Anweisung vom MIT, Mordausführung von der Kiyam-Bewegung

Das ehemalige IS-Mitglied Ismail Ahmed Necim hat gestanden, den Mordanschlag an Ibrahim Halil, Anwalt und Vorstandsmitglied des Zivilrates von Raqqa, verübt zu haben. Den Auftrag habe die Kiyam-Bewegung erteilt, ein Gemeinschaftsprojekt des IS und MIT.

In den vergangenen drei Monaten ist es immer wieder zu Anschlägen gegen Mitglieder des Zivilrates von Raqqa und des Militärrates von Minbic gekommen. Wie sich jetzt herausstellte, steckt die sogenannte Kiyam-Bewegung hinter den Attentaten. Ismail Ahmed Necim, ehemaliges IS-Mitglied, hat gestanden, im Auftrag der Kiyam-Bewegung den Mordanschlag auf den Rechtsanwalt Ibrahim Halil verübt zu haben. Halil, der Mitglied im Vorstand des Zivilrates von Raqqa war, ist bei dem Anschlag im turkmenischen Dorf Hamam in Girê Spî (Tall Abyad) im Januar dieses Jahres ums Leben gekommen. Im Fokus der Ermittlungen stand schon ziemlich bald der ehemalige IS’ler Necim, der ebenfalls aus dem Dorf Hamam stammt. Nach einer Dauerobservierung ist der Attentäter von den Sicherheitskräften Rojavas gefasst und unter Arrest gestellt worden. Mittlerweile hat Necim ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Demnach habe Ismail Ahmed Necim den Auftrag, Ibrahim Halil zu ermorden, von Hüseyin Muhammed Salih, einem hochrangigen Mitglied der „Schutzschild Euphrat“-Kräfte erhalten. Salih wiederum operiere im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT.

Einige Zeit vor der Verhaftung Necims, hat im Oktober 2017 im Norden von Aleppo die Bewegung „Kiyam“ (türkisch: Meuterei) ihre Gründung ausgerufen. Ziel der „unabhängigen, syrischen Kiyam-Bewegung“ sei es, „gegen separatistische Gruppierungen zu kämpfen“. Ihr Stil weckt jedoch sehr starke Erinnerung an die Morde in den 1990er Jahren, die von Paramilitärs des türkischen MIT an kurdischen Guerillakämpfer*innen verübt worden waren. Videoaufnahmen von Mordanschlägen, die von Mitgliedern der Kiyam-Bewegung ausgeführt wurden, sind bereits mehrfach über den Twitter-Account https://twitter.com/SyrianKiyam veröffentlicht worden.

Gleichermaßen wie der türkische Staat zielen die Attentate der Kiyam-Bewegung auf Mitglieder der PYD, YPG, des Militärrates von Minbic und des Zivilrates von Raqqa. So sehr diese Gruppierung auch den Anschein erwecken mag, eine unabhängige Organisation zu sein, haben die Geständnisse des ehemaligen IS-Mitglieds Ismail Ahmed Necim bestätigt, dass es sich bei der Kiyam-Bewegung um ein Projekt handelt, das vom türkischen Geheimdienst MIT ins Leben gerufen wurde.

Zu den folgenschwersten Attentaten, zu dem sich die Kiyam-Bewegung bisher noch nicht bekannt hat, gehört der Mord an Omar Allush.

Auftraggeber gehörte „Schutzschild-Euphrat"-Kräften an

Im Folgenden die Aussage des 27-jährigen Ismail Ahmed Necim:

„2017 bin ich nach Cerablus gegangen, um von dort aus in die Türkei einzureisen. Mein Ziel war es, in der Türkei zu arbeiten. In Cerablus habe ich Huseyin Muhammed Salih getroffen. Er stammt aus unserem Dorf. Wir haben auch die gleiche Schule besucht. Als ich später mit meinem Vater gearbeitet habe, traf ich ihn ein weiteres Mal. Ansonsten hatten wir keine Beziehung miteinander. Nach Jahren habe ich ihn zum ersten Mal wieder in Cerablus getroffen. Er gehörte den Kräften des Schutzschild-Euphrat an. In Cerablus bin ich zehn Tage geblieben. Ich wollte die Grenze in die Türkei überqueren, aber es klappte nicht. Also ging ich zurück in mein Dorf. Etwa 4–5 Monate nachdem ich ins Dorf zurückgekehrt war, traf ich in dort. Einen Tag, bevor ich den Anwalt getötet habe, kam er auf mich zu.

Mordauftrag vom türkischen Geheimdienst MIT

Er erzählte mir aus geschäftlichen Gründen nach Cerablus gekommen zu sein und nach getaner Arbeit zurückfahren. Ich fragte ihn, was er beruflich macht. Er sagte: „Mein Job ist es, Menschen zu töten“. Dann sagte er: „Du gehörst auch dem 'Schutzschild Euphrat'-Kräften an“. Ich verneinte dies, woraufhin er sagte: „In Ordnung. Tu du nichts, halte mir lediglich den Rücken frei. Ich werde dir 500 Dollar geben.“

Ich fragte ihn, für wen wir das machen. Er sagte, es sei für Ebu Azam von den „Schutzschild Euphrat"-Kräften, der die Arbeiten des MIT erledigt.

Ich musste ihn töten, um zu lernen‘

Am nächsten Tag kam er nochmal zu mir. Wir sind mit dem Motorrad zum Haus des Anwalts gefahren. Er sagte zu mir: „Los, töte du ihn, damit du es lernst“ und drückte die Pistole in meine Hand. „Leg die Waffe an und schieß, wenn der Anwalt kommt“, sagte er.

Im Vorfeld hatte Salih die Gegend ausgekundschaftet, da er mir sagte, dass das WC nicht im Haus ist. Ich sollte mich hinter dem WC verstecken und schießen, sobald der Anwalt kommt. Das tat ich dann auch. Als der Anwalt kam, habe ich sieben Schüsse auf ihn abgefeuert.

Nach dem, was er mir erzählte, habe es sich um eine Waffe mit Schalldämpfer gehandelt. Als ich den Anwalt erschossen hatte, sind wir über die Gartenmauer geklettert und mit dem Motorrad über Umwege aus der Gegend gefahren. Er hat mich zu Hause abgelassen und ich fragte ihn nach dem Geld. Er sagte: „Komm morgen zu mir nach Hause. Ich werde dich sowohl bezahlen als auch dich für einen neuen Job vorbereiten.“

Er sagte, er würde für weitere Aufträge zurückkommen‘

Ich ging mehrmals zu ihm nach Hause, habe ihn jedoch nicht antreffen können. Nach drei Tagen schickte ich ihm per Whatsapp eine Nachricht und fragte nach dem Geld. Er sagte: „Ich werde in etwa vier bis sechs Wochen zurück sein. Ich habe dort noch weitere Dinge zu erledigen und werde dir auch dein Geld geben. Danach habe ich ihm nochmal eine Sprachnachricht zugeschickt, auf die er nicht geantwortet hat. Ich habe 1,5 Monate auf ihn gewartet und bin dann erwischt worden.“

Videoaufnahmen des Attentates veröffentlicht

Die Gefangennahme von Ismail Ahmet Necim haben die Sicherheitskräfte Rojavas zunächst nicht bekannt gegeben. Die paramilitärische Kiyam-Bewegung hat nach der Festnahme von Necim am 7. März über den Kurznachrichtendienst Twitter Videoaufnahmen des Attentates an Ibrahim Halil veröffentlicht. Die Aufnahmen decken sich mit den Aussagen Necims und zeigen, wie Halil auf dem WC ins Visier genommen wird.

Parallelen zum Mord an Omar Allush

Die Aussagen Huseyin Muhammed Salihs, dem Anstifter des Mordes an Ibrahim Halil, der behauptet, seine Befehle von einem ranghohen MIT-Agenten zu erhalten, die von Ismail Ahmed Necim erwähnt werden, sind auch für den Mord an Omar Allush am 15. März von Bedeutung.

Huseyin Muhammed Salih erwähnt gegenüber Necim, dass es sein Job sei, Menschen zu töten. Er behauptet, in vier bis sechs Wochen für weitere Arbeitsaufträge zurückzukommen. Der Anschlag auf Omar Allush in seinem Haus fällt in diese Zeitspanne. Auch hier wurde eine Waffe mit Schalldämpfer eingesetzt.

Indem sie Videoaufnahmen des Mordes an Ibrahim Halil veröffentlichte, hat sich die Kiyam-Bewegung zu dem Attentat bekannt. Zu dem Anschlag auf Omar Allush, ebenfalls Vorstandsmitglied des Zivilrates von Raqqa und Angehöriger der Familie ist, in dessen Haus der kurdische Volksrepräsentant Abdullah Öcalan seine erste Nacht in Rojava verbrachte, hat sich die Kiyam-Bewegung bisher nicht bekannt.

Anadolu Ajansi, die staatliche Nachrichtenagentur der Türkei jedoch, hatte direkt im Anschluss an das Attentat an Omar Allush vermeldet, dass dieser in seinem Haus mit einer Waffe mit Schalldämpfer erschossen worden war. Die Sicherheitskräfte Rojavas hatten zu dem Zeitpunkt noch keine Erklärung zu dem Vorfall abgegeben. Die türkischen Medien behaupteten auch, Allush sei „von der PKK hingerichtet worden, weil er mit der PYD in einen Konflikt geraten“ sei.

Mit dem Mord an Omar Allush, der eine zentrale Rolle für die Zukunft Raqqas als auch Syriens einnahm, wurde dieser gemäß den Absichten des türkischen Staates ermordet. Außerdem wurde der Versuch gestartet, den Mord der PYD und der Administration Nordsyriens in die Schuhe zu schieben. Ohne Ausnahme sind bisher alle Attentate der Kiyam-Bewegung in Regionen durchgeführt worden, die der türkische Staat auf seine Tagesordnung gesetzt hat und mit seinen politischen und militärischen Absichten im Einklang stehen.

Gemeinschaftsprojekt vom IS und MIT: Kiyam

Ismail Ahmed Necim, Hauptverdächtiger des Attentates an Ibrahim Halil, ist ein ehemaliger Milizionär des Islamischen Staates. Nach der Befreiung von Gîre Spî ist er nach Raqqa gegangen. Laut eigenen Angaben soll er zum Wachpersonal eines IS-Krankenhauses gehört haben. Nachdem Necim aus Raqqa geflohen war, hat er sich den YPG ergeben. Als sich nach einer Weile herausstellte, dass er nicht in bewaffnete Angriffe des IS verwickelt war, wurde er begnadigt und entlassen.

Nach dem Attentat an Ibrahim Halil stellten die Sicherheitskräfte Rojavas Necim unter Beobachtung, da es sich bei ihm um ein ehemaliges IS-Mitglied handelt, das ebenfalls im Dorf Hamam lebt. Während den Ermittlungen stellte sich heraus, das Necim seine Beziehungen zum Islamischen Staat nicht abgebrochen hat.

Die Informationen, die uns von den Sicherheitskräften zur Verfügung gestellt wurden, sowie das Geständnis von Ismail Ahmed Necim, zeigen die Beziehungen zwischen den Milizionären des türkischen Staates, dem MIT, den IS und den „Schutzschild Euphrat"-Kräften ganz deutlich. Die sich selbst als Kiyam-Bewegung nennende Organisation bestehen ebenso aus Mitgliedern des IS, MIT und „Schutzschild Euphrat"-Kräften, sie sind eine Kontra-Guerillaorganisation.