Özsoy: Schmerzhafte Sanktionen gegen die Türkei sind denkbar

Der außenpolitische Sprecher der HDP-Fraktion, Hişyar Özsoy, erklärt hinsichtlich der Situation nach den Präsidentschaftswahlen in den USA: „Wenn der Westen als ein Block vorgeht, sind für Erdogan sehr schmerzhafte Sanktionen denkbar.“

Hişyar Özsoy hat sich als außenpolitischer Sprecher der Demokratischen Partei der Völker (HDP) gegenüber ANF dazu geäußert, was den türkischen Staat in der kommenden Zeit erwartet. Dabei ging er auf den Einfluss des Wahlsiegs von Joe Biden in den USA und die Sanktionsforderungen aus dem Europaparlament gegen die Türkei ein.

Sanktionen sind denkbar“

Özsoy führte aus: „Joe Biden hat mehrfach betont, dass er im Gegensatz zu Trump sowohl mit den Institutionen im eigenen Land als auch auf internationaler Ebene arbeiten wird. In der kommenden Zeit werden die Beziehungen zwischen den USA und der NATO stärker werden. Das ist eines der Dinge, die Biden angehen wird. Er wird auch mit der EU-Führung enge Beziehungen knüpfen. Recep Tayyip Erdogan hat während der Trump-Zeit versucht, die Widersprüche und Konflikte zwischen Trump und Europa zum eigenen Vorteil zu nutzen. Biden wird diese Widersprüche beenden und das bedeutet, dass der Druck auf die Türkei steigen wird. Seit zwei Jahren wird über Sanktionen der USA gegen die Türkei gesprochen. Auch in Europa stehen Sanktionen zur Debatte. Wenn diese Debatten zusammengeführt werden und der Westen als ein Block vorgeht, sind für Erdogan sehr schmerzhafte Sanktionen möglich.“

Konfliktpunkt S-400

Laut Özsoy ist das russische Luftabwehrsystem S-400 das wichtigste Thema zwischen der Türkei und den USA. Die russischen Waffensysteme stellen eine reale Bedrohung für die F-35-Flugzeuge der NATO dar. Die Tatsache, dass der NATO-Partner Türkei von Russland ein explizit gegen NATO-Flugzeuge ausgelegtes Luftabwehrsystem bezieht, betrachten die USA als Provokation und Zeichen der Abgrenzung von dem Militärbündnis. „Für die Türkei ist die künftige US-Politik zu Syrien von Bedeutung, für die USA hingegen das Luftabwehrsystem S-400. Es geht um ein US-Embargo gegen Länder, die von Russland Rüstungsgüter kaufen. Trump hat auch das blockiert. Beim Amtsantritt von Biden wird es nicht sofort zu Sanktionen kommen, er wird der Türkei in den ersten Monaten Zeit geben. Das S-400-System ist jedoch eine Angelegenheit, die zu Sanktionen und einer ernsten Anspannung im Verhältnis zwischen der Türkei und den USA führen kann.“

Rückkehr der USA zur institutionellen Politik

Özsoy ist der Meinung, dass die kurdische Öffentlichkeit keine großen Erwartungen an Bidens Präsidentschaft haben sollte: „Biden ist nicht gut, Trump war sehr schlecht. Aufgrund der von Trump ausgelösten Enttäuschungen gibt es die Tendenz, Biden zu verherrlichen. Natürlich wird Biden trotzdem sympathischere Beziehungen mit der Regionalregierung Kurdistans und mit Rojava aufbauen. Biden war seit 1973 Senator und hat mit allen US-Institutionen gearbeitet. In der US-Außenpolitik werden wir keinen Biden-Faktor erleben, aber eine Rückkehr der USA zu einer institutionellen Politik. Beispielsweise kann es sein, dass es keine Veränderung bei der klassischen Unterstützung der US-Sicherheitspolitik zur kurdischen Frage in der Türkei gibt. Als HDP fordern wir auf allen Ebenen, dass alle, die zu einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage in der Türkei beitragen können, dies tun sollten.“

Angespanntes Verhältnis zur EU

Der außenpolitische Sprecher der HDP äußerte sich auch zu der Sitzung des Europäischen Rats am 10. und 11. Dezember. Zur Frage, ob die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel Sanktionen gegen die Türkei beschließen werden, erklärte Özsoy:

„Es liegen viele Alternativen auf dem Tisch. Um Sanktionen zu verhindern, hat Erdogan in einer Rede erklärt: ,Wir werden unsere Zukunft gemeinsam mit Europa aufbauen.' Das ist ein recht gewöhnlicher politischer Sprachgebrauch. Erdogan fürchtet die Debatte über EU-Sanktionen. Ohnehin sind die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt, auch das ist eine Sanktion. Auch die Frage der Visumfreiheit ist ad acta gelegt worden. Es gab eine Diskussion über eine Modernisierung oder Aktualisierung der Zollunion, das macht die EU von Demokratie und Menschenrechten abhängig. Inzwischen ist es so weit, dass es hinsichtlich der Handelsbeziehungen keine Aktualisierung der Zollunion geben wird, wenn es keine Fortschritte bei demokratischen, juristischen und menschenrechtlichen Fragen gibt. Nach uns vorliegenden Informationen wird sogar darüber gesprochen, die Zollunion komplett ad acta zu legen. Das wäre sehr extrem. Dass darüber überhaupt diskutiert wird, zeigt die Toleranzgrenzen der EU. Wenn die Erdogan-Regierung nicht zurückrudert, werden die Beziehungen zu Europa und den USA in der kommenden Zeit sehr angespannt sein.“