Abschlusserklärung der Rojava-Konferenz im Europaparlament

Die Teilnehmer der Rojava-Konferenz im Europaparlament in Brüssel haben ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht. Darin werden konkrete Perspektiven für Rojava nach der Invasion und Lösungsvorschläge für die Syrienkrise formuliert.

Im Europaparlament in Brüssel hat vom 11. bis 12. Dezember unter dem Titel „Ein regionaler und globaler Lackmustest“ eine Konferenz zur Situation in Nord- und Ostsyrien nach der türkischen Invasion stattgefunden. An der von den europäischen Grünen, der nordsyrischen Autonomieverwaltung und der Internationalen Allianz für Rechte und Freiheiten (AIDL) organisierten Veranstaltung nahmen Politiker*innen, Journalist*innen, Menschenrechtler*innen und Akademiker*innen teil.

Die Konferenz befasste sich mit den Gründen der türkischen Besatzung, den in der Region von der türkischen Armee und dem von der Türkei aufgebauten und finanzierten Dschihadistenbündnis SNA („Syrische Nationalarmee“) begangenen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, der internationalen rechtlichen Dimension, den Folgen des völkerrechtswidrigen Angriffs und den Ursachen der Ignoranz der internationalen Mächte. Die Teilnehmenden überprüften in diesem Zusammenhang zahlreiche Dokumente sowie Beweise und stellten fest, dass die Massaker an der kurdischen, christlichen, und arabischen Bevölkerung, die ethnischen Säuberungen und der gewollte demografische Wandel in Nord- und Ostsyrien Kriegsverbrechen darstellen. Zudem verstießen diese „eklatanten Aggressionen“ gegen das Völkerrecht und die Grundsätze der guten Nachbarschaft und bedrohten den Frieden und die internationale Sicherheit.

In einer Abschlusserklärung formulieren die Teilnehmer*innen der Zusammenkunft nun Perspektiven, wie gegen die Invasion vorgegangen werden kann und auf welche Weise Rojava geschützt und die Syrienkrise gelöst werden können. Einleitend heißt es darin: „Die Aggression des türkischen Staates und seiner dschihadistischen Proxy-Armee erforderte die Durchführung dieser internationalen Konferenz, deren Organisatoren die Europäische Union (EU) und die internationale Gemeinschaft auffordern, in Nord- und Ostsyrien (Rojava) einzugreifen und eine ernsthafte und entschlossene Haltung gegen die rücksichtslosen und rechtswidrigen Handlungen der Türkei einzunehmen.”

Die im Rahmen der Konferenz geführten Diskussionen gaben Aufschluss über die erschreckende Bilanz der Menschenrechtsverletzungen der Türkei sowie Verstöße gegen das Völkerrecht und die Konventionen der Vereinten Nationen. Nachfolgend sind relevante Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung aufgeführt:

1- Verstöße gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes: Wegen genozidalen Angriffen gegen Kurden und Araber in Efrîn (Afrin) und Serêkaniyê (Ras al-Ain).  

2- Verstöße gegen das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung: Es werden alle Formen der Rassendiskriminierung gegen alle Bevölkerungsgruppen in Nord- und Ostsyrien praktiziert.

3- Verstöße gegen den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gegenüber Kurden und anderen Gruppen in den von der Türkei besetzten Gebieten in Syrien.

4- Verstöße gegen das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.

5- Verstöße gegen alle vier Genfer Konventionen und die dazugehörigen Protokolle.

6- Verstöße gegen die Konvention über bestimmte konventionelle Waffen durch den Einsatz von weißem Phosphor in Serekaniyê und Efrîn.

7- Verstöße gegen das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Fauenkonvention) durch systematische Angriffe des türkischen Staates und seiner verbündeten Dschihadistenmilizen auf Frauen. Als Beispiel ist die Hinrichtung der kurdischen Politikerin Hevrîn Xelef (Havrin Khalaf) und die Schändung ihres Leichnams zu nennen.

8- Verstöße gegen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes: Zuletzt wurden am 2. Dezember acht Kinder in Tel Rifat bei einem vom türkischen Staat mit Granaten verübten Massaker ermordet.

9- Verstöße gegen das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, da die Türkei extremistische Milizen und dschihadistische Organisationen finanziert, ausgebildet hat und nach wie vor unterstützt.

Eindeutige Kriegsverbrechen

In der Deklaration heißt es, das Handeln der türkischen Regierung sei eindeutig auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auf Völkermord ausgerichtet. Diese Verbrechen gegen das kurdische Volk und alle andere Komponenten Nord- und Ostsyriens/Rojava erforderten eine internationale Verurteilung.

In diesem Sinne schloss die Konferenz mit einer Reihe wichtiger Empfehlungen, deren Umsetzung durch einen gemeinsamen Follow-up-Ausschuss überwacht werden. Die Kommission wird ihre Berichte dem EU-Parlament, anderen EU-Organen und den einschlägigen internationalen Gremien vorlegen. Die Vorschläge lauten:

1- Vollständige Verurteilung der türkischen Aggression gegen Nord- und Ostsyrien/Rojava und deren teilweiser Besetzung durch eine entschlossene Haltung des Europäischen Parlaments und der Vereinten Nationen.

2- Der Rückzug der türkischen Armee und ihrer dschihadistischen Verbündeten aus allen in Nord- und Ostsyrien (Rojava) besetzten Gebieten, einschließlich Efrîn und auch Idlib.

3- Sicherstellung der sicheren und würdevollen Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimatorte.

4- Erfassung aller türkischen Regierungsvertreter und ihrer dschihadistischen Verbündeten, die an der Invasion und den anschließenden Verbrechen teilgenommen haben, auf internationalen Listen terroristischer Organisationen und die Aktivierung eines Mechanismus der Aufsichts- und Rechenschaftspflicht, um sicherzustellen, dass der Gerechtigkeit gedient wird.

5- Die Bildung eines lokalen Gerichts mit internationaler Trägerschaft in Nord- und Ostsyrien/Rojava zur Verfolgung von türkischen Staatsangehörigen, Dschihadisten (einschließlich IS-Mitgliedern) und allen anderen Personen, die im Verdacht stehen, an Kriegsverbrechen beteiligt zu sein. Dazu gehört auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der in erster Linie für alle Rechtsverletzungen und Verbrechen verantwortlich ist.

6- Die Einbeziehung der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (Rojava) in den von den UN gebildeten Ausschuss für eine neue Verfassung für Syrien.

7- Die Erwägung der Einführung einer Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien/Rojava.

8- Die Anerkennung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien/Rojava durch internationale Institutionen wie die EU und die UNO sowie ausländische Staaten.