Özsoy: Der EU-Gipfel wird keine Sanktionen bringen

Der außenpolitische Sprecher der HDP, Hişyar Özsoy, prognostiziert, dass beim bevorstehen EU-Gipfel keine Sanktionen gegen die Türkei herauskommen werden.

Der außenpolitische Sprecher der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Hişyar Özsoy, hält einen Beschluss von Sanktionen beim bevorstehenden EU-Gipfel für unwahrscheinlich. Im ANF-Gespräch erklärt er, die Türkei versuche ihren seit der Gründung der Türkei bestehenden Konflikt mit Griechenland durch Militarisierung zu lösen.

Özsoy erinnert an den Bevölkerungsaustausch der griechischen bzw. türkischen Minderheiten in Griechenland und der Türkei und beschreibt insbesondere das Vorgehen gegen die Pontos-Griechen als Trauma. Nach 1960 habe dann die Zypernfrage an Bedeutung gewonnen und mit der Besetzung und Annexion Nordzyperns durch die Türkei sei jede Lösung verunmöglicht worden. Özsoy führt aus: „In der jüngeren Vergangenheit haben wir mit der Entdeckung von Erdgas im Süden von Zypern einen neuen Anstieg der Spannungen beobachten können. Diese neuen Energiequellen haben alte Probleme wieder ans Licht gebracht. Insbesondere die Türkei will einen Anteil vom Kuchen im Süden Zyperns bekommen, aber sie darf nicht mit am Energietisch sitzen. Es gibt jeweils eigene Probleme, die Ägypten, Israel, Griechenland und Zypern mit der Türkei haben. Das verbindet sie. Die Türkei versucht, einen Platz am Tisch zu erhalten, indem sie die Situation militarisiert. Im Notfall ist sie auch bereit, Gewalt dafür einzusetzen.“

USA und Deutschland verhindern Sanktionen

Özsoy sagt, der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU), der am 24. und 25. September stattfinden werde, würde die Grundlage für ein spezifisches Abkommen zwischen der Türkei und Griechenland schaffen. Er fügt hinzu, die EU wolle das Problem ohne Einsatz von Sanktionen lösen: „Erdoğan macht zwar Wind, aber im Hintergrund treffen sich die Delegationen und arbeiten. Ibrahim Kalın versucht ebenfalls, durch Gespräche mit seinen griechischen Amtskollegen einen Mittelweg zu finden. Kurzum: Der EU-Gipfel verhängt keine Sanktionen gegen die Türkei, weil Deutschland und die Vereinigten Staaten die Grundlage für Verhandlungen zwischen der Türkei und Griechenland geschaffen haben.“ Das Problem werde dadurch nicht gelöst, sagt der HDP-Politiker: „Die Frage des östlichen Mittelmeerraums ist nicht einfach zu lösen, denn sie basiert auf der Zypernfrage, die seit 45 Jahren nicht gelöst wurde.“

Eroberungsdenken ist tief in der türkischen Regierung verwurzelt

Zur Kriegspolitik und dem Expansionismus der türkischen Regierung sagt der Außenpolitiker: „Auch in der Innenpolitik greift sie überall mit der Logik der Eroberung an. Dies ist ein Problem mit Bündnissen, die in den letzten fünf Jahren in der Türkei gegründet wurden. Die AKP/MHP-Koalition und die Kreise, die sich um sie herum versammelt haben, haben sich auf der Grundlage eines neuen Konzepts aufgestellt. Sie versuchen, die politischen und kulturellen Forderungen der Kurden und all ihre Errungenschaften zu zerstören. Es geht dabei nicht nur um die kurdische Frage, sie versuchen, die Macht des Staates zu zentralisieren und sie durch eine Reihe höchst antidemokratischer, autoritärer Praktiken in einer Hand zu konzentrieren. Die Gewaltenteilung existiert bereits nicht mehr, im Inland ist ein hochautoritäres Eroberungsregime installiert worden. Wenn ein Treuhänder in kurdische Gemeinden berufen wird, glaubt die Regierung, diese durch das Hissen türkischer Flaggen zurückerobert zu haben. Die kurdische Region ist vollständig militarisiert und voller Panzer, es wirkt wie eine Besatzungszone. Das sind nur einige Beispiele für die Auswirkung der Eroberermentalität im Inland.“

Erdoğan braucht äußeren Feind

Özsoy stellt fest, dass die Feindseligkeit Griechenland und dem Westen gegenüber, wie sie immer wieder von Erdoğan artikuliert wird, vor allem nach innen zielt: „Denn seit langem herrscht hier die Rhetorik vom ‚inneren Feind‘. Bei den Wahlen 2019 hatte diese Rhetorik die Grenze dieser Fokussierung nach innen überschritten und die Regierung scheiterte. Bei den Kommunalwahlen erlitt sie eine massive Niederlage. Danach wird Erdogan weiter äußere Feinde brauchen, er wird Feinde produzieren müssen. Die kommende Periode wird eine Periode der außenpolitischen Spannungen sein, mit Worten und Parolen, aber diejenigen, die am lautesten schreien, sind am ehesten zu Kompromissen gezwungen. Das können wir vor allem für Erdoğans Politik sagen. Wir sehen mal wieder ein Theaterstück."