Türkei: Über 80 Festnahmebefehle wegen Kobanê-Protesten

In der Türkei sind 82 Personen wegen vermeintlicher Teilnahme an den Kobanê-Protesten im Oktober 2014 zur Fahndung ausgeschrieben worden. Der Bürgermeister von Qers, Ayhan Bilgen, und der frühere Abgeordnete Sirri Süreyya Önder wurden festgenommen.

Im Rahmen eines von der Generalstaatsanwaltschaft Ankara geführten Ermittlungsverfahrens sind gegen 82 Personen in der Türkei Festnahmebefehle ergangen. Auf der Fahndungsliste der Polizei stehen zahlreiche ehemalige Abgeordnete und Bürgermeister der HDP, darunter auch der Oberbürgermeister von Qers (türk. Kars), Ayhan Bilgen. Seit vergangener Nacht wird die Wohnung des Politikers durchsucht. In seinem Fall wurde die Dauer der Festnahme auf vier Tage festgesetzt. Ebenfalls festgenommen wurden bisher Ali Ürküt, Ratsmitglied der türkischen Rundfunkanstalt RTÜK für die HDP, Nazmi Gür aus dem HDP-Parteirat, das frühere Mitglied des HDP-Exekutivrates Can Memiş, der ehemalige Parlamentsabgeordnete und einstige Sprecher der Imrali-Delegation Sirri Süreyya Önder sowie weitere Personen, deren Namen noch unklar sind.

Wie es heißt, wird den Betroffenen im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten im Oktober 2014 „Anstachelung zur Gewalt“ vorgeworfen. Die Generalstaatsanwaltschaft führt die vor knapp einem Jahr eingeleiteten Ermittlungen unter dem Label „PKK/KCK-Operation“. Die erneute Verhaftung der ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş im September 2019 war auf Grundlage dieses Verfahrens erfolgt. Auch Ayla Akat Ata, Emine Ayna und Altan Tan werden polizeilich gesucht. Die Festnahmewelle findet in insgesamt sieben Provinzen des Landes statt.

Kobanê-Proteste

Am Abend des 6. Oktober 2014, nach 21 Tagen Widerstand der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung, war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gelungen, ins Stadtzentrum der nordsyrischen Stadt Kobanê einzudringen. Angesichts der kritischen Situation hatte die HDP die Bevölkerung Nordkurdistans und der Türkei zu einem unbefristeten Protest gegen die AKP-Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen türkischen Sicherheitskräften und den Protestierenden: Soldaten, Polizisten, Dorfschützer sowie Mitglieder und Anhänger der radikalislamistischen türkischen Hisbollah (Hizbullah) führten einen gemeinsamen Kampf gegen Kurd*innen, die sich an den Protesten beteiligten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 und 53.