Jaysh al-Thuwar: Türkei hat sich hinsichtlich Efrîn geirrt!

Haci Ehmed, Kommandant der „Revolutionären Armee“ (Jaysh al-Thuwar), erklärt im Interview gegenüber ANF, warum die türkische Militärinvasion in Efrîn auf einer Fehleinschätzung beruht.

Der Angriff der türkischen Armee und ihrer islamistischen Söldner auf Efrîn dauert an. Wir haben den Kommandanten der Revolutionären Armee, Haci Ehmed, zu diversen Aspekten des Angriffskriegs der Türkei befragt.

Die Revolutionsarmee war in den Anfängen des syrischen Bürgerkriegs in der FSA organisiert. Als die FSA durch ausländische Mächte korrumpiert wurde, trat sie den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) bei. Das Interview wurde am 14. Februar geführt.

Was können Sie uns nach 25 Tagen zu den Angriffen der türkischen Armee und ihrer Söldner mitteilen?

Es wäre unvollständig, diesen Invasionsversuch nur im Rahmen der vergangenen 25 Tage zu betrachten. Die türkische Staatsführung und ihr Kriegsministerium haben bereits Monate zuvor diesen Angriff vorbereitet, indem sie eine entsprechende Stimmung und Wahrnehmung erzeugt haben. Diese Stimmungsmache galt sowohl der Öffentlichkeit im Inneren der Türkei, als auch nach außen hin. So haben sie die Grundlage für den Angriff geschaffen und gedacht, die Operation innerhalb kurzer Zeit erfolgreich zu vollziehen. So einer Träumerei sind sie verfallen. Sie haben sich in der Tat sehr bemüht und alle staatlichen Ressourcen und Möglichkeiten diesbezüglich in Gang gesetzt. Sie haben mit nationalistischen Gefühlen gespielt. Nicht nur auf der politischen Ebene, sondern in der ganzen Gesellschaft haben sie versucht, eine Stimmung nach dem Motto „Die Befreiung der Türkei liegt in der Besatzung Efrîns“ zu erzeugen. Darauf basierend hat Erdoğan behauptet: „In drei Tagen, einer Woche erledigen wir das“. Die Planer und Umsetzer des Angriffs und Erdoğan als der oberste Befehlshaber haben daran geglaubt. Sie wussten es, sich gut vorzubereiten und haben es der Welt auch so dargelegt.

Nun ist folgende Situation gegeben: Du kannst den Anfang eines Krieges bestimmten, doch nicht das Ende des Krieges. Sie haben sogar das Ende angekündigt. Der Kriegseintritt liegt in deiner Hand, nicht aber der Kriegsaustritt. Alle Kriege sind so. Erdoğan hat sich in diesem Punkt geirrt, die Türkei hat sich geirrt.

Können Sie mehr auf den Punkt eingehen, dass sich die Türkei geirrt hat?

Die Türken haben den Widerstandsgeist in Efrîn und die Proteste gegen den Angriff falsch bzw. nicht kalkuliert. Sie haben sich diesbezüglich getäuscht und deshalb ist ihr Plan nicht aufgegangen. Daher dauert dieser Krieg für sie länger als geplant, und er wird noch länger andauern. Dies wird auch dazu führen, dass die Menschen und die militärische Kraft in Efrîn noch enger als zuvor zusammenkommen.

Jetzt behaupten sie, sie würden die Operation „aufgrund der Vorsicht wegen ziviler Opfer“ langsam durchführen. Doch ihre anfängliche Rechnung war, dass nach den ersten Angriffen die Hälfte der Menschen die Stadt verlassen würde. So eine Vermutung hatten sie. Agenten, Schmuggler oder Opportunisten haben so eine Spekulation gehabt, aber sie haben das widerständige Volk in Efrîn fehl eingeschätzt. Sie haben sie falsch analysiert und sind deshalb gegen eine Wand gestoßen.

Wenn wir uns die Entwicklung des Krieges anschauen, hat die türkische Armee einige Dörfer besetzt. Was möchten Sie über Erfolg und Misserfolg sagen?

Es sind nun 25 Tage vergangen. Wie ich schon sagte, der Krieg dauert aufgrund nicht eingeplanter und fehl kalkulierter Aspekte länger als gedacht, er wird noch länger andauern. Der türkische Staat hat versucht, diesem Krieg eine legitime Grundlage zu geben. Sie wollten die legitimatorische Grundlage mit folgenden Argumenten schaffen: Das Volk in Efrîn sei unterdrückt, die Menschen würden dieses Unterdrückungssystem ablehnen und die Türkei und FSA würden deshalb in Efrîn einmarschieren, um das Volk zu befreien. Aber so etwas wie die FSA existiert nicht, seit den Ereignissen in Aleppo existiert die FSA nicht. Die Türken versuchen mit diesem Namen eine Legitimation zu schaffen. Doch weil der Krieg länger dauert, bedeutet dies auch zugleich, dass der Versuch der Legitimierung gescheitert ist und der Krieg immer mehr hinterfragt wird. Sie haben ehemalige Kämpfer der Al-Nusra, der Al-Qaida und des IS innerhalb dessen, was sie FSA nennen, organisiert.

Es mag so aussehen, als hätte Efrîn einige Stücke Land eingebüßt, das kann sich auch ausweiten. Efrîn wird auch viele ihrer Kämpfer*innen und Menschen verlieren. Das ist ein großer Krieg. Die Türken greifen nicht nur militärische Ziele, sondern auch zivile Lebensräume, historische Stätten und die Infrastruktur für das alltägliche Leben an. Das kann auch fortdauern und sich intensivieren. Wir werden auch viel mehr Verluste zu beklagen haben. Der einzige Grund für die Angriffe auf lebenswichtige Infrastruktur und Grundlagen wie Wasserkraftwerke und Bauernhöfe ist die Absicht, die Menschen dadurch zur Flucht zu zwingen und die Region zu entvölkern. Entscheidend in Kriegen sind Legitimität und die Resultate sowie Konsequenzen, die der Krieg mit sich bringt. Dieser Krieg der Türken ist illegitim. Die mächtigen und großen Staaten sind still, weil sie opportunistisch sind. Sie wollen auf diese Weise die Türken noch mehr in ihre Abhängigkeit treiben.

Die Türkei behauptet, dass die Kurden Efrîn nicht repräsentieren würden, doch alle hier in Efrîn sind in Solidarität mit den Verteidigungskräften. Waren diese Kräfte [die YPG, YPJ, SDF] nach Meinung der Türken nicht illegitim? Würden sie nicht, wie die Türken es behaupten, die Menschen in Efrîn unterdrücken? Doch was sehen wir stattdessen? Das gesamte Volk in Efrîn hat sich bewaffnet und leistet der Invasion gegenüber Widerstand.

Ist es nicht so, dass eines der zentralen Ziele die demografische Veränderung zuungunsten der Kurden ist?

Ich sage es ganz offen: Das Ziel der Türkei sind weder die YPG noch die PYD, sondern die Kurden. Erdoğan hat eine gute Seite, er kann sich manchmal nicht bremsen und verrät seine Vorhaben.

Was hat er gesagt?

Er hat gesagt, sie werden die „wahren Besitzer Efrîns“ hier ansiedeln. Er hat seine Absicht offen dargelegt. Wen meint er damit? Die Banden, die er aus Aleppo, Homs, Dera oder von hier oder dort um sich geschart hat. Die jetzigen Araber in Efrîn sind gänzlich Binnenflüchtlinge. In Efrîn sind acht Prozent der Menschen Turkmenen, sagt er. Doch an den Grenzen Efrîns zur Türkei sind Menschen, die Türkisch sprechen, Turkmenen sind sie aber nicht.

Ihr Ziel ist es, die Dörfer zu leeren und dort islamistische Banden anzusiedeln. Wir haben Beweise, dass sie in die Flüchtlingslager gehen und dort den Flüchtlingen sagen: Kommt und zieht in den Krieg, diese Region ist eure. Alles, was wir erobern, ist eure Beute, ihr könnt euch dort ansiedeln und ein Heim aneignen, sagen sie. So wollen sie die Demografie verändern.

Bedeutet das nicht eine Fortführung der osmanischen „iskan“-Politik [Eroberung von Land und Ansiedelung von Türken] und gleichzeitig die Gefahr eines langjährigen Krieges?

Ja. Wenn man jemanden, der aus Homs geflohen ist, in einem kurdischen Dorf ansiedelt, kann man dann nach einigen Jahren diesen Menschen einfach dazu bewegen, dass er das Dorf verlässt? Das ist eher unwahrscheinlich. Diese Politik der Türkei schafft sehr viel Konfliktpotenzial und die Grundlage für einen langjährigen Krieg in der Region.

Sie wollen gewisse Fakten schaffen. Das haben sie zuvor auch in Şehba gemacht. Dutzende kurdische Dörfer haben sie entvölkert, dann Hunderte Familien aus Hama, Humus und Aleppo dort angesiedelt. Das gleiche planen die Türken für Efrîn. Wir werden sehen, ob sie ihren Plan realisieren können..

Was meinen Sie, werden sie das schaffen?

Das wird der Widerstand zeigen. Ihre Söldner lösen sich langsam auf. Sie sind nicht mehr so euphorisch wie in der ersten Woche und fangen an zu flüchten. Weil sie sehen, dass das, was sie hier sehen, nicht mit dem übereinstimmt, was ihnen die Türken zuvor erzählt haben. Sie sind in einem Auflösungsprozess.

Unsere Kräfte hier sind jedoch aus dem Volk. Es ist ihr Boden, es sind ihre Dörfer. Ihre Familien sind hier. Wo sollen sie hin? Auch wenn sie weggehen, werden sie sterben. Das sinnvollste ist, seinen eigenen Boden würdevoll zu verteidigen. Ich habe heute mit jemanden gesprochen, der sich derzeit in Hatay befindet. Er teilte mit, dass die Türken in die Camps gehen, die Jugendlichen dort einsammeln und drohen „Wir haben dieses Camp für ältere Menschen und Frauen eingerichtet, nicht für die Jugendlichen. Ihr zieht entweder in den Krieg oder wir schmeißen euch von hier raus und schicken euch zurück nach Syrien.“

Die Banden, die die Türkei auf Efrîn losschickt – sind sie aus Syrien oder aus anderen Orten?

Der Großteil der Kämpfer, die gegen uns eingesetzt werden, sind Syrer. Sie haben Kämpfer und Gruppen wie Al-Nusra, IS oder Turkistan Islam Partei noch nicht an die vorderste Front geschickt. Noch warten sie ab. Zum Beispiel besteht die Al-Nusra aus zwei Fraktionen. Zum einen der Eymen-Zevahiri-Flügel, zum anderen der Culani-Flügel. Der Culani-Flügel steht mehr mit dem syrischen Geheimdienst in Verbindung, sie pflegen aber auch Beziehungen zur Türkei. Auch die Al-Nusra in Idlib agiert so, doch der uns derzeit bekämpfende Flügel ist die Culani-Fraktion. Ihr militärischer Kommandant ist Ebu Merye Qahtani. Ein Iraker. Sie lassen diese Leute gegen uns kämpfen, die meisten gegen Geld.

Der sechsjährige Krieg in Syrien hat die Produktion quasi gänzlich verunmöglicht. Vielen bleibt nur die finanzielle Hilfe von der Türkei oder von anderen Seiten. Wenn man ihnen diese Gelder nimmt, haben sie nichts mehr. Was sollen sie in den Flüchtlingslagern? Viele, die gegen uns kämpfen, sind Menschen aus diesem Zusammenhang. Sie kommen und erleiden große Schläge und werden weiterhin Verluste einkassieren. Das meine ich, wenn ich sage, dass dieser Krieg für sie eine Sackgasse bedeutet.

Andererseits dauert der Widerstand der Bevölkerung an. Sie verlässt nicht ihre Heimat und beteiligt sich mit ihren eigenen Mitteln am Widerstand. Können wir sagen, dass die Menschen diese Politik entschlüsselt haben?

Würden die Menschen dies nicht entschlüsseln, würden sie nicht so sehr und so lange Widerstand leisten. Die Angriffe des türkischen Staates in den ersten Tagen galten an erster Stelle der Bevölkerung. Die Dörfer wurden geplündert. Das haben die Menschen gesehen. Es wurden Hühner geklaut, Traktoren geklaut, Schafe geklaut, Möbel haben sie geklaut – all das haben die Menschen gesehen.

Was bedeutet es, dass die sogenannte FSA von der „Revolution“ und radikale Gruppen vom „Dschihad“ in Syrien zum Diebstahl von Nutzvieh übergegangen sind? Wie sehen die Menschen diese Entwicklung?

Die ersten Aufständischen in der Revolution waren anders, aber die Situation hat sich durch Kräfte verändert, die die Revolution ausnutzen und sie sich aneignen wollten. Als die erste Gruppe dies bemerkte, hat sie sich nach ein bis zwei Jahren von der Revolution gelöst und ist entweder nach Europa ausgewandert oder sitzt jetzt untätig Zuhause. Nach zwei Jahren entwickelte sich die Revolution in religiösen Radikalismus. Nach zwei Jahren war es keine Revolution mehr. Es verfiel in eine ökonomische, psychische, ideologische und politische Krise. Als die Al-Qaida einmischte, entwickelte sich die Situation so, wie sie heute ist.

Diese Dinge werden von bestimmten Zentren aus gelenkt. Es gab in der Türkei zwei, in Jordanien eines solcher Zentren. Offiziell galten diese Zentren der Unterstützung der syrischen Revolution. Wer in die Revolution eingreifen und in Syrien mitmischen wollte, der hat es von diesen Zentren aus gemacht. Geheimdienste wirkten mit, sie gaben finanzielle und waffentechnische Unterstützung und erlangten so die Kontrolle. Zum Beispiel war Dera im Hinblick auf die Revolution einer der stärksten Orte in Syrien, doch als sich Jordanien und die USA verständigten, haben sie Dera in kurzer Zeit handlungsunfähig gemacht. Sie wollten in Damaskus einmarschieren, wo sind diese sogenannten Revolutionäre jetzt? Ihnen wurden das Geld und die Waffen entzogen, und dann? Dann kam nichts mehr, denn als ihnen ihre Quelle entzogen wurde, waren sie handlungsunfähig. Das ist passiert, weil sie abhängig waren von externen Kräften. Die Regionen Idlib, Aleppo und Homs wurden von der Türkei unterstützt. Die dort aktiven Gruppen hatten ihre logistische Linie durch die Türkei. Als Routen waren im Norden die Türkei und im Süden die Türkei gegeben. Diese Gruppen machen alles, was ihnen diese beiden Staaten befehlen. Wenn sie es nicht tun, dann erhalten sie keine Hilfe mehr.

Kann man behaupten, dass die sogenannte FSA durch diese Kräfte bewusst in den Tod geschickt wird?

Ja, genau. Das versuche ich zu sagen. Die Türkei wird diese Gruppierungen am Ende auf die eine oder andere Weise eliminieren. Denn wenn sie es nicht tut, bleiben sie an ihr hängen. Sie werden für die Türkei selbst zum Problem. Diese Gruppen sind an Diebstahl, Gewalt, Mord und Zerstörung gewöhnt. Sie haben sich an so eine Lebensweise gewöhnt. Die Türkei befehligt sie. Ob jetzt zehn, zwanzig oder Tausende von ihnen sterben, das interessiert die Türkei nicht.

Ist dies diesen Gruppen nicht bewusst?

Doch, das muss man aber so sehen: Einige Teile von diesen Gruppen handeln so, weil sie unter Druck stehen, andere sind sehr verwickelt in türkische Angelegenheiten, wieder andere sind auf andere Weise von der Türkei abhängig. Es ist auch nicht nur das Geld. Soweit wir wissen, haben viele dieser Kämpfer die türkische Staatsangehörigkeit erhalten. Das heißt, sie unterscheiden sich nicht von jemandem, der in Ankara lebt. Insbesondere die Führungsfiguren dieser Banden haben Ausweise und Staatsangehörigkeiten erhalten. Viele davon haben die doppelte Staatsangehörigkeit. Sie sind im Dienste von Erdoğan und haben Verbindungen zum Geheimdienst, zu Ministerien und sind mit der Sicherheitsbehörde verwoben. So kann die Türkei alles mit ihnen machen. Sie nach Syrien schicken, wieder zurückholen, alles kein Problem.

Die Türkei besetzt derzeit die Regionen zwischen Idlib und dem Cerablus-Bab-Azaz Dreieck. Sie greift Efrîn an, das sich zwischen diesen beiden Regionen befindet. Was passiert, wenn es der Türkei gelingt, auch Efrîn zu besetzen?

Bab, Cerablus und Azaz haben sie schon. Wenn den Astana-Verhandlungen entsprechend auch Idlib erledigt wird, dann haben sie einen Korridor, der über Jisr al-Shughur und die Gap-Region von Kurd-Dag und Turkmenen-Dag bis hin zum Mittelmeer führt. Die Türken sprechen bereits über diesen Plan. Sie sagen sich, wenn in Zukunft weder die USA noch der Iran sich aus Syrien zurückziehen, dann werden wir es ebenso nicht tun. Das bedeutet nichts anderes als die Einnahme der Hälfte von West-Kurdistan.

Wie Hatay und Iskenderun?

Richtig. Sie wollen die Karte ausdehnen, das behaupten sie ganz offen. Wenn sie dort drei bis fünf Jahre bleiben, dann bedeutet dies, dass die Region ihnen gehört.

Sie werden auch Referenden oder ähnliches ins Spiel bringen...

Ja, richtig. Wenn ein Referendum abgehalten werden soll, für wen werden sich dann die Menschen hier wohl entscheiden? Bestimmt nicht für das syrische Regime, denn sie haben gegen das Regime gekämpft. Also werden sie sich für die Türkei entscheiden. Die Türkei ist sich dessen bewusst. Wie haben sie 1938 Iskenderun und Hatay erhalten? Erst sind sie als Schutzmacht einmarschiert, nach ein bis zwei Jahren haben sie die Regionen dann annektiert. Sie sagen, sie haben die Regionen dem „eigentlichen Mutterland“ angebunden. Dieselben Absichten verfolgen sie heute auch mit Efrîn, Cerablus etc. Sie sagen ja auch, Aleppo, Mosul und Kirkuk gehörten ihnen. Sie betrachten die Regionen als osmanische Provinzen. Sie denken, das ist ihr Land. Sie handeln weder für das syrische Volk, noch für die sogenannte FSA oder sonst wen. Das einzige, was sie interessiert, ist die Landnahme hier. Das ist eine expansionistische Politik, nichts anderes.