96.000 Unterschriften zur Verurteilung Erdoğans gesammelt

Die Kampagne „100 Gründe, den Diktator zu verurteilen“ der kurdischen Frauenbewegung TJK-E befindet sich auf der Zielgeraden. Bisher sind im Rahmen der Kampagne 96.000 Unterschriften zusammen gekommen.

Seit dem 25. November läuft die von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) initiierte Kampagne „100 Gründe, den Diktator zu verurteilen“. Besime Konca, ehemalige HDP-Abgeordnete und heutige TJK-E-Aktivistin, teilt zum Stand der Kampagne mit, dass nach dem 8. März eine neue Phase beginnt. Ein Ziel der Kampagne sei es, den Frauenkampf zu stärken und die Führungsrolle von Frauen im Kampf für eine demokratische Gesellschaft herauszustellen. In der beginnenden Phase soll juristisch Druck gemacht werden, damit sich die „internationalen Institutionen selbst mit ihren Pflichten und ihrer Verantwortung auseinandersetzen“.

Im ANF-Interview berichtet Besime Konca über den Verlauf und die Perspektive der Kampagne.

Wir befinden uns in einer Zeit, in der Übergriffe, Gewalt und Morde an Frauen ihren höchsten Stand erreicht haben. Die Frauen versuchen, auf diese Angriffe mit Selbstverteidigung zu reagieren. Reicht das Niveau der Selbstverteidigung angesichts der Angriffe aus?

In den letzten Jahren findet ein Angriff auf Frauen durch eine autoritäre, sexistische, populistische, faschistische, rassistische, militaristische Politik statt. Regime auf der ganzen Welt versuchen, diese Angriffe zu legitimieren. Der Angriff findet auf vielen Ebenen statt. Es geht um physische Angriffe, Entführungen, Belästigungen und Vergewaltigungen, aber auch um sexistische Diskurse, Hassrede, Beleidigungen, Diskriminierung, Bedrohung und frauenfeindliche Gesetzesvorhaben. Die Regime wollen die durch den Frauenkampf errungenen Rechte vernichten. Während die sexistischen patriarchalen Strukturen ihre strategischen, ideologischen und politischen Angriffe systematisch und bewusst ausweiten, findet auch ein Kampf von Frauen auf globaler Ebene statt. Die Frauen stellen das System in Frage und erheben ihre Stimmen und fordern Freiheit. Die Kräfte der kapitalistischen Moderne wissen, dass die Gesellschaft durch die Frauenbefreiung ebenfalls befreit wird. Um diesen Wandel und den immer gesellschaftlicher werdenden Kampf der Frauen aufzuhalten, entwickeln sie eine massive materielle, ideologische, physische, kulturelle und moralische Angriffspolitik. Diese Kräfte legitimieren und normalisieren jede Gewalt gegen Frauen. Das offensichtlichste Beispiel ist hier Erdoğans faschistisches AKP/MHP/Ergenekon-Regime. Das Regime verfolgt eine Vernichtungspolitik gegen Frauen, insbesondere gegenüber kurdischen Frauen und führenden Frauen im Kampf für die Freiheit. Mit unseren Kampagnen als kurdische Frauenbewegung sagen wir, dass wir diese Politik der Vernichtung von Frauen niemals akzeptieren werden. Je schwerer und brutaler der Angriff auf Frauen, die Gesellschaft, die Freiheiten ist, desto größer, vereinter und stärker müssen wir sein, desto deutlicher müssen wir nach Rechenschaft verlangen. Als kurdische Frauenbewegung ist es seit Jahren in allen Teilen Kurdistans und in Europa unser Ziel, Rechenschaft vom patriarchalen, staatlichen System für seine Verbrechen zu verlangen, Bewusstsein über die eigene Identität zu schaffen und eine Selbstverteidigungsperspektive aufzubauen.

Als TJK-E haben Sie in dieser Zeit eine Kampagne gestartet. Könnten Sie uns noch kurz den Inhalt und die Bedeutung der Kampagne erklären?

Es ist wichtig, den auf globaler Ebene in den letzten Jahren gewachsenen Kampf weiter zu verstärken, mit Bewusstsein anzureichern und den Frauenwiderstand auszuweiten. Wenn der feministische Kampf, der Kampf der demokratischen Gesellschaft sowie der Jugend und die antirassistischen Kämpfe zusammenkommen, dann kann der umfassende Angriff der kapitalistischen Moderne zurückgeschlagen werden. Andernfalls werden die Regime auf ihren autoritären, sexistischen, rassistischen, militaristischen, fundamentalistischen und faschistischen Ansätzen beharren und zu verhindern versuchen, dass die Kämpfe zusammenkommen, um sie einzeln zu schwächen und zu ersticken. In diesem Sinne ist es wichtig, dass die kurdische Frauenbewegung mit der Kampagne „Die freie Frau und die freie Gesellschaft verteidigen“ zu kämpfen begonnen hat.

Die TJK-E hat bereits zuvor mit Kampagnen gegen Gewalt gegen Frauen gekämpft. Das Ziel einer jeden Kampagne ist es, den Frauenkampf auszuweiten, die Frauensolidarität zu stärken sowie diejenigen, die Verbrechen an Frauen begehen, zur Rechenschaft zu ziehen, und gleichzeitig einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft herbeizuführen. Durch Aktionen, Veranstaltungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Podiumsdiskussionen, Seminare, Treffen, Versammlungen, Fernsehsendungen, Aktivitäten in den sozialen Medien und auf anderen Ebenen wird gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen.

Seit Beginn der Kampagne sind zwei Monate vergangen. Fast überall in Europa finden Aktionen statt und es werden Unterschriften gesammelt. Hat Ihre Kampagne ihr Ziel erreicht?

Die Kampagne „100 Gründe, den Diktator zu verurteilen“ zielt darauf, 100.000 Unterschriften zu sammeln. Sie stellt einen Teil der zuvor begonnenen Kampagnen dar und ist praktischer Ausdruck unseres Ziels, den Kampf auf das höchste Niveau anzuheben. Seit Jahren verübt das türkische Regime Verbrechen gegen insbesondere kurdische Frauen. Diese Verbrechen sind auch nach internationalem Recht zu verfolgen. Das Gesetz in der Türkei ist überhaupt nicht dazu in der Lage, die Verbrechen derjenigen, die sich in der türkischen Regierung befinden, zu ahnden. Stattdessen werden die Mörder geschützt, ja, sie werden de facto ausgezeichnet. Protestieren, wütend sein, trauern, ein Ende der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Massaker zu fordern, reicht aber nicht aus, um die Verbrechen an Frauen zu stoppen. Es gibt Tausende von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das Regime in Kurdistan und der Türkei begangen hat und die eines Gerichtsverfahrens bedürfen. Bei der Kampagne, die wir gestartet haben, geht es eben um diese Dimension. Es geht darum, Erdoğan vor ein internationales Gericht zu stellen und ihn für seine Verbrechen weltöffentlich zu brandmarken. Gleichzeitig versuchen wir, die Vereinten Nationen, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, den Europarat und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die nach wie vor sprachlos sind gegenüber den Verbrechen des türkischen Staates, die gegen universelles Recht verstoßen und Menschenrechte sowie Kriegsverbrechen sind, an ihre Verantwortung und ihre Pflicht zu erinnern und dazu zu bringen, etwas zu unternehmen.

Ihre Kampagne ist keine gewöhnliche Unterschriftenkampagne, sondern zielt darauf ab, die Voraussetzungen für die Verfolgung eines Diktators zu schaffen. Was soll nach Abschluss der Unterschriftensammlung geschehen? Was erwarten Sie?

Natürlich ist es nicht einfach, 100.000 Unterschriften unter Bedingungen zu sammeln, in denen der Kontakt mit Menschen aufgrund der Pandemie eingeschränkt ist. Wir Frauen haben dennoch für den Erfolg dieser Kampagne viel Mühe und Engagement investiert. Die Unterschriften werden sowohl über die Website der Kampagne als auch bei Informationsständen gesammelt. Auf Veranstaltungen werden Menschen direkt angesprochen. Mehr als 96.000 Unterschriften wurden bereits gesammelt. Die persönlichen Gespräche sind dabei besonders wichtig. Zu wissen, was die Menschen fühlen und denken, Gedanken und Bewusstsein zu teilen und gleichzeitig gegen das Schlechte zusammen zu kämpfen, ist ein entscheidender Punkt. Viele internationale Fraueninstitutionen, -bewegungen und -persönlichkeiten haben sich unserer Kampagne angeschlossen. Mehr als 50 Fraueninstitutionen mit Hunderttausenden Mitgliedern in 15 Ländern und international bekannte Persönlichkeiten und Politiker*innen gaben ebenfalls Solidaritätsbekundungen mit unserer Kampagne ab. Ein weiteres Ziel der Kampagne ist es, den Kampf der Frauen und den Kampf für eine demokratische Gesellschaft zu führen. Nach dem 8. März wird unsere Kampagne in eine Phase eintreten, in der der juristische Kampf in den Vordergrund tritt und die internationalen Institutionen an ihre Verantwortung durch Aktionen erinnert werden sollen.