Türkei: Bauarbeiter unter Druck

Die Lage kurdischer Bauarbeiter in der Westtürkei ist besorgniserregend. Sie arbeiten ohne soziale Absicherung für Niedriglöhne und sind auf ein tägliches Einkommen angewiesen. Jetzt sind sie zusätzlich von der Corona-Pandemie bedroht.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich die Zahl der Todesopfer der Coronavirus-Pandemie weltweit innerhalb einer Woche mehr als verdoppelt. In der Türkei haben laut offiziellen Zahlen mit Stand von Mittwochabend 277 Menschen ihr Leben durch Covid19 verloren, 16.679 Infektionsfälle sind nachgewiesen.

Die türkische Regierung ruft dazu auf, zu Hause bleiben. Viele Firmen haben das Homeoffice-System eingeführt. Besonders gefährdet sind jedoch Beschäftigte in der Bau- und Textilbranche. Die Bedingungen kurdischer Arbeiter in der Westtürkei sind besorgniserregend. Viele arbeiten zu Niedriglöhnen ohne soziale Absicherung und sind auf ein tägliches Einkommen angewiesen. Jetzt sind sie zusätzlich von der Corona-Pandemie bedroht.

Während Geschäfte und viele Firmen geschlossen worden sind, geht die Arbeit im Bau- und Textilsektor weiter. Laut einer im März veröffentlichten Statistik des Arbeitsministeriums sind in der Türkei 1.200.000 Personen in der Baubranche beschäftigt. Die Baugewerkschaft Dev-Yapı-İş gibt die Anzahl der Bauarbeiter in Istanbul mit 295.000 an und weist darauf hin, dass in der Stadt über 15.000 Arbeiter im Zuge der Coronakrise fristlos und ohne Abfindung entlassen worden sind. Nach Auftreten der Pandemie hätten sie noch tagelang ohne jegliche Schutzmaßnahmen weitergearbeitet und seien nach ihrer Entlassung massenweise mit Bussen in ihre weit entfernten Heimatorte geschickt worden.

Einer der Bauarbeiter in Istanbul, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nennen will, sagt: „Wenn ich einen Monat nicht arbeite, muss ich hungern. Die Baustellen sind unhygienisch und die Maßnahmen gegen Corona völlig unzureichend. Auf der Baustelle wird bei den Arbeitern nur Fieber gemessen.“

Ein anderer Bauarbeiter ist aus Wan nach Adapazarı in der Westtürkei gekommen, um dort zu arbeiten. Auch er will anonym bleiben. Er berichtet, dass täglich Dutzende Personen das Baugelände betreten und wieder verlassen, ohne kontrolliert zu werden:

„Ich war zwei Monate bei der regierungsnahen Firma Cengiz İnşaat in Adapazarı. Hier arbeiten ungefähr neunzig Personen. Von den Arbeitern werden keine ärztlichen Atteste verlangt und es finden auch keine Gesundheitskontrollen statt. Der Ort, an dem wir gegessen haben, war in einem schlimmen Zustand. Die Zubereitung der Mahlzeiten war unhygienisch und das Essen stand offen herum. Obwohl nur Platz für drei Personen in den Schlafräumen ist, übernachten darin mindestens zehn Personen. Die Arbeiter werden nicht wertgeschätzt. Wenn es so weitergeht, werden sich Tausende Arbeiter hier im Westen mit dem Virus anstecken.

Bei Cengiz İnşaat werden die Arbeiter ausgebeutet. Ich habe zwei Monate gearbeitet, aber mein Recht nicht bekommen. Nach zwei Monaten haben sie mir tausend Lira gegeben, das übrige Geld habe ich nicht bekommen. Das geht nicht nur mir so, die kurdischen Arbeiter hier werden alle ausgebeutet, niemand bekommt seinen vollen Lohn. Wer sich beschwert, wird entlassen. Ich habe vor drei Tagen mit der Arbeit aufgehört und bin zum Busbahnhof gegangen. Weil Fahrten zwischen den Städten verboten worden sind, hing ich zwei Tage am Busbahnhof fest.“

Die Baugewerkschaft Dev-Yapı-İş warnt davor, dass die die beengten Lebensbedingungen der Arbeiter auf den Baustellen eine hohe Ansteckungsgefahr aufweisen. Da die entlassenen Arbeiter ohne vorherige Virustestmöglichkeit in Bussen in ihre Heimatorte zurückgeschickt worden sind, droht eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus. Die Gewerkschaft fordert Schutzmaßnahmen und Gelder aus dem Arbeitslosenfonds für die entlassenen Bauarbeiter.