Ankaras Krieg gegen die Toten

Die Leichname von mindestens 707 Gefallenen der Freiheitsbewegung und Opfern der türkischen Militärblockade in Nordkurdistan in den Jahren 2015 und 2016 werden weiterhin nicht zur Bestattung freigegeben. Die Türkei führt einen Krieg gegen die Toten.

Nach Recherchen des per Notstandsdekret verbotenen Solidaritätsvereins der Hinterbliebenen von Verschwundenen (MEYA-DER) befinden sich die Leichname von mindestens 707 Personen, die zu verschiedenen Zeitpunkten von türkischen Militärs ermordet wurden, noch immer in den Händen der Staatsgewalt. Dazu zählen auch die Leichen der 265 von insgesamt 267 Kämpfer*innen der HPG, YJA-Star, YPG und YPJ, die im vergangenen Dezember per Anweisung der Staatsanwaltschaft auf dem Gefallenenfriedhof Garzan in Bedlîs exhumiert und in die Gerichtsmedizin Istanbul verschleppt wurden. Auch die Leichen von unzähligen Menschen, die während der militärischen Dauerblockade in den Jahren 2015 und 2016 in Städten wie Nisêbîn, Cizîr, Sûr und Şirnex ums Leben gekommen sind, sowie weitere Mitglieder der kurdischen Freiheitsbewegung, werden entweder in gerichtsmedizinischen Instituten aufbewahrt oder liegen noch immer auf den Friedhöfen der Namenlosen begraben. Der türkischen Regierung reicht offenbar der schmutzige Krieg gegen die lebende kurdische Bevölkerung nicht aus, sie muss auch einen Krieg gegen ihre Toten führen.

251 Leichname in zwölf Städten begraben

Leichname von nicht identifizierten Personen werden in der Türkei grundsätzlich auf dem Friedhof der Namenlosen begraben. Immer wieder beklagen Familien, dass ihre Angehörigen auf diesen Ruhestätten begraben wurden, obwohl sie den Leichnam identifizieren konnten. Die Gerichtsmedizin erkläre in solchen Fällen, dass wegen fortgeschrittener Verwesung kein DNA-Test mehr möglich sei, weswegen die Identifizierung nicht bestätigt werden könne. Laut MEYA-DER befinden sich allein auf dem Yeniköy-Friedhof in Amed (Diyarbakir) 23 „namenlose“ HPG- sowie YPS-Mitglieder. Weitere Zahlen lauten:

-Riha/Urfa: 27

-Xarpêt/Elazığ: 1

-Dîlok/Antep: 7

-Cizîr/Cizre: 33

-Silopiya/Silopi: 17

-Şirnex/Şırnak: 42

-Erzîrom/Erzurum: 54

-Trabzon: 6

-Wan/Van: 6

-Sêrt/Siirt: 10

-Bedlîs/Bitlis: 25.

In diesen Fällen wurden zudem auch die für den DNA-Abgleich von Angehörigen der Verstorbenen entnommenen Proben auf den jeweiligen Friedhöfen begraben.

21 Leichname bei Gerichtsmedizin Malatya

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) werden die Leichen von mindestens 170 weiteren HPG-Kämpfer*innen, die in den letzten Jahren in den Provinzen Dersim, Çewlîg (Bingöl), Mûş (Muş), Xarpêt und Meletî (Malatya) ums Leben gekommen sind, ebenfalls nicht freigegeben. Außerdem werden 21 Leichen im gerichtsmedizinischen Institut Malatya aufbewahrt. Hier verweisen die Behörden seit teilweise mehreren Monaten darauf, dass die Ergebnisse der DNA-Analysen noch nicht vorliegen würden.

267 Leichname verschleppt

Vergangenen Dezember waren auf Anweisung der Staatsanwaltschaft 267 Leichname auf dem Guerillafriedhof Garzan ausgegraben und in die Istanbuler Gerichtsmedizin verschleppt worden. Angeblich sollte ein DNA-Abgleich erfolgen, obwohl die Identitäten der dort begrabenen Kämpfer*innen bekannt waren. In lediglich zwei Fällen konnten die Angehörigen die Herausgabe des Leichnams erwirken, allerdings erst nach zwei Monaten. Trotz mehrerer Anträge blockiert die Gerichtsmedizin weiterhin die Freigabe und behauptet seit fast einem Jahr, dass die Ergebnisse der Blutanalysen noch nicht vorliegen.