism!”. „Gebiete wie Rojava und Şengal sehen sich permanent der Gefahr einer türkischen Aggression ausgesetzt; in Afrin (Efrîn) kam es bereits in den letzten völkerrechtswidrigen Angriffskriegen der Türkei zu ethnischen Säuberungen, die seitdem auch Schritt für Schritt fortgesetzt werden. Auch jetzt werden mit deutscher Mitwisserschaft und Hilfe Gebiete wie Gare in Südkurdistan bombardiert – im eigenen Land führt eine massive Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Politik der AKP-Regierung dazu, dass die Menschen um Brot anstehen müssen.

Die Erdogan-Regierung droht mit ihrem rechtsextremen Koalitionspartner MHP dabei immer wieder mit Verschärfungen der Repression wie einem Verbot der Oppositionspartei HDP oder einem weiteren Angriffskrieg gegen Armenien, nachdem die Türkei und Aserbaidschan bereits im letzten Herbst Arzach (Karabach) angegriffen haben. Auch dort kam es zu einer ethnischen Säuberung mit über 40.000 armenischen Vertriebenen!

Wir protestieren gegen diese faschistische Regierung in der Türkei! Wir fordern Gerechtigkeit für die Opfer des Genozids und die Anerkennung dessen! Gerade in Deutschland ist es wichtig, auf die Straßen zu gehen und den türkischen Faschismus zu bekämpfen: Die Merkel-Regierung ist die Verbündete Erdogans schlechthin, und das nicht nur, weil der Diktator vom Bosporus die Geflüchteten aus dem Nahen Osten einsperrt. Kommt mit uns auf die Straßen und erscheint zahlreich bei der Demonstration gegen den türkischen Faschismus!”

Marsch führt zur türkischen Botschaft

Die Demonstration am 15. März beginnt um 16 Uhr am Zoopalast an der Hardenbergstraße 29A mit einer Auftaktkundgebung. Anschließend wird es einen Marsch bis zur türkischen Botschaft geben. „United Against Turkish Fascism!” ruft dazu auf, die Maskenpflicht und Abstandsregeln einzuhalten.